Premiere „Idomeneo“ in KölnZombies zu Mozarts Musik im Staatenhaus

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Tenor Sebastian Kohlhepp in seinem Rollendebüt als Kreterkönig „Idomeneo“.

Tenor Sebastian Kohlhepp in seinem Rollendebüt als Kreterkönig „Idomeneo“.

Mozarts Oper "Idomeneo" feierte im Staatenhaus Premiere. Regisseur Floris Visser inszenierte ein gegenwärtiges Stück von Kriegsgräuel und Traumata . 

Seinen schrecklichen Schlund öffnete Meeresgott Neptun schon auf so mancher Opernbühne – scheunentorgroß, um in monumentalen Bildern zu Mozarts „Idomeneo“ alle Abgründe zu zeigen, in die der heimkehrende Kriegsveteran und König der Kreter gerät. Floris Visser kommt in seiner modernen Inszenierung im Staatenhaus nun ohne solche Einschüchterungsversuche aus.

Strichmännchen mit Dreizack

Sein Held ist erschreckend gegenwartsbezogen, leidet am Kriegstrauma und landet in der Gummizelle: Dort kritzelt er Neptun und seinen Dreizack als Strichmännchen an die Wand. So fängt es an. So hört es auf.

Auch wenn mancher im Publikum bei der Premiere zwiegespalten wirkte, ob so allgegenwärtige Bilder von Geiseln, Leichensäcken und Kriegsbegräbnissen auf die Bühne geholt werden sollen, wirkte der Ansatz des niederländischen Regisseurs rund. Visser gilt als eines der führenden Talente einer neuen Generation von Opernregisseuren.

Das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Rubén Dubrovsky — mit dem grandiosen Chor arbeitete Rustam Samedov — spielte gut sichtbar vor der Bühne in großer Besetzung, blieb aber kammermusikalisch schlank und agil.

Kein Meerungeheuer

Das Stück fesselt: Der von Homer geschilderte Krieg zwischen Griechenland und Troja, also zwischen einer politischen Achse des Mittelmeerraumes und der östlich-vorderasiatischen Achse, ist aus. Doch er hallt nach. Auf der Bühne macht Visser das durch quasi pantomimische Figuren deutlich, die zeigen sollen, wie es in der Psyche der Kriegsbeteiligten aussieht.

Kein Meerungeheuer plantscht da herum. Aber die Elemente Erde, Feuer, Wasser, Luft und Wind bleiben präsent – manchmal aus der Perspektive der Gummizelle, dann wieder am felsigen Strand (Bühnenbild Frank Philipp Schlößmann).

Zurückgekehrt begegnet Kreterkönig Idomeneo (Sebastian Kohlhepp) als erstem Menschen seinem Sohn Idamante (Anna Lucia Richter) — just an dem Strand, an dem er ihn als spielendes Kind ein Jahrzehnt zuvor verließ, um in den Trojanischen Krieg zu ziehen. Die Badehose wechselt er vor Publikum gegen den Kampfanzug.

Im Angesicht des erwachsenen Sohns ist er erschüttert: Hat er Neptun bei seiner Rettung auf stürmischer See doch versprochen, den ersten Menschen zu töten, der ihm bei der Rückkehr auf die Insel begegnet. Hier arbeitet Visser mit Bildern, die vorgreifen und zurückgehen: Nackt und blutig wie ein Neugeborenes strauchelt der Sohn im Sand. Später ist es der abgeschnittene Kopf, der dem Kriegsveteranen in den Schoß fällt.

Verzweifelter Held

Schlimme Bilder spielen sich vor allem in seinem Gehirn ab. Und diese Zerrissenheit spielt Sebastian Kohlhepp, neben seinem großartigen Part als Tenor, schauspielerisch brillant. Die virtuose Arie „Fuor del mar“ gestaltet er in seinem Rollendebüt mit berührender Musikalität, lässt die Verzweiflung des Helden unmittelbar spüren, Anteil nehmen.

Anna Lucia Richter und Kathrin Zukowski singen als Liebespaar „Idamante“ und „Ilia“ so mitreißend, dass es nicht nur am Firmament über Kreta knistert. Ilias Rivalin Elektra (Ana Maria Labin) packt das Publikum in der Schlussarie. Auch sie ist als Tochter Agamemnons, der die Griechen im Krieg anführte und von seiner Frau Klytaimnestra getötet wurde – Opfer eines Familienfluchs.

Im Zentrum steht Idomeneo, der am Ende wie eine Hülle seiner selbst erscheint: Gebrochen, schuldig, als Repräsentant eines überkommenen Staatsmodells, das noch mit Rachegöttern arbeitet. Idamante und Ilia, Tochter des besiegten Trojanerkönigs Priamos, übernehmen am Ende die Macht, verkörpern die neue, friedvolle Ära, wecken Hoffnung.

Im Zeitalter des Barocks und der Aufklärung hatte Idomeneo den Rang eines Herrschers, der seiner Rolle nicht gerecht wird, so wollten es die Humanisten. Trotzdem stehen Fluch, Rache und Blut im Raum. Visser holt Zombies, die an Horrorfilme erinnern, aus der Bühnen-Versenkung. Nachdem sie sich wie in einer Yogaübung aufgerichtet haben, wandeln sie anschließend durch das Bühnenbild.

Glückliches Ende

Zuletzt ist es bei Visser dann doch recht viel „Personal“, das dort neben den Sängerinnen und Sängern durchs Bild huscht. Aber das passt irgendwie auch zur Mozartschen Machart, da es in der Oper ja unentwegt weitergeht. Mit dem „Idomeneo“ betrat er neues Terrain, indem er die seinerzeit am Hofe übliche französische Musiktragödie mit dem stimmlichen Glanz der italienischen Oper zusammen brachte und mit einem glücklichen Ende versah.

Für Mozart war der „Idomeneo“ nach dem Libretto von Giambattista Varesco ein Experiment. Zu seinen Lebzeiten schloss sich nach der Uraufführung 1781 in München 1786 eine konzertante Aufführung in Wien an. In der Folge wurde die Oper meist nur in Bearbeitungen aufgeführt – gekürzt, mit gesprochenen Dialogen oder gänzlich neuem Libretto. 1972 fand der Spuk ein Ende, als „Idomeneo“ im Rahmen der neuen Mozart-Ausgabe erschien.

Dreieinhalb Stunden, wieder 22., 25. und 28. Februar, am 2., 8., 10. und 13. 3.

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