In der Kölner Lanxess-Arena bot Bob Dylan ein unvergessliches Konzert, geprägt von innovativer Song-Interpretation und mystischer Atmosphäre.
Konzert in KölnBob Dylan trifft mit unkonventionellem Auftritt ins Herz der Zuschauer

Der US-amerikanische Singer-Songwriter Bob Dylan. (Archivbild, im Konzert waren keine Fotorafen zugelassen)
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Fiele es diesem Mann nicht derzeit ohnehin so leicht, seine Konzerte zu füllen, könnte man sie noch mit einem weiteren Attribut bewerben: Candlelight. Nur ein paar heruntergedimmte Lampen erlaubten Bob Dylan auf der Bühne der Lanxess-Arena, gerade genug, um die vier Mitspieler vage auf ihren festen Plätzen auszumachen.
Glasklare Schärfe
Aber es ist eine trügerische Stimmung, die weniger an Kerzenromantik erinnert als an heruntergedrehtes Gaslicht, wie es – nach dem gleichnamigen Kino-Melodram mit Ingrid Bergman – das Modewort „Gaslighting“ inspiriert hat: Was damit gemeint ist, das manipulative Spiel mit falschen Vorstellungen und deren Enttarnung, ist ein Leitmotiv in Dylans Nobelpreis-gekrönter Lyrik. Einer der düstersten Songs in seinem Schaffen, das Epos „Desolation Row“, erklingt in der Mitte dieses Programms, das um neun Titel aus dem Album „Rough and Rowdy Ways“ herum komponiert ist.
Die 2021 begonnene Tour liegt in den letzten Zügen, und doch ist dieses Konzert von einer glasklaren Schärfe, einer so punktgenauen Interpretation, als wolle sich Dylan im Gedächtnis der Anwesenden eingraben wie eine Nadel in eine Matrize bei der Schallplatten-Herstellung. Kein Wunder, dass Ablenkung verboten ist. Es gibt keine Videowand, und die Besucher-Handys wurden beim Eintritt von der Security in wiederverwendbaren Taschen verschlossen aus einem Material, das so fest ist, dass es vermutlich auch gegen radioaktive Strahlen schützt. Auch mein Fernglas wurde mir am Eingang abgenommen, ich hätte es wirklich gebrauchen können.
Manchmal verdeckt der Mann in Schwarz am Piano den Scheinwerfer hinter sich, der ihm das Textbuch beleuchtet. Das ist mein Glück, denn dann blendet wenigstens nichts, und die von hinten erhellte, lockige Silhouette seines Kopfes gleicht dem berühmten Album-Cover der „Greatest Hits“, das dem Life-Fotografen Rowland Scherman 1965 gelang. Damals tourte der Musiker erstmals mit E-Gitarre durch die USA. Der erfolgreiche Kinofilm „Like a Complete Unknown“, der den Weg des Folk-Stars bis zu dieser künstlerischen Befreiung erzählt, hat offensichtlich viele junge Leute neben den vielen Stammgästen in die Arena gelockt.
Konstante Neu-Interpretation
Zu erleben, wie sich sechzig Jahre Abstand vor uns in Luft auflösen, hat eine derart fesselnde Wirkung, dass man schon nach der Eröffnung mit „I’ll Be Your Baby Tonight“ fast das Klatschen vergessen hat. Der Meister will unseren Zuspruch ohnehin nicht hören und macht dafür auch gar keine Pausen. Erst nach einem betörenden „It Ain’t Me Babe“, gesanglich so geschmeidig wie je in seiner Karriere, entlädt sich erstmals der Applaus.
Auch wer Dylan seit Jahrzehnten live verfolgt, hat ihn gesanglich kaum je auf diesem Niveau erleben können (der Schmirgelgrad seiner Stimme entspräche heute vielleicht Schleifpapier mit 300er-Körnung, was weich ist, aber immer noch rau). Wie kaum ein anderer Singer-Songwriter ist er berühmt für die konstante Neu-Interpretation seiner Werke bis hin zur melodischen Unkenntlichkeit, aber hier wird nichts willkürlich zerdehnt oder vernuschelt.
In einem neuartigen melodischen Gewand schwebt etwa „It’s All Over Now, Baby Blue“ förmlich über die bekannten Akkorde hinweg, meisterlich von Dylans scheinbar kunstlosem, aber unfehlbarem Klavierspiel getragen. Gefolgt von einem der schönsten „Rough and Rowdy“-Songs: Der Sechsachtel-Walzer „I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You“ scheint all die fehlenden Ansagen, Erklärungen oder auch nur Begrüßungen bei diesem Konzert zu ersetzen: Dylan, so die Botschaft, gibt sich uns ganz hin, unverstellt, aber ohne einen Moment der Anbiederung. Er erinnert darin an den von ihm verehrten Jazz-Trompeter Miles Davis, der dem Publikum den Rücken zudrehte, so wie sich Dylan nun in Dunkelheit hüllt.
Offenes Buch
„Einmal wird alles anders sein, wenn ich mein Meisterwerk male“, träumt sein lyrisches Ich im Song von 1971. Als hätte der 84-Jährige nicht genug Meisterwerke hinterlassen, stellt er jetzt „When I Paint My Masterpiece“ lustvoll auf den Kopf, arrangiert zur Melodie des Swing-Klassikers „Puttin‘ On The Ritz“. Der Bassist Tony Garnier und die beiden Gitarristen Doug Lancio und Bob Britt malen Dylan vor dem grauen Bühnenvorhang einen tief-farbigen Hintergrund, ohne sich mit längeren als Soli nach vorne zu spielen. Schlagzeuger Anton Fig fühlt sich in das Tempo des Gesangs ein, anstatt die treibende Kraft zu sein.
So entsteht der Eindruck, dass zwar die Set-List in Stein gemeißelt ist, die Färbung des jeweiligen Konzerts aber selbst für die Band unvorhersehbar. So scheinbar verschlossen Dylan an diesem Abend auch auftrat, war er doch musikalisch ein offenes Buch und das Konzert in der Arena so intim wie ein Atelierbesuch. In Köln malte er ein Meisterwerk.

