Das Musical nach dem Dustin-Hoffman-Film feiert bejubelte Premiere an der Oper Bonn. Doch trotz starker schauspielerischer Leistungen und gelungener Inszenierung schwächelt die Produktion an entscheidender Stelle.
„Tootsie“-Premiere in BonnWenn gute Komödie auf schwache Songs trifft

Charmantes Doppel: Julian Culemann (Dorothy) und Bettina Mönch (Julie).
Copyright: Annabell Dornieden
Marketing ist für Musicals zum Dreh- und Angelpunkt geworden, am Broadway mit seinem riesigen Angebot umso mehr. Und so verstärkt sich mehr und mehr der Trend, aus Filmerfolgen ein Musical zu zaubern. Der Vorteil: Die Geschichte ist nicht neu und muss nicht mehr mit großem Aufwand erklärt werden. Zumindest die grobe Handlung ist bekannt. Auch hierzulande. Und davon profitiert in Köln „Moulin Rouge“ (nach dem Film von Baz Luhrmann) oder demnächst in Düsseldorf „Mrs. Doubtfire“ (nach dem Film mit Robin Willliams). Oder ganz aktuell „Tootsie“. Das Stück feierte jetzt seine bejubelte Premiere an der Oper Bonn, als Ko-Produktion mit dem Münchner Gärtnerplatz-Theater, wo 2022 die deutsche Erstaufführung stattfand.
Zeitlos aktuell: Themen von „Tootsie“
1982 brachte Sydney Pollack die Geschichte des erfolglosen Schauspielers Michael Dorsey auf die Leinwand, der als „Dorothy Michaels“ verkleidet eine Rolle in einer Krankenhaus-Soap ergattert. Dabei verliebt er sich in seine Co-Darstellerin Julie, die ihn als „Frau“ schätzen lernt, ihn als „Mann“ aber abblitzen lässt. Dustin Hoffman, damals Mitte 40, spielte die Figur mit Charisma, Witz und Würde, erlaubte der Figur Komik, ohne aber in Richtung Klamotte abrutschen. Charleys Tante ließ nicht grüßen!
Mehr als 40 Jahre später ist man erstaunt, dass die Themen, die das Drehbuchteam Larry Gelbart, Dick Richards und Murray Schisgal verarbeitete, immer noch aktuell sind: die Ungleichbehandlung von Frauen im Berufsalltag und im Privatleben. Und die prekären Bedingungen, unter denen viele Schauspielerinnen und Schauspieler leben und arbeiten müssen, haben sich beileibe nicht verbessert.
Von der Leinwand auf die Bühne
Und so dachte man sich, „Tootsie“ ist eine gute Basis für ein Musical. 2018 wurde die Show mit einem Buch von Robert Horn und Songs von David Yazbek in Chicago aus der Taufe gehoben, 2019 war die Broadway-Premiere.
Für die Bühnenfassung wurde die Originalgeschichte stark überarbeitet: Statt in einer TV-Produktion bewirbt sich Michael für die Rolle der Amme in einem Musical, das die Geschichte von „Romeo und Julia“ weitererzählt.
So gewährt die Show einen Blick hinter die Kulissen des Theaterbetriebes, inklusive eines selbstherrlichen und menschenverachtenden Regisseurs (und als dieser Ron Carlisle darf Daniel Berger in der Bonner Aufführung richtig vom Leder ziehen).
Kritikwürdige Verlegung: Von TV zu Theater
Doch im Laufe des Abends fragt man sich, ob es eine wirklich gute Idee war, die Geschichte ins Theaterumfeld zu verlegen. Während im Film Dorothy vor der Kamera die Stellung von Frauen in der Medizin und hinter der Kamera im Showbusiness kritisieren konnte, geht es in der Bühnenfassung nur um die Malässen hinter den Kulissen.
Nun könnte man hoffen, dass sich die eine oder andere Unebenheit, wie man so schön sagt, vertanzt. Allein die gute Musik fehlt! Klar, so eine Show wie „Tootsie“ lebt nicht davon, dass man ein „Memory“, ein „Send in the clowns“ nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Aber ein wenig mehr, als man bei „Tootsie“ geboten bekommt, sollte ein Musical schon drauf haben. Der schönste Song mit Abstand ist die Ballade „Und da war John“, die Julie über einen Ex singt. Und Bettina Mönch verfügt über die schönste Stimme des Bonner Ensembles und kann sie hier voll zur Geltung bringen.
Aber ansonsten fehlen wirklich schmissige Nummern und eingängige Refrains. Das fängt schon mit der Eröffnungsnummer an – eine Hymne an New York, der es an Grandezza mangelt – und zieht sich durch den Abend. Irgendwann weiß man nicht mehr, ob die Songs mit Absicht für das schlechte Stück im Stück absichtlich als mau angelegt wurden und ob deren mangelnde Qualität mal einfach auf den Rest abgefärbt hat.
Komik statt Musik: Schauspielerische Highlights
Klar, da gibt es schräge Comedy-Stücke wie „Was passier’n wird“, in dem Michaels Ex-Freundin Sandy mit ihrem Liebes- und Berufspech hadert. Vera Bolten (die in Köln auch in „Himmel und Kölle“ spielt) legt hier eine hysterische Meisterleistung hin. Auch Jan Nicholas Bastel als tumber Reality-Star Max und Mathias Schlung als Michaels schreibender Mitbewohner dürfen eine Reihe von Lachern auf sich ziehen.
Bleibt die Frage, wie Julian Culemann (auch er ist „Himmel und Kölle“ erprobt) seine Sache als Michael/Dorothy macht. Culemann hat die nötige Bühnenpräsenz, aber ist mit seinen Mitte 30 schon optisch viel jünger als Dustin Hoffman seinerzeit. Dass der gertenschlanke 1989 Geborene als Michael oft genug mit verkehrt herum aufgesetztem Baseball-Käppi auf der Bühne steht, lässt ihn noch jugendlicher (im Unterschied zu „verzweifelt auf jugendlich getrimmt“) daherkommen. Seine Dorothy gerät optisch eher zum verdrucksten Fräulein, dem man die feministischen Ausbrüche weniger abnimmt als Hoffmans bisweilen zur Dampfwalze mutierenden Matrone. An beiden Stellen hätten das Kostümbild (Claudio Pohle) mit entsprechenden Outfits für Michael und üppigerer Polsterung für Dorothy unterstützen können.
Gelungene Inszenierung trotz musikalischer Schwächen
Unterm Strich läuft der von Gil Mehmert inszenierte Abend eigentlich so gut geschmiert wie die permanent rotierende Drehbühne mit ihren skizzenhaften Aufbauten (Judith Leikauf, Karl Fehringer). Das Orchester unter Jürgen Grimm spielt munter auf (auch wenn die Abmischung zwischen Stimmen und Musikern noch zu Gunsten Ersterer nachjustiert werden sollte). Das Ensemble wirft sich mit Verve in die Choreographien (von Faye Heather Anderson). Kurzum: Alle leisten, was möglich ist, ein paar sogar etwas mehr.
Doch durchweg mediokre Musik macht aus einer guten Komödie noch keinen überzeugenden Musicalabend. Was wäre, ließe man die Songs einfach weg? Es bliebe ein nettes Boulevardstück mit vielen guten Gags. Im Film wurde damals auch nicht gesungen ...
170 Minuten (inkl. Pause). Wieder am 8. und 15. November, am 6., 13. und 22. Dezember sowie Termine von Januar bis Mai 2026.
