Kommentar zur Knabenchor-KlageDas Urteil ist ein Segen für die Kunst

Ein Knabenchor
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- Ein Mädchen in Berlin wurde bei einem reinen Knabenchor abgelehnt. Sie klagt dagegen.
- Das Gericht weist die Klage ab, die Kunstfreiheit überwiege.
- Das Urteil ist ein Segen für die Kunst, kommentiert unser Autor.
Berlin – Der Klassiker bei „Jugend musiziert“: Ein Kind übt und übt und übt, spielt mit Bravour vor, erntet donnernden Beifall des Publikums – doch die Jury gibt einem anderen Kind den ersten Preis. Das Kind weint, die Eltern sind erbost, laufen Sturm und drohen mit dem Anwalt. Die Jury kann entspannt bleiben. Zwar darf ihr Urteil angegriffen werden, unanfechtbar ist es trotzdem.
So ähnlich hatte man sich die Ausgangslage vor dem Berliner Verfahren am dortigen Verwaltungsgericht vorzustellen. Ein neunjähriges Mädchen hatte sich vor einigen Monaten um die Aufnahme in den Berliner Staats- und Domchor (einen reinen Knabenchor) beworben, der von der Universität der Künste (UdK) betrieben und geleitet wird, hatte vorgesungen – und war aus Qualitätsgründen abgelehnt worden; die Stimme habe nicht den Anforderungen genügt. Auch sei die Zusammenarbeit mit den Eltern, glaubte die UdK damals bei der Ablehnung, möglicherweise absehbar schwierig, weil wenig vertrauensvoll gewesen.
Klage zum Knabenchor abgelehnt
Nun klagte das Kind unter Mitwirkung seiner Mutter Susann Bräcklein, die gleichzeitig seine Anwältin ist, vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Im Raum standen zwei Artikel des Grundgesetzes: zum einen der diskriminierungsfreie Zugang zu einer öffentlichen Bildungseinrichtung, andererseits die Freiheit der Kunst. Ein Präzedenzfall mit hoher Öffentlichkeitswirkung (Aktenzeichen: VG 3 K 113.19).
Das Ansinnen der Klägerin wurde vom Gericht nach mehrstündiger Verhandlung erwartungsgemäß abgelehnt. Das Recht auf Kunstfreiheit der UdK überwiege eindeutig, sagte der Vorsitzende Richter Jens Tegtmeier. Das bald zehnjährige Mädchen habe auf Grund seines vergleichsweise fortgeschrittenen Alters auch keinen Anspruch auf eine Ausbildung am Staats- und Domchor der Universität der Künste, um den spezifischen Klang eines Knabenchores zu erlernen. Wegen des Pilotcharakters sei eine Berufung aber zugelassen.
Urteil ist ein Segen für die Kunst
Das Urteil ist ein Segen für die Kunst. Es anerkennt eine exzellente Tradition der Musikgeschichte, die mitnichten das jahrhundertelange Schweigegelübde verstärkt, dem Frauen in der Kirche unterworfen waren. Knabenchöre klingen einfach anders als Kinderchöre mit gemischtgeschlechtlicher Besetzung.
Die ausgebildete Knabenstimme vor dem Stimmbruch kann eine Trompete sein, die ausgebildete Mädchenstimme bringt es in diesem Alter allenfalls zur Querflöte. Alle Traditionen, die einenden und die trennenden, haben ihren Sinn; im großartigen Mädchenchor am Essener Dom, kirchlich gefördert, singen aus gutem Grund keine Jungs.
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Das Urteil dient im Übrigen dem Kindeswohl. Hätte die Neunjährige wirklich dasjenige Kind sein wollen, das sich in einen Chor eingeklagt hat? Und sich danach unter öffentlichem Druck fortwährend hätte beweisen müssen? Schon vor dem Prozess fragte man sich: Wer klagt da wirklich? Und was tut die Mutter dem Kind da möglicherweise an? Wir stellen uns nur umgekehrt vor, ein Junge wollte sich in die Westfälischen Nachtigallen, einen reinen Mädchenchor, einklagen. Viel Freude hätte er da nicht.
Unterschiede zwischen Jungen- und Mädchenstimmen
Die Mutter der Klägerin hatte argumentiert, dass die Universität als öffentliche Einrichtung den diskriminierungsfreien Zugang zur musikalischen Ausbildung gewährleisten müsse. Weiter verwies sie auf wissenschaftliche Studien, wonach „trainierte Singstimmen von Mädchen und Jungen vor dem Stimmbruch“ sich nicht wesentlich voneinander unterschieden.
Die für den spezifischen Klang bestimmenden Faktoren seien vielmehr Gesangstraining und das ausgewählte Repertoire an Musikstücken. Es gibt freilich genügend Gegenstimmen, die einen Unterschied zwischen gesangserfahrenen Jungen (vor dem Stimmbruch) und Mädchen behaupten – und auch hören. So hatte damals auch die UdK argumentiert. Zwischen Mädchen- und Jungenstimmen bestünden anatomisch bedingte Unterschiede, was zu differenzierten Chorklängen führe. Vermutlich geht die Mutter in Berufung.