Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

PremierePiazzollas kleine Oper erobert Publikum im Staatenhaus

Lesezeit 4 Minuten
María de Buenos Aires

María de Buenos Aires

Die Premiere der "María de Bueons Aires" von Astor Piazzolla im Staatenhaus wurde frenetisch bejubelt.

Musik und Poesie gehen eine fesselnde Verbindung in Astor Piazzollas kleiner Oper („Tango Operita“) „María de Buenos Aires“ ein. In 16 Stationen erzählen er und Librettist Horacio Ferrer in opulenten Bildern aus der argentinischen Hauptstadt. Surreal und atmosphärisch dicht ist die Titelfigur der María (Adriana Bastidas-Gamboa) angelegt, die die Stadt und den Tango sowie seine mitunter geisterhaften Geschichten verkörpert – zuletzt nur noch als Schatten ihrer selbst.

Gefühlsrausch und Reizüberflutung

Es grenzt zwar an Reizüberflutung, was dem Publikum des Staatenhauses bei der Premiere an Eindrücken durch Sprachwitz und Wortspiele — und nicht zuletzt durch Impressionen auf der riesigen Videoleinwand — vermittelt wird. Aber Lyrik und Musik lassen selbst in kleinsten Sequenzen einen wundervollen Kosmos erahnen. Am Ende ist es daher egal, ob das Stück schlüssig ist oder die Handlung nachvollziehbar. Gefühlsrausch und packendes Erlebnis ist die kleine Oper allemal.

Teresa Rotemberg (Inszenierung & Choreografie) hat die sehr spezielle Handlung ganz frei einfach zehn Jahre nach der Uraufführung (1968) angelegt, erzählt von der Fußballweltmeisterschaft im Juni 1978. Im Ausnahmezustand war Argentinien in der Endrunde. Das Gastgeberland wurde Weltmeister im Finale gegen die Niederlande.

Gerne hätte die Militärjunta den Siegestaumel für sich verbucht. Aber schon vorher wurde einiges über die Machenschaften der Militärdiktatur (1976 bis 1982) bekannt, die vermeintliche Regimegegner kidnappte, folterte und sie spurlos verschwinden ließ (Desaparecidos). Heute geht man von bis zu 30.000 Todesopfern aus.

Rotemberg legt den Fokus auf die Erinnerungskultur und das funktioniert geradezu kongenial zum Plot der Oper, die zwischen dem Bandoneonspiel der Kneipen und dem Totenreich mit den verschwundenen Seelen pendelt. Herausgepflückt aus einem intensiven Leben, leben die Verschwundenen samt ihrer Kinder in den Gedanken ihrer Familien fort. Die Angehörigen der Opfer wandten sich an Gerichte, Polizei, Krankenhäuser und Behörden, stießen aber auf komplizenhaftes Schweigen.

Tonart Nein

Ein Jahr nach dem Putsch versammelten sich die Großmütter der „Plaza de Mayo“ im Zentrum von Buenos Aires und demonstrierten regelmäßig, um an die Verschwundenen zu erinnern. Bei der WM weckten die Proteste internationale Aufmerksamkeit. Unweit des River-Plate-Stadions, wo auch das Finale ausgetragen wurde, lag das Folterzentrum Esma, eines der betriebsamsten der insgesamt 340 Konzentrationslager im Land.

„Lasst uns einen Gesang in der Tonart Nein anstimmen“, schrieb Librettist Ferrer. Der Tango scheint für diese Tonart wie gemacht. Omar Massa am Bandoneon wurde vom Gürzenich-Orchester in kleiner Besetzung unter der Leitung von Natalia Salinas begleitet. Pulsierend ist der Rhythmus, präzise wie ein Uhrwerk.

Adriana Bastidas-Gamboa mit ungeheurer Bühnenpräsenz in der Titelrolle der María sorgt für Gänsehaut. Sie bildet ein Paar mit dem Cantador (Germán Enrique Alcántara), beide erfahren die Drangsal eines Verhörs durch die Militärs mit riesigen Köpfen aus Pappmaché (Kostüme Tanja Liebermann).

Sonderapplaus für das Tanzensemble

Das Werk ist eine reine Nummernoper, in dem sich Gesangsnummern, immer wieder unterbrochen von Sprecheinlagen des Duende (in der Rolle des Geists und Erzählers Tatiana Saphir) oder des Chores, mit instrumentalen Zwischenspielen abwechseln. Schon bald wurde Piazzollas Oper zum Mythos, auch Milva sang die Titelrolle. María steht sinnbildlich für die Verschwundenen, lebt als Schatten fort und gebiert ein Mädchen. Sie lebt also weiter (Tara Djuric in der Rolle als kleine María).

In Rückblicken erzählt sie aus ihrem Leben, von den Machos, die es ihr mitunter schwer machten: „Mein Herz wurde in den Löchern eines Billardtischs beerdigt.“ Piazzolla und Ferrer arbeiteten eng zusammen, verschanzten sich in einem Ferienhaus und entwickelten den atemberaubend surrealen Plot der Oper. Auch die „West Side Story“, die Piazzolla in New York so beeindruckt hatte, klingt an. Rotemberg fängt das alles spielerisch mit dem Tanzensemble auf, das von den Fußballern bis zu Tangotänzern und New Yorker Teenagern in immer neue Rollen schlüpft. Dafür gab es Sonderapplaus.

90 Minuten mit Pause, wieder am 28., 30. und 31. Mai sowie am 3., 5.,6., 8. und 9. Juni.