TheaterkritikStefan Bachmann glückt mit dem Drama „Vögel“ ein großer Wurf

Melanie Kretschmann, Bruno Cathomas und Margot Gödrös am Krankenbett ihres Sohnes und Enkels.
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- Das Nahostdrama „Vögel“ stammt von Wajdi Mouawad.
- Der Riss zwischen Israelis und Palästinensern ist das Leitmotiv des Dramas.
- Stefan Bachmann gelingt damit im Depot 1 ein großer Wurf.
Köln – Du bist das, was du verabscheust“, wird der radikale Jude David am Ende von sich sagen. Und sein Sohn Eitan (Nikolay Sidorenko) sieht sich später an Vaters Grab als untröstlicher „Erbe zweier Völker, die einander zerreißen“. Dieser Riss zwischen Israelis und Palästinensern, aber auch mitten durch die Individuen, ist das Leitmotiv in Wajdi Mouawads Nahostdrama „Vögel“.
Wobei der Titel eine Utopie markiert, denn die Figuren in der ersten Saisonpremiere von Schauspiel Köln schweben eben nicht über Gräben und Mauern hinweg. Sie sind Gefangene, wie Stefan Bachmann im Depot 1 ebenso beklemmend wie subtil zeigt. Die Zerreißprobe beginnt, als Eitan den Eltern seine Geliebte vorstellt: Wahida (Lola Klamroth), eine Araberin, die in New York ihre kulturellen Wurzeln gekappt hat.
Frontalangriff auf die Familienfestung
Für David (Bruno Cathomas), der die Araber „in die Wüste zurückschicken“ möchte, geschieht hier ein Frontalangriff auf die Familienfestung, den er mit seiner Frau Norah (Melanie Kretschmann) abschmettern will. Dieser Schlagabtausch ist eine von vielen Rückblenden, denn auf der Mitte der Zeitachse liegt jener Terroranschlag, der Wahida und Eitan an der israelisch-jordanischen Grenze trifft. Sie bleibt unverletzt, er liegt auf der Intensivstation, und so muss die „Feindin“ seine Mischpoke samt den Großeltern Etgar (Martin Reinke) und Leah (Margot Gödrös) nach Tel Aviv bestellen.
Der kanadisch-libanesische Autor gibt seinem Stück jene Mehrsprachigkeit vor, die Regie und Ensemble brillant umsetzen. Wenn etwa Lola Klamroths Arabisch auf Bruno Cathomas' Hebräisch prallt und Englisch nur eine wacklige Brücke bleibt, ist das eben kein aufgeschminkter Gimmick, sondern macht das Brodeln aller Konflikte spürbar. Vor den geschlitzten Plastikvorhängen der nüchternen Bühne (Jana Findeklee, Joki Tewes) sucht Bachmann die Wahrheit nie im Offensichtlichen, sondern findet sie unter der Oberfläche.
Zart und präzise
Zwar toben Redeschlachten zwischen David, dem Shoah und Nahostkonflikt das Hirn vergiftet haben, und dem kühlen Biologen Eitan: „Unseren Genen ist unser Dasein egal“, schleudert er dem Vater entgegen, „Leid vererbt sich nicht von Generation zu Generation.“
Doch wenn David hinter dem Krankenbett des Sohnes kniet oder Eitan später das Kaddisch für den Vater spricht, tastet Bachmann das weiche Gefühlsgewebe hinter diesen Fronten ebenso zart wie präzise ab. Mit unaufdringlicher Virtuosität verzahnt die Regie eskalierenden Krieg mit privaten Scharmützeln, gleitet zudem schwerelos durch das hochkomplexe Zeitgerüst des Dramas.
Unaufhaltsam Richtung Apokalypse
„Vögel“ steuert unaufhaltsam auf eine Apokalypse zu, da Etgar und Leah ein ungeheuerliches Geheimnis über Davis hüten. Die fast ebenso erschütternde Pointe aber liefert Lola Klamroths grazile und unglaublich starke Wahida, als sie in den Schoß der arabischen Welt zurückkehrt.
An diesem makellosen Abend gibt es keinen mimischen Schwachpunkt, aber eine überragende Leistung: Bruno Cathomas knüpft an seinen „Hiob“-Triumph an: Sein David ist ein erschütternd-zorniger Schmerzensmann, der im stärksten Bild wieder zum nackten Baby wird. So fesselnd der Blick auf offene wie verborgene Wunden ist, so poetisch beschwört die Inszenierung Utopien: etwa in jener Legende vom Vogel, den die Welt der Fische so reizte, dass er in sie eindrang – und ihm unter Wasser Kiemen wuchsen. Eine friedliche Fusion, die im Nahen Osten illusorisch wirkt.
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Mit Weltverbesserung ist Theater ohnehin überfordert, aber es gelingt ihm selten so überzeugend, einen Kosmos voll widerstreitender Kräfte und Ideen zu erschließen. Wajdi Mouawad hat in Stefan Bachmann seinen idealen Interpreten gefunden. Großer Beifall.
Drei Stunden, wieder am 25.9. sowie 6., 11., 15. u. 20.10.Karten-Tel.: (0221) 221 28400.