Leben mit Parkinson„Ich wollte nicht aufgeben“

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Parkinson-Patientin Johanna Lenz-Kaufhold mit Psychologin Christiane Jendrich.

Parkinson-Patientin Johanna Lenz-Kaufhold mit Psychologin Christiane Jendrich.

Der Händedruck von Johanna Lenz-Kaufhold ist fest, ihre Figur wirkt jugendlich, der Haarschnitt sportlich. Mit ihren hellwachen Augen verfolgt die Kölner Unternehmerin das Gespräch. Es fällt schwer zu glauben, dass diese Frau bereits 70 Jahre alt ist. Sie wirkt deutlich jünger. Noch weniger kann man sich vorstellen, dass eine Frau, die so viel Lebensfreude ausstrahlt, an Parkinson erkrankt ist. Vor gut zwei Jahren hat die gebürtige Bayerin die Diagnose erhalten. „Im ersten Moment war das natürlich ein Schock. Aber dann war ich irgendwie auch sehr erleichtert, weil ich endlich wusste, dass ich kein Hypochonder bin“, erinnert sich die Wahl-Kölnerin. Denn bis zur Diagnose hat Johanna Lenz-Kaufhold bereits einen langen Leidensweg hinter sich.

Nachts nur zwei Stunden Schlaf

„Im Nachhinein ist man ja immer schlauer“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Wie sie nämlich jetzt weiß, traten erste Anzeichen der Parkinson-Erkrankung vermutlich bereits in den 1990er Jahren auf. „Ich hatte damals extreme Schlafstörungen. Zum Teil habe ich nur zwei Stunden pro Nacht geschlafen. Aber irgendwie hat mir das damals gereicht“, erinnert sie sich. Und obwohl im Laufe der Jahre immer mehr „größere und kleinere Wehwehchen“ hinzukamen, habe sie sich keine ernsten Gedanken gemacht. „Mein Leben war viel zu lebendig dafür“, erzählt die gelernte Hotelkauffrau. Und das, obwohl sich zu den Schlafstörungen depressive Verstimmungen, Riech- und Schmeckstörungen, ein Zittern in der rechten Hand, massive Bauchschmerzen und schließlich starke Rückenschmerzen gesellten.

„Ich bin damals von einem Orthopäden zum nächsten gelaufen, die mich mit Spritzen vollgepumpt haben“, erinnert sich Lenz-Kaufhold an eine schlimme Zeit. Gerne aber erzählt sie, dass ihr damals ihre Physiotherapeutin empfahl, abklären zu lassen, ob nicht eine Parkinson-Erkrankung hinter den starken Rückenschmerzen steckt. Tatsächlich bestätigten die Untersuchungen bei einem Neurologen und später in der Uniklinik diesen Verdacht. Ein Grund zur Resignation war das für die Kölnerin nicht – auch wenn sie ihren Alltag neu ordnen, Medikamenteneinnahmen genau timen, Zeit für Arzt-, Logopädie- oder Physiotherapie-Termine einplanen musste. Sie habe es im Laufe ihres Lebens gelernt, immer wieder aufzustehen, erzählt sie. Etwa auch, als sie als junge Frau ihren ersten Ehemann verlor und allein mit einem kleinen Kind das gemeinsame Hotel weiterführen musste . „Mein Leben war immer abwechslungsreich mit Hochs und Tiefs. Nun sehe ich eine neue Aufgabe darin, Parkinson mit all den Begleiterscheinungen, gut in einen lebenswerten Alltag zu integrieren“, sagt sie in einem Ton, aus dem ein Kämpferherz spricht.

Geschichten wie die von Johanna Lenz-Kaufhold kennt Neurologin Dr. Pantea Pape leider nur zu gut. „Obwohl wir heute vielmehr als noch vor zehn Jahren über Parkinson wissen, dauert es in der Regel immer noch zwischen vier und fünf Jahre, bis die Diagnose gestellt wird“, sagt die Leiterin des Neurologischen Therapiezentrums (NTC) am Marien-Hospital in Köln. Ein Grund dafür sei, dass die Parkinson-Erkrankung ein regelrechtes Chamäleon sei und viele unterschiedliche Erscheinungsformen hat. Landläufig würden mit Parkinson ein Zittern (Tremor), eine Muskelsteifheit (Rigor) oder eine veränderte, ausdruckslose Mimik verbunden. All das aber sei nur ein Teil der neurodegenerativen Erkrankung, an der schätzungsweise 400 000 Menschen in Deutschland leiden.

