Maler Hans HartungKunstmuseum Bonn zeigt fulminantes Spätwerk

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Hans Hartung

Hans Hartung: "T1989-R45" aus dem Jahr 1989.

Bonn – „Ein Imker mit Hexenbesen schlägt gezielt auf etwas ein, das auf einer Staffelei sitzt.“ Diesen Exorzismus beschreibt Katharina Grosses Katalogbeitrag, der ins Herz der Bonner Schau „Hans Hartung – Malerei als Experiment, Werke 1962-1989“ zielt. Dabei ist das auf einem Foto festgehaltene Ritual von 1982 leicht enträtselt: Der Imker ist der Maler (1904-1989), der im Atelier mit einem Reisigbündel ein Gemälde traktiert.

Mit derart kalkulierter Wildheit warf der dreifache Documenta-Teilnehmer Hartung ab den 1960er Jahren seinen welkenden Starlorbeer als Informel-Größe radikal über Bord.

Fronteinsatz mit der Fremdenlegion

Stephan Berg ist als Direktor des Kunstmuseums Bonn stolz, „dass wir die erste zusammenfassende Ausstellung des Spätwerks seit 30 Jahren zeigen können“. In der überdies erstmals die vier größten Bilder (jeweils fünf Meter breit) gemeinsam zu bewundern sind. Welche Kontraste allein in diesem Zentralraum faszinieren: hier ein kraftvoll ausbrechender blaugrüner Farbvulkan, dort eine filigrane Wolke, die am unteren Rand ins Nichts zerstiebt.

Zu diesem Zeitpunkt hat Hartung viel erlebt: Flucht vor den Nazis, Fronteinsatz mit der Fremdenlegion, der ihn ein Bein kostet. Im Rückzugsort von Antibes, wo der gebürtige Leipziger mit seiner Frau Anna-Eva Bergman seit 1973 lebt, löst der französische Staatsbürger (seit 1946) alle Fesseln der Konvention.

Bergman stirbt 1987, doch der gesundheitlich schwer angeschlagene Witwer steigert sich in einen Schaffensrausch ohne Déjà-vu-Effekte. Im Todesjahr, in dem er noch 360 Werke herausschleudert, sitzt er im Rollstuhl und sprüht per Kompressor Farbe auf die Leinwand.

Bis heute bewahrt die Hartung-Bergman-Stiftung an der Côte d'Azur seinen Nachlass und schickt ihn in die Welt, um das Erbe lebendig zu halten. Bonn konnte, so Kurator Christoph Schreier, mit rund 40 (prinzipiell unbetitelten und nur durchnummerierten) Bildern aus dem Vollen schöpfen. Der Beginn des chronologischen Parcours zeigt, wie Hartung noch an der Linie festhält, die lange das Gerüst seiner Werke war. Da gibt es Fächer, Spiralgeflechte oder haariges Gewölle.

Doch dann übernimmt die Farbe das Kommando. Oft als aufgesprühter Nebel, aus dem gelbe Raubtieraugen leuchten oder ein Licht am Ende eines angedeuteten Tunnels aufscheint. Gewiss, Hartung malt abstrakt, doch seine lichtstarken Acryl- oder Vinylstudien in den Lieblingsfarben Blau und Gelb senden unentwegt Einladungen an unsere Assoziationskraft. Manchmal glaubt man, Vogel- oder Insektenschwärme zu erkennen, dann Eisenspäne, die von Magneten aus der Bildmitte gedrängt oder in sie hineingesaugt werden. Hier leuchten türkisfarbene Polarlichter, dort ist ein loderndes Kreuz in den purpurnen Himmel gebrannt.

Während manches Gemälde in duftig-pudrigen Farbverläufen Harmonie verströmt, zeigen andere die harte Hand des Künstlers: Da entdeckt der Besucher rabiat kratzenden Bürsteneingriff und maschinell beschleunigten Partikelflug. Hans Hartung hat schon früh mit umgebauten Staubsaugern als Farbschleudern experimentiert. In Bonn sieht man neben ausgewählten Fotoarbeiten einen peniblen Katalog seines Geräteparks: Pinsel aller Formate, mehr oder minder breite Walzen, Messer, Bürsten, Rechen oder Zweige, mit denen er Schrunden ins Werk peitschen konnte. Betrachtet man seine Bilder von der Seite, wirken manche denn auch fast wie Reliefs.

Die luftig und spannungsvoll gehängte Schau lädt nicht nur zur spannenden Neuentdeckung eines (fast) Vergessenen ein. Sie lässt die Energieströme dieser Werke ungehindert fließen und gibt den irisierenden Farben hypnotische Kraft. Mag sein, dass Hans Hartung keine Botschaften gemalt hat. Doch auf dem letzten Großformat von 1989 scheinen schwarze Tränen an einer Scheibe herunterzurinnen – ins endgültige Dunkel.

Vom 24. 5. bis 19. 8., Di-So (auch Fronleichnam) 11-18 Uhr, Mi 11-21 Uhr. Katalog: 28 Euro. Friedrich-Ebert-Allee 2.

www.kunstmuseum-bonn.de

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