Rasantes Orgel-Gemetzel in KölnBei Cameron Carpenter kommt auch Bach unter die Räder

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Cameron Carpenter.

Cameron Carpenter.

Müsste der Flickenclown zur Beerdigung, sollte ihm Cameron Carpenter den Anzug leihen: das schwarze Tuch über und über besprenkelt mit lustigen Motiven, deren Grau nach der Pause einem Hauch von Farbe weicht. Auch die Orgel passte zum Trauerfall. Das düstere matte Finish schluckt das Licht der Scheinwerfer wie ein tiefes Brunnenloch.

Gibt es eine Kirche in Gotham City? Das Monster da vorne wäre jedenfalls das passende Instrument. Und Cameron Carpenter der einzig denkbare Kantor.

Schon klar, wir reden über ein Konzert. Aber tun wir bitte nicht so, als ginge es hier nur um Musik. Bei Carpenter geht es auch um Show, vielleicht sogar vor allem. Es hat sich längst rumgesprochen, dass der 1981 geborene US-Amerikaner die schnellsten Beine der Musikgeschichte hat.

Die Füße sind so flink wie bei Fred Astaire

Die berühmte Pedalfuge BWV 543, mit der schon Johann Sebastian Bach sein Publikum verblüffte, beginnt Carpenter in einem Tempo, das eigentlich nicht gut gehen darf. Oben auf den Manualen ist das noch keine große Sache, aber dann ist halt irgendwann der Bass an der Reihe und Beine sind nun mal träger als Finger. Aber nicht die von Carpenter. Seine Lederstiefeletten tänzeln über die hölzernere Klaviatur als steppe Fred Astaire. Das muss man einmal gesehen haben.

Die Hände beginnen sich derweil zu langweilen. Es reicht auch nicht, im Sekundentakt die Register zu wechseln. Die Finger verteilen sich bald auf drei und manchmal sogar vier Manuale gleichzeitig: Die Daumen greifen unten, die anderen Finger oben. Und zwischendrin ein blitzschneller Reflex, man sieht es kaum, schon wieder ist ein neuer Klang eingestellt.

Dabei hatte der Abend wirklich entspannt angefangen – am Spieltisch der philharmonischen Hausorgel. Da gab’s nichts zu sehen, nur zu hören, und zwar lupenrein phrasierten Bach, aus der Kunst der Fuge und dem Orgelbüchlein. Vielleicht arg schnell, aber doch bis ins Detail sauber gestaltet.

An der selbstentworfenen „International Touring Organ“ aber, bei der riesige Lautsprecherbatterien die traditionellen Pfeifenwerke ersetzen, wird das Spiel mehr und mehr zum Gemetzel. Bach gerät unter die Räder, man hört bald nur noch Carpenter. Was die Musik will - egal. Alles ist: zu laut, zu schnell, zu bunt, zu hektisch. Papa, guck mal, was ich kann. Die Registrierungen wechseln wie im Fieber, zersetzen musikalische Form und Logik. Es klingt wie eine Verkaufsshow beim Orgelhändler.

Um Bachs ist’s wirklich schade, um Howard Hansons zweite Sinfonie weniger. Es ist nicht so, als ob wir dieses pathetische Stück Restromantik jemals im Original hören wollten, aber so auch nicht: Carpenters Arrangement ist geradezu atemberaubend grotesk, das panische Herumgetrete auf den Dynamikpedalen trägt Züge der Verzweiflung.

Es stimmt, man muss dieses übergeschnappte Genie Cameron Carpenter einmal gesehen und gehört haben. Das reicht dann aber auch für eine ganze Weile.

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