Vor allem in der Frühphase seien es gerade viele nicht-motorische Störungen, die die Patienten einschränkten, bei denen aber oft gar nicht an Parkinson gedacht werde. „Wir wissen heute, dass 80 Prozent der Parkinson-Patienten zuvor eine Störung der sogenannten REM-Schlafphase haben“, berichtet die Neurologin. Auch eine anhaltende Verstopfung oder ein Völlegefühl könnten Parkinson-Anzeichen sein. Wichtig sei bei diesen Symptomen, dass man genauer hinschaue, ob es auch andere Faktoren gibt, die für eine Parkinson-Erkrankung sprechen, wie etwa depressive Verstimmungen, Riechstörungen oder auch eine genetische Prädisposition. Wenn das zutreffe, sollte man sich auf jeden Fall Zeit für eine weitergehende Diagnostik nehmen, etwa Untersuchungen im Schlaflabor oder bildgebende Verfahren, die einen für die Erkrankung typischen Mangel des Botenstoffes Dopamin im Gehirn feststellen können oder aber auch Untersuchungen der Magen-Darm-Schleimhaut. „Man kann schon früh in der Magen-Darm-Schleimhaut bestimmte Abbausubstanzen nachweisen, die typisch sind für eine Parkinson-Erkrankung“, erklärt Pantea Pape. Auch wenn Parkinson bis heute nicht heilbar ist – ein Todesurteil ist die Diagnose nicht. Vielmehr sei es wichtig und möglich, frühzeitig durch gezielte Therapien den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen, betont die Neurologin. Und dazu gehört für sie nicht nur die medikamentöse Therapie. „Selbst wenn die regelmäßige Einnahme der Medikamente das A und O ist, bringen die Tabletten nichts, wenn ich zum Beispiel massive Magen-Darm-Probleme habe“. Deshalb empfiehlt die Parkinson-Expertin, rechtzeitig auch mit begleitenden Therapien etwa einer Ernährungsumstellung, Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie zu beginnen.

Psychologische Dimension

Eine alleinige medizinische Therapie greift für die Kölner Expertin auch aus einem anderen Grund zu kurz. Das „Chamäleon Parkinson“ habe nämlich neben der biologischen auch eine nicht zu unterschätzende psychologische und soziale Dimension. Die Frage sei: Was macht es mit einem Menschen, wenn er die Diagnose erhält, an einer nicht heilbaren Erkrankung zu leiden? Was macht es mit ihm, wenn Therapien sein Leben bestimmen, wenn mit Scham besetzte Symptome wie Sabbern oder depressive Verstimmungen dazu führen, dass sich die Betroffenen immer weiter zurückziehen? Was aber macht das auch mit dem Umfeld des Betroffenen, der Familie, der Partnerschaft, den Freunden? Fragen, die für Pantea Pape deutlich machen, wie wichtig eine ganzheitliche Therapie ist.

Johanna Lenz-Kaufhold holt sich deshalb ganz bewusst auch die Unterstützung der Psychotherapeutin Dr. Christiane Jendrich. „Ich habe die Krankheit für mich angenommen und gehe offen damit um, aber ich möchte auch mit mentaler Arbeit versuchen, die Symptome der Krankheit besser ertragen zu können oder sie vielleicht sogar positiv zu beeinflussen“, erklärt sie – und berichtet, fast beiläufig, dass sich inzwischen auch bei ihr die Muskelsteifheit soweit entwickelt hat, dass sie neben dem Restless-Leg-Syndrom seit neuestem starke Schulter-, Nacken und Halsschmerzen habe. Aber der Rigor beeinträchtige eigentlich alle Organe, vor allem auch den Darm, erzählt sie – ohne jedes Klagen und Jammern.

Die Gespräche mit Christiane Jendrich würden ihr helfen, mit all dem umzugehen, aber auch dabei, neue Ziele und Aufgaben in ihrem Leben zu finden. „Ich strample mich gerade frei““, sagt Johanna Lenz-Kaufhold. Nach dem beruflichen Rückzug suche sie nach neuen Aufgaben. Gerade habe sie deshalb viel Energie, aber auch Freude investiert, und ein privates Gruppen-Training für Logopädie mit Gedächtniskurs und Gymnastik für Parkinson-Patienten eingerichtet.

„Die Diagnose Parkinson ist ein gravierender Lebenseinschnitt“, sagt Therapeutin Jendrich. Schließlich müssten sich die Patienten mit der eigenen Sterblichkeit, aber auch mit dem irgendwann anstehenden Kontrollverlust auseinandersetzen. Trotzdem sei es wichtig, die Krankheit zu akzeptieren und sich mit ihr auseinanderzusetzen. „Die Patienten müssen erkennen, dass sie zwar die Verantwortung für den Umgang mit einer Erkrankung haben, nicht aber für die Krankheit selbst“, erklärt Christiane Jendrich.

Wichtig sei zudem, dass nicht alle auftretenden Symptome und Schwierigkeiten automatisch der Erkrankung zugeschrieben würden. Auch nicht von der Familie. „Wenn sich alles nur noch um den Kranken organisiert, macht das erst recht krank“, warnt die Systemische Therapeutin. Für sie ist es wichtig, dass Patienten wie Johanna Lenz-Kaufhold ihre Lebensfreude behalten und sich selbst nicht in einer Opferrolle sehen. „Entscheidend ist das Gefühl, dass man weiter Chef des eigenen Körpers ist und selbst bestimmen kann, was passiert“. Im Fachjargon spreche man von „Selbstwirksamkeit“. Genau die sei es, die es verhindere, dass man aus Angst, dass etwas nicht gelingen könne, Dinge gar nicht erst angeht.

Zum 70.

nach Kanada

Johanna Lenz-Kaufhold kennt dieses Gefühl. Aber sie weiß – nicht zuletzt auch dank der Unterstützung ihres Mannes – in vielen Situationen damit umzugehen. Ihren 70. Geburtstag vor wenigen Monaten hat sie in Kanada bei ihrer Tochter und zwei der neun Enkel verbracht. „Wir haben dort eine vierstündige Wanderung durch den tiefen Schnee gemacht. Dann ging es darum, ob ich es noch schaffen würde, weiter bis zu einer Hütte zu laufen. Natürlich wusste ich das nicht. Aber ich habe es versucht – und bin froh und stolz, dass ich es gemacht habe.“

Zurück in Deutschland habe sie dