Florian Illies’ neues Buch „Wenn die Sonne untergeht“ beschäftigt sich mit Thomas Mann und seiner Familie im Exil.
Neues Buch von Florian IlliesWas erlebte Thomas Mann auf dem Weg ins Exil?

Der Autor Florian Illies
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„Es geht scheinbar um Bilder und Bücher aus der Vergangenheit. Doch für mich sind sie nicht vergangen, weil wir sie eben heute sehen und lesen und also: erleben. Deshalb versuche ich, Vergangenheit, die mich berührt, als Gegenwart zu erzählen.“ Das schreibt Florian Illies in seiner Vorbemerkung zu einem Buch mit Texten zur Kunst. Und genau das hat der Autor zu einer passionierten Perfektion getrieben, seit er in „1913 - Der Sommer des Jahrhunderts“ dieses von vielen als „neues Genre“ gefeierte Prinzip zum ersten Mal aufs Papier brachte.
Das ist 13 Jahre her. Die fast unverschämte literarische Indiskretion triggert den Leser schon mit den ersten Sätzen. Thomas Mann hat sich fast geoutet, Franz Kafka ist verrückt vor Liebe, Else Lasker-Schüler unsterblich verliebt in Gottfried Benn, und im fernen Amerika schießt ein Junge namens Louis Armstrong mit einer Pistole in der Gegend herum, landet in einer Besserungsanstalt und lernt, Trompete zu spielen.
Unwiderstehliche Mischung
Es ist eine unwiderstehliche Mischung aus Biografien, Fakten, Spekulationen und Zeitgeschichte, die der 1971 geborene Multitasker hier zusammenmengt. Kulturgeschichte zum Hineinkuscheln, vor dem Hintergrund der schrecklichen politischen und menschlichen Wirren des letzten Jahrhunderts.
Ebendies geschieht in „Liebe in Zeiten des Hasses“ über die berühmten Liebespaare der 1930er Jahre. Auch hier vermischen sich Historisches und Privates zu einem fast boulevardesken Cocktail, der von Kritikern schon einmal gern als Kitsch abgetan wird. Doch so einfach ist das nicht. Nicht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Florian Illies für diese Romane Unmengen an Recherchen investiert, Fotografien betrachtet, Tagebucheinträge und Briefe liest, in historischen Archiven kramt, Filme anschaut und Dokumentationen sichtet.
Die Manns im Jahr 1933
So auch für das jüngste Buch „Wenn die Sonne untergeht“, das die Familiengeschichte der Familie Mann während ihrer Emigration aus Deutschland im Jahr 1933 erzählt.
Oje, nicht noch ein Buch über Thomas Mann, den wir doch dieses Jahr ausgiebigst zum 150. Geburtstag gefeiert haben! Erster Gedanke. Aber schnell wird man hineingezogen in einen Strudel aus Originalzitaten und Spekulationen, Fakten und Fiktion. Bis sich die Großfamilie um den nicht wirklich liebenswerten Tommy schließlich im südfranzösischen Sanary geschart hat, sind wir im Bild über ein kompliziertes, diffiziles Geflecht von Beziehungen.
Angst vor den Inhalten der Tagebücher
Erfahren, wie sich Golo abrackert und der Vater ihm trotzdem die Anerkennung verweigert, nach der er sich in seiner „gehemmten, vernuschelten Schlaksigkeit sehnt“. Wie sich die Eltern fühlen in den edlen Räumen der Villa Castagnola, so schreibt Katja an Klaus: „wie welkes Herbstlaub, das obdachlos umhergewirbelt wird“. Erleben, wie Klaus und Erika die Küstenstraße nach Sanary-sur-Mer entlangfahren, „den Kopf aus dem Autofenster, um den Fahrtwind zu spüren und den Süden zu riechen“.
Sehen Thomas Manns Angst, dass der Inhalt der in München zurückgelassenen Tagebücher ans Licht kommt und von seinen „Neigungen“ Kenntnis gibt. Nehmen belustigt zur Kenntnis, dass Heinrich seine Geliebten sogar noch im Bett siezt. Und „Klaus liest wie besessen, schreibt, nimmt viele Drogen, manchmal dreimal am Tag, er träumt wild und sucht nach Strichjungen, die ihn kurz trösten, bevor auch sie merken, dass er untröstlich ist.“
Verzweifelte Hoffnung
Das leichtgewichtige Intermezzo jedoch flankiert die dramatischen politischen Verwerfungen jener Monate, als die Nazis die Macht in Deutschland ergreifen. Das langsame, erschütterte Begreifen des Nobelpreisträgers, als klar wird, dass er, der große Mann der deutschen Kultur, nicht mehr erwünscht ist in seiner Heimat. Die Gefahren von Fluchten in der verzweifelten Hoffnung, vielleicht doch noch etwas zu retten aus den Trümmern einer Existenz.
Im umfangreichen Anhang gibt es Wissenswertes über die Wohnorte des Exils, die handelnden Personen, einen Stammbaum der Familie Mann und wie es weiterging in der Fremde. Dabei wird noch einmal klar, dass enorme Fleißarbeit, Fachwissen, Fantasie und Beobachtungsgabe in all diesen Zeitgeist-Kaleidoskopen stecken.
Florian Illies: Wenn die Sonne untergeht. Fischer Verlag, 325 S., 26 Euro. Für die lit.Cologne-Lesung am Samstag, 25.10., 17.30 Uhr in der Flora Köln gibt es noch Karten.
