Die Sopranistin Carolina López Moreno und Regisseur Carlos Wagner sprechen vor der Premiere von „Manon Lescaut“ über große Gefühle, mutige Frauen und Puccinis geografische Schwächen.
Vor Premiere in Köln„Die Heldinnen sind bei Puccini immer die Frauen“

Carolina López Moreno und Carlos Wagner im Staatenhaus.
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Sopranistin Carolina López Moreno und Regisseur Carlos Wagner entwickeln eine neue Manon Lescaut. Eine junge Frau, die eine so leidenschaftliche wie gesellschaftlich wenig geduldete Beziehung mit dem Studenten Des Grieux eingeht. Jan Sting sprach mit ihnen über Puccinis Skandalfigur.
Als Mittdreißiger gelang Giacomo Puccini mit „Manon Lescaut“ im Turiner Teatro Regio 1893 der Durchbruch. War es dem zugrundeliegenden Skandalroman von Abbé Prévost zuzuschreiben, der von „Amour fou“ und Lotterleben in Paris erzählt? Oder waren es eher Puccinis Musik und seine neue Theatersprache?
Carolina López Moreno: Sein Erfolg lag auch darin begründet, dass er einen sehr guten Draht zum Musikverlag Ricordi hatte. Einem großen Befürworter, der das Ganze pushen konnte. Aber vor allem war Puccini ein Revolutionär, der eine ganz neue Intensität der Musik mitbrachte. Man erkennt schon hier das große Potenzial seiner Opern. Man merkt aber auch, dass es noch nicht der Puccini ist, den wir von seinen späteren Opern kennen.
Woran machen Sie das fest? Wo wird es hakelig?
López Moreno: Es ist nicht wirklich hakelig, es gibt einfach so musikalische Details, die noch nicht so ganz Hand in Hand gehen, kleine Brüche, die man später so nicht mehr findet. Aber in diesem Stück finden sich Passagen, die mit zum Schönsten überhaupt zählen, wie das Duett im zweiten Akt. Oder die Arie im finalen Akt. Beide beginnen mit einer Leichtigkeit und münden in eine krasse Intensität.
Manon, deren Strafe das Exil in Amerika ist, stirbt in der Wüste, sie verdurstet. Ein grausamer Tod. Wie spielt man solch eine Tragödie, das Sterben?
López Moreno: Tuberkulose habe ich schon durch, sich erdolchen habe ich schon durch, vergiften habe ich schon durch. Ich frage mich natürlich immer: Wo ist der größte Schmerzpunkt, wo ist die größte Schwäche? Beim Verdursten ist das Gehirn verwirrt, und man merkt wohl eigentlich gar nicht, dass man verdurstet. Es ist tatsächlich so, dass ich auf der Bühne schon ganzu nterschiedliche Tode gespielt habe. Oft waren es Selbstmorde, denn umgebracht wird man selten. In Puccinis Opern sind es meist die Heroinen, die sich für die Liebe opfern. Das ist schließlich der größte Beweis, den man für die Liebe geben kann.
Des Grieux geht für Manon mit in die Wüste. Würden Sie ihn als Held bezeichnen?
Carlos Wagner: Nein, als Helden nicht. Aber als Antihelden auf jeden Fall. López Moreno: Die Heldinnen sind bei Puccini doch in jeder Oper immer die Frauen.
Trägt Manon Schuld an ihrem Unglück?
López Moreno: Ja. Ich denke, sie schaufelt ihr Grab in dem Moment, als sie ihrem reichen Liebhaber Geronte sagt, „Schau dich an. Du bist hässlich. Und ich und des Grieux sind ein super Paar. “ Es ist ihre unreife Art in diesem Moment.
Manon und ihre große Liebe, der Chevalier des Grieux, sind sehr komplexe Figuren mit überwältigenden Emotionen. Wie setzen Sie das in nur drei Stunden szenisch um?
Wagner: Ich glaube, das Stück ist total auf die Personen fokussiert. Wir haben als neutralen Hintergrund eine abstrakte weiße Kiste genommen, ein Niemandsland von Anfang an. Auch in der Szene, in der nur Pomp und Reichtum dargestellt wird? Wagner: Auch da haben wir total reduziert, nur ein Kronleuchter ist übrig geblieben. Natürlich hat man die Möglichkeit, dieses Stück opulent und groß zu inszenieren. Und Puccini deutet das ja auch an, es gibt sogar Bühnenanweisungen. Aber wir haben gedacht, dass sich Augen und Aufmerksamkeit des Publikums voll auf die Sänger richten sollen.
Ort und Zeit verlegte Puccini nach Frankreich und Nordamerika, in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Frankreich unterstützte Amerika im Unabhängigkeitskrieg. Spielt die Entstehung der Demokratie eine Rolle?
Wagner: Ich habe mich eher auf die Entstehungszeit der literarischen Vorlage um 1730 verlegt, die Zeit Ludwig des XIV.. Eine extrem autoritäre Gesellschaft, Frauen hatten überhaupt keine Freiheit. Diese Umstände wollten wir in eine Zeit transportieren, die uns heute näher ist, und das waren für uns die 1950er Jahre, in denen Frauen sprichwörtliche erneut ins Korsett gezwungen wurden. Und es ist die Zeit, in der die neorealistische Filmrichtung aufblüht – für Puccini ist das genau die richtige Atmosphäre.
Den Sängern lassen Sie große Freiräume, sie partizipieren.
Wagner: Ich bin ja kein Sänger, komme vom Schauspiel und weiß manchmal nicht, was mit Gesang möglich ist. Ich denke, wenn man alles vorschreibt, ist das für den Darsteller wie eine Zwangsjacke. Also gebe ich lieber ein paar Zielpunkte an und lasse die Sänger oft selbst den Weg suchen. Bei Carolina war das einfach und hat richtig Freude gemacht, weil Sie wirklich auch Schauspielerin ist. Das macht einen großen Unterschied!
Was hat Sie für Ihre Rolle der Manon inspiriert?
López Moreno: Ich habe die Oper schon mehrmals gesehen, aber sie hat mich irgendwie nie wirklich berührt. Aber ich bin mehr und mehr begeistert, auch wie wir den vierten Akt gelöst haben. Carlos hat gesagt, „Setz Dich hier hin, und wir zeigen Dir, was für eine Idee wir haben.“ Da bin ich total aus dem Häuschen gewesen – mein Lieblingsmoment!
Verraten Sie uns, was im vierten Akt bei Ihnen nun anders ist?
Wagner: Insgesamt sind es elf Damen, die ins Exil geschickt werden. Und im letzten Bild sind sechs davon noch da, also nicht nur Manon und Des Grieux. Sehr oft ist im vierten Akt immer nur die sterbende Manon zu erleben, und ich wüsste gar nicht, wie man als Regisseur diese Spannung halten soll. Deswegen bringen wir die anderen gefangenen Damen mit rein, das gibt dem Ganzen etwas Abstraktes, Choreografisches. War es damals in Frankreich eine übliche Strafe, Prostituierte nach Louisiana zu deportieren? Wagner: Es waren gar nicht nur Prostituierte, sondern einfach Frauen, die aneckten, gestohlen hatten oder die einfach jemand beschuldigt hatte. Oft wurden solche Anschuldigungen gar nicht hinterfragt, es gab keinen Prozess, und sie wurden einfach verhaftet. In Pŕevots Novelle steht, dass das Schiff in den USA anlegt, und dann kommen einfach irgendwelche Rednecks aus irgendeinem Dorf und dürfen die Frauen mitnehmen. Für mich ist der vierte Akt eine Abstraktion. In Louisiana gibt es zum Beispiel gar keine Wüste. Also, da hat Puccini nicht aufgepasst in Geografie, oder?