Andrés Orozco-Estrada wird neuer General-Musik-Direktor der Stadt Köln. In Nachfolge von François-Xavier Roth leitet der 45-Jährige ab der Spielzeit 2025/26 das Gürzenich-Orchester und wird musikalischer Leiter der Oper Köln.

Andres orozco estrada
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„Am liebsten würde ich jetzt mit Musik reden.“ Andrés Orozco-Estrada denkt offenbar schon zwei Jahre voraus. Denn dann wird er nach der Sommerpause den Stab von Generalmusikdirektor (GMD) François-Xavier Roth übernehmen, dessen Vertrag im August 2025 endet.
Absage im Jahr 2013
Bei der Vorstellung im Historischen Rathaus zeigte der in Kolumbien geborene und in Wien musikalisch zum Wunder erklärte Dirigent, dass ihm außer der Sprache der Musik auch manch andere Gabe gegeben ist: Erzähltalent, gewinnendes Naturell und eine unerschütterliche Ehrlichkeit.
Orozco-Estrada war nämlich vor zehn Jahren schon einmal der heiß umworbene Wunschkandidat als Kölner GMD und sollte auf Markus Stenz folgen. „Ich war damals noch nicht so weit“, begründete er frei heraus seine Absage Anfang 2013.
Zu unsicher sei ihm damals die Situation der Opernbaustelle gewesen. „Es fehlte was. Da war das Gefühl, dass die Oper nicht fertig wird.“ Aus heutiger Sicht eine fast prophetische Einschätzung, im Juli 2015 wurde die Verschiebung der Wiedereröffnung auf damals unbestimmte Zeit verkündet. Aber: „Man trifft sich im Leben immer zweimal“, sagte der 45-Jährige.
Oberbürgermeisterin Henriette Reker berichtete aus der Findungskommission, dass sie „selten so breite Zustimmung und Begeisterung erlebt habe.“ Im Gremium saßen neben ihr Kulturdezernent Stefan Charles, Opernintendant Hein Mulders und Stefan Englert, der Geschäftsführende Direktor des Gürzenich-Orchesters. Als Experten waren die US-amerikanische Kulturmanagerin Pamela Rosenberg (ehemalige Intendantin der San Francisco Opera) und Paul Müller (Intendant der Münchner Philharmoniker) hinzugezogen.
Gegenseitige Wertschätzung
Das Gürzenich-Orchester vertraten die 1. Konzertmeisterin Natalie Chee und Hornist David Neuhoff. Eine positive Grundstimmung habe Orozco-Estrada im November verbreitet, als er kurzfristig für die erkrankte Joana Mallwitz einsprang. „Es war eine phantastische Probenwoche voller gegenseitiger Wertschätzung“, erklärte Neuhoff. Die Chemie stimme.
Das konnte auch Opernintendant Hein Mulders, der mit dem Dirigenten bereits im Essener Aalto-Theater zusammenarbeitete, für seinen Teil bestätigen. „Für uns beide ist das eine neues Kapitel, was die Oper betrifft. Er ist expressiv, detailversessen, ein Energiebündel.“ Manchmal sei er im Dirigieren so dynamisch, so Mulders, dass er weggucken müsse. „Aber er lässt einen auch wegträumen. Auf seine Interpretationen des großen Musiktheaterrepertoires bin ich sehr gespannt.“
Orozco-Estrada hat Opernerfahrung, mit Mulders zusammenzuarbeiten, sehe er als große Chance. Das Renovierungsdesaster am Offenbachplatz thematisierte er nicht mehr. Für ihn sei es ein „neues Haus“, das tolle Gelegenheiten gebe, die Menschen für die Oper zu begeistern. Und die Philharmonie brauche zwar irgendwann eine Renovierung, funktioniere aber ganz gut.
Das Orchester bringe Freude und Energie mit, sei hervorragend und habe viel Potenzial. „Ich weiß, wie ein Orchester klingen soll, und ich habe Ziele.“ Gemeinsam werde man sich auf den Weg machen, zu einem der herausragenden deutschen Orchestern zu werden. Zuwendung nannte der künftige Maestro als Tugend.Der Fünf-Jahres-Vertrag sieht laut Stefan Englert feste Präsenztage und Phasen vor. Noch müsse er aber dem Hauptausschuss vorgelegt werden.
Wien weiter als Lebensmittelpunkt?
Für Gerald Mertens, Geschäftsführer der Orchestervereinigung „unisono“, ist Orozco-Estrada unstrittig einer der herausragenden Dirigenten seiner Generation. „Er kann gut mit dem Publikum.“ Offenbar habe Köln genau diesen Mann am Dirigentenpult gewollt – und sich damit gegen eine Frau in dieser Position entschieden. „Nun ist die Frage, ob mehr Frauen zum Beispiel als Gastdirigentinnen eingeplant werden.“ Zum Thema Präsenz sagte der „unisono“-Chef: „Man wird sehen, ob er auch die 25. Aufführung einer Oper dirigiert.“
Auf die Frage, ob er das von Roth ins Leben gerufene Bürgerorchester und den Chor fortführen werde, bejahte Orozco-Estrada. Ob er aber Wien gegen Köln als Lebensmittelpunkt tauschen werde, ließ er offen. „Das muss ich mit meiner Frau diskutieren. Ich möchte mich hier zu Hause fühlen.“
Sein Debüt beim Gürzenich-Orchester hatte er schon 2012 gegeben. Im vergangenen Jahr begeisterte er an einem Juniabend zusammen mit den Pianistinnen Katia und Marielle Labèque und der „Filarmónica Joven de Colombia“.
Geige als Kind erlernt
In der Kölner Philharmonie gastierte er in den vergangenen Jahren unter anderem mit dem WDR Sinfonieorchester, dem Mahler Chamber Orchestra, London Philharmonic oder dem hr-Sinfonierochester. In Köln ist er bislang noch nicht als Operndirigent in Erscheinung getreten. Aber in seiner Biografie tauchen Arbeiten an der Staatsoper Stuttgart, der Staatsoper Unter den Linden, an der Wiener Staatsoper, am Theater an der Wien und an der Boston Lyric Opera auf, wo er unter anderem die musikalische Leitung von Opern von Mozart, Verdi, Rossini, Puccini oder auch Richard Strauß übernahm. Auf CDs widmete er sich hauptsächlich sinfonischer Musik, Schwerpunkte sind hier sicherlich Dvorak und Strauß, von dessen Oper „Salomé“ eine Live-Aufnahme mit Orozco-Estrada vorliegt.
Der 45-Jährige war von 2014 bis 2021 Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters in Frankfurt. Gleichzeitig leitete das Houston Symphony Orchestra. Von 2020 bis 2022 war er Chefdirigent der Wiener Symphoniker, wo er im April sein Amt wegen Differenzen mit dem Orchester mit sofortiger Wirkung niederlegte. Die Symphoniker sagten, der Grund sei seine Entscheidung, seinen Vertrag nicht über 2025 hinaus zu verlängern.
Als Kind hatte Andrés Orozco-Estrada Geige gelernt, mit dem Dirigieren begann er im Alter von 15 Jahren – noch in seiner Heimat Kolumbien. 1997 emigrierte er nach Österreich, wo er seine Ausbildung fortsetze und abschloss.
„Eine tolle Entscheidung!“
Bei Kölns Kulturpolitikerinnen und -politikern herrscht Einigkeit, was die Personalie Andrés Orozco-Estrada angeht: „Das scheint mir ein guter Griff zu sein!“ sagt Lorenz Deutsch (FDP). Ralph Elster (CDU) ergänzt: „Schön, dass es diesmal klappt! Wenn er jetzt mit dem Orchester harmoniert, ist das eine tolle Entscheidung.“ Für Brigitta von Bülow (Grüne) ist er „Teamplayer mit internationaler Erfahrung und Ausstrahlung. Und das ist gut für das Orchester, die Oper und die Stadt.“ Aber sie stimmt Maria Helmis (SPD) zu, die sagt: „Ich will wirklich nicht, dass es wirkt, als sei ich nicht glücklich mit der Wahl. Aber in der Besetzung hätte auch eine wegweisende Chance liegen können, bezogen auf die Repräsentanz von Frauen in Leitungsfunktionen. Umso stärker hoffe ich, dass er sich der Frauenförderung annimmt.“ (HLL)
