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Fantasy-RomanIn „Katabasis“ reisen zwei Doktoranden in die Hölle – und finden nicht nur das Böse

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Rebecca F. Kuang bei ihrem Köln-Besuch.

 Rebecca F. Kuang bei ihrem Köln-Besuch.

In Rebecca F. Kuangs neuem Fantasy-Roman begeben sich zwei Cambridge-Doktoranden in die Unterwelt, um ihren verstorbenen Professor zurückzuholen. Doch je tiefer sie hinabsteigen, desto mehr hinterfragen sie ihre eigenen Motive.

„Die Hölle, das sind die anderen“, schrieb der französische Philosoph Jean-Paul Sartre. Diesen viel zitierten Satz hat man bei der Lektüre von „Katabasis“ nicht selten im Kopf: In ihrem neuen Roman schickt die chinesisch-amerikanische Autorin Rebecca F. Kuang Alice und Peter, zwei junge Cambridge-Doktoranden und angehende Magier, in die tiefste Unterwelt.

Die Mission der beiden: Ihren Doktorvater Jacob Grimes, der kürzlich durch einen von Alice mitverschuldeten Unfall gestorben ist, zurück ins Leben zu holen. Doch das schlechte Gewissen wegen Grimes’ Tod ist zumindest für Alice dabei nicht die einzige Motivation: Die von Ehrgeiz geradezu zerfressene junge Frau will den Professor zurück ins Leben holen, weil dessen Wort an der Universität Gesetz ist und sie mit einem Empfehlungsschreiben von ihm jede Stelle bekommen kann, die sie haben will.

Angewiesen auf das Wohlwollen des Professors

„Ich persönlich glaube gar nicht an ein Leben nach dem Tod“, verrät Rebecca F. Kuang im Gespräch mit der Rundschau in Köln. „Ich halte es für wichtiger, sich schon in diesem Leben moralisch zu verhalten und die Dinge wertzuschätzen, die einem wichtig sind.“

Für ihre Protagonisten hat sie sich allerdings eine detailreiche und ausgeklügelte Vorstellung der Hölle einfallen lassen. Fegefeuer und dreizackbewehrte Teufel sucht man hier vergeblich. Stattdessen bekommen es Alice und Peter, während sie sich durch die verschiedenen Höfe schlagen, mit launischen Gottheiten, kafkaesk wirkenden Prüfungen, die zum Erreichen der Wiedergeburt nötig sind, und blutrünstigen Zauberern zu tun, die ihnen nach dem Leben trachten.

Moralische Grenzen

Je länger die beiden durch die Unterwelt wandeln, desto mehr stellen die beiden Doktoranden – zwischen denen bald eine zarte Romanze aufkeimt – sich selbst und ihr bisheriges Handeln infrage. Steht die Traum-Karriere in Cambridge wirklich über allem, und wie viel lohnt es sich, dafür zu opfern? Über welche moralischen Grenzen dürfen Menschen gehen im Namen der Wissenschaft? Was macht das Leben wirklich lebenswert?

Und ganz nebenbei wird immer deutlicher, dass der Grund ihrer Expedition, Professor Grimes, in der Hölle eigentlich ganz gut aufgehoben ist: Er hat seinen Studierenden nämlich schon zu Lebzeiten regelmäßig die selbige auf Erden bereitet. Sein Nachname erinnert nicht umsonst an das englische Wort „grime“, das so viel bedeutet wie „Schmutz“.

Kein sprechender Name

Zwar hat Kuang sich hier nach eigener Aussage von der Oper „Peter Grimes“ von Benjamin Britten inspirieren lassen und kein solches Wortspiel beabsichtigt – doch einen „sprechenden Namen“ trägt Grimes gewissermaßen trotzdem. Geistiger Diebstahl, sexuelle Belästigung, Psychoterror und gnadenlose Ausbeutung seiner unterbezahlten und von ihm abhängigen Mitarbeiter Alice und Peter gehen auf sein Konto: Viel gutes Karma für die Reinkarnation kann er also nicht gesammelt haben.

In „Katabasis“ zeichnet Kuang auch ein alles andere als glamouröses Bild der Arbeit in Forschung und Lehre an Universitäten. Für eine Festanstellung nach der Promotion, für die sie Grimes’ Wohlwollen braucht, arbeitet Alice sich krumm und bucklig – sie schläft und isst kaum, Freundschaften oder gar Hobbys haben keinen Platz in ihrem Leben. Gleichzeitig muss sie sich mit dem alltäglichen Sexismus am Campus herumschlagen – ebenso wie mit der Konkurrenz zu ihren Kollegen, vor allem dem kongenialen Peter, gegen den Professor Grimes Alice kontinuierlich auszuspielen versucht.

Keine eigenen Erfahrungen verarbeitet

Kuang macht aktuell selbst ihren Doktor an der Elite-Universität Yale. Sind vielleicht ihre eigenen Erlebnisse in Alices Leidensbericht eingeflossen? „Nein, meine eigenen Erfahrungen mit dem Promovieren sind eher langweilig, aber überwiegend positiv“, lacht Kuang. „‚Katabasis’ ist ja ein Fantasyroman, und Geschichten sind spannender, wenn sie von Extremen handeln.“

Der Rechercheprozess für ihren Roman sei jedoch ähnlich verlaufen wie der für eine Abschlussarbeit, berichtet Kuang. Sie habe viel über unterschiedliche Beschreibungen der Hölle und der unsterblichen Seele gelesen.

„Als ich mit dem Schreiben anfing, wusste ich noch gar nicht, wie viel Zeit ich auf die ganzen griechischen Philosophen verwenden würde – und dann habe ich mich sehr lange mit Platon, Aristoteles und Sokrates beschäftigt“, sagt sie. Deren Einfluss ist auch an der Beschreibung der Magie in „Katabasis“ spürbar, denn die basiert auf Paradoxen, Logik und Mathematik.

Zimtschnecken und Sonnenstrahlen

Darüber kann sich Kuang auch gerne in teils seitenlangen Abhandlungen verlieren. Die schlucken zwar manchmal ein wenig die Spannung, doch trotzdem hat Rebecca Kuang mit „Katabasis“ ein wendungsreiches Fantasyabenteuer geschrieben. Und am Ende steht die Erkenntnis: Selbst in der Hölle ist nicht alles schlimm. Sie kann auch ein Ort der Freundschaft, Liebe und Solidarität sein, ein Ort, an dem man über sich selbst hinauswächst. Wer wie Alice und Peter einmal dort war, lernt die kleinen Freuden des Lebens im Diesseits zu schätzen: Eine Zimtschnecke, einen Sonnenstrahl, den Sternenhimmel.

Kuang will mit dem Roman jedoch nicht einfach banale Botschaften vom Typ „Carpe Diem!“ transportieren. Es sei komplizierter, meint sie. „Die Frage, mit der ich meine Leser am Ende zurücklassen will, ist: Welche Käfige der Selbsttäuschung haben wir für uns selbst gebaut, und wie können wir uns daraus befreien?“

Rebecca F. Kuang: Katabasis. Deutsch von Heide Franck und Alexandra Jordan. Eichborn, 656 S., 28 Euro.