Kriegsende 1918Zusammenbruch des Kaiserreichs hinterlässt Land voller Gegensätze

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Erster WK 0811

Die Arbeiter hausen unter schlimmen Bedingungen: Ein Zimmer in einer Berliner Mietskaserne.

Für die meisten Menschen jener Zeit war es der Absturz in die Katastrophe, in eine Krise, die nicht mehr enden wollte. Die Mehrzahl der Deutschen traf der Schlag vollkommen unerwartet. Vier Jahre dauerte der Krieg jetzt schon, und der fünfte Winter stand bevor. Die Offensiven des Sommers waren verpufft, der Frieden mit Russland brachte keine Entspannung. Die Front stand immer noch erstarrt im Norden Frankreichs, wo Hunderttausende gestorben waren. Die zensierten Zeitungen redeten den Menschen ein, dass alles auf einem guten Weg sei. Deutschland vor dem Kriegsende: ein Land voller Widersprüche. Eine hochmoderne Industriegesellschaft – mit einem Parlament, das kaum etwas zu sagen hatte. Die Regierung berief der Kaiser, das Regiment jedoch führte seit spätestens 1916 das Militär.

Die Arbeiter wurden unterdrückt, aber sie trugen die Last des Krieges zum erheblichen Teil. Die SPD und die Gewerkschaften waren bei Wahlen erfolgreich, aber sie hatten sich in den Dienst des Krieges gestellt und kamen aus dieser Position nicht heraus. Im Land herrschte Unruhe, denn die Städte hungerten. Die Oberschicht gestaltete sich den Krieg erträglich, die Arbeiter hingegen fielen ins Elend. Es herrschte Arbeitspflicht auch für Frauen, aber es gab kein Wahlrecht für Frauen. Und die Sozialfürsorge versagte kläglich. Die Frage nach dem Warum stellte sich immer dringender. Doch der Krieg überlagerte alles: Es herrschte Burgfrieden, Belagerungszustand, man folgte zähneknirschend.

Oberste Heeresleitung erklärt den Krieg erstmal für verloren

Im September 1918 erklärte die Oberste Heeresleitung den Krieg erstmals für verloren, forderte den Waffenstillstand und riss damit den Schleier auf. Die Illusion vom siegreichen oder doch wenigstens ehrenhaften Frieden zerstob. Die kaiserliche Regierung leitete Verfassungsreformen ein und parlamentarisierte das Kaiserreich. Zu spät. Anfang November begann der Matrosenaufstand in der Kriegsflotte. Werftarbeiter, Soldaten des Heeres, Künstler, Literaten, Intellektuelle schlossen sich den Matrosen an.

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Tage später war ein Waffenstillstand geschlossen, der Krieg beendet, der Kaiser im Exil und die jahrhundertealten Dynastien der Länder gestürzt. Das Heer löste sich auf und strömte zurück. Das war der Zusammenbruch, wie es später immer wieder hieß. Noch im August ging es um den Sieg und Annektionen in Belgien und Frankreich. Deutsche Truppen standen tief in Russland. Jetzt war alles vorbei und alles verloren. Jetzt regierten plötzlich Sozialdemokraten, die vaterlandslosen Gesellen der Vorkriegszeit. Unglaublich!

Alles schien nun möglich: Der Sturz der verhassten staatlichen Obrigkeit, des Militärs, politische Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, eine soziale, ja sozialistische Gesellschaft, die Abschaffung des Kapitalismus: Der Himmel auf Erden. Die alten Gewalten wichen zurück.

Räte übernahmen

Räte übernahmen die Macht – oder glaubten wenigstens, sie zu übernehmen. Die bisherigen Machthaber wirkten wie paralysiert angesichts der Niederlage und des Ausbruchs von Freiheitswillen. Radikale auf der Linken wollten die ganze Macht. Radikale auf der Rechten wollten genau das mit Waffengewalt verhindern. Ein Bürgerkrieg begann, der erst vier Jahre später endete, dessen Folgen aber bis 1933 und 1945 reichten. In Bayern wurde gekämpft und in Berlin. In Mitteldeutschland gab es Aufstände und Versuche radikaler Linker, das Bürgertum zu unterdrücken. Rechte Freikorps verübten Morde, wo immer es ihnen gelang.

So offen wie alle dachten und wie auch Historiker immer wieder angenommen haben, war die Situation ganz offenkundig nicht. Die Mehrheit der Deutschen wollten keinen Umsturz, sie wollte eine parlamentarische Demokratie. Die Mehrheit der Deutschen wollte zurück zur Ordnung und hoffte auf einen erträglichen Frieden. Die Mehrheit wollte überleben. Die Mehrheit war auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht so unzufrieden wie die Aufständischen überall.

So bildeten sich rasch Bündnisse, zwischen den Kräften des kaiserlichen Staates und der neuen Regierung: Die Offiziere behielten Macht, denn die Regierung brauchte sie, um die Aufständischen im Griff zu behalten. Bei allen Friedensbekundungen drohte zudem immer der Einmarsch der Alliierten. Gewerkschaften und Arbeitgeber vereinbarten sich auf eine Sozialpartnerschaft und führten den Achtstundentag ein.

Doch der Traum von einer ganz neuen Republik ohne den Ballast des alten Reiches zerfiel, als die Länder ihren Einfluss geltend machten. Die alten Kräfte waren geschwächt, sie waren aber immer noch da, und auch die neuen Kräfte hatten eine Vergangenheit im Kaiserreich, die fortwirkte. Die Revolution kratzte allenfalls an der Oberfläche der Verhältnisse.

Wie sollte es weitergehen mit dem Reich? Die neuen Machthaber leiteten rasch Wahlen für eine verfassunggebende Nationalversammlung ein.

Die Mehrheit errangen dabei die Kräfte der Mitte, von der gemäßigten Sozialdemokratie über die Linksliberalen bis zum katholischen Zentrum: Die Weimarer Koalition war geboren. Die Mehrheit für eine parlamentarische Demokratie war deutlich. Die Räterepublik war abgewählt.

Doch das Land kehrte als Weimarer Republik nie wieder zur Stabilität zurück. Die Friedensbedingungen empfanden die Menschen als maßlos. Sie belasteten die junge Republik auf das Äußerste. Das Reich verlor weite Gebiete in Westpreußen und Schlesien, in Elsass-Lothringen, in Nordschleswig, Eupen-Malmedy – und seine Kolonien. Flüchtlinge strömten ins Reich, Millionen Deutsche lebten plötzlich als Minderheiten in anderen Staaten.

Die Wirtschaft kam nicht wieder in Gang. Die sozialen Lasten des Krieges blieben unerträglich. Es herrschte Wohnungsnot, Armut und Elend, denn der Staat war mit den Hunderttausenden Versehrten, den Witwen und Waisen vollkommen überfordert. Der Bürgerkrieg kam nicht zur Ruhe. Als 1923 die Inflation das Ersparte der Menschen zerstörte, zerfiel das einst hohe Vertrauen in den Staat und seine Fähigkeit, Probleme zu lösen, vollends.

Davon hat sich die junge Republik nie mehr erholt, allem kulturellen Glanz, aller Modernität zum Trotz. Als 1929 die neue Krise kam, gewannen die radikalen Populisten der NSDAP die Oberhand. Ihre Politik zielte auf eine Revision der Folgen des Ersten Weltkrieges. Die Demokraten galten als „Novemberverbrecher“. Man sperrte sie in Konzentrationslager. Der neue Krieg war schon geplant, seine Ziele orientierten sich am Ersten Weltkrieg. Hitler wollte, was dem Kaiser nicht gelungen war – und noch viel mehr. Das Ergebnis ist bekannt. Historiker sprechen daher von einem weiteren Dreißigjährigen Krieg von 1914 bis 1945.

Das Jahr 1918 setzte die ganze Gesellschaft in Bewegung

1918 ist der Ausgangspunkt all dieser Entwicklungen. Er setzte die gesamte Gesellschaft in Bewegung. Die Gegensätze waren unüberbrückbar: Volksgemeinschaft oder Kommunismus und die Überwindung des Kapitalismus. Es ging um die Rechte von Frauen, den Vegetarismus, die freie Liebe oder die Heilung der Welt durch eine Rückkehr der Menschen aufs Land. Und es ging um den Untergang des Abendlandes. Damals glaubte man, man müsse nur radikal genug sein, dann würde alles besser. Dass es nicht so einfach ist, hat die deutsche Gesellschaft schmerzhaft lernen müssen. Ob diese Lehre der Geschichte trägt? Die Zeit wird es zeigen. 

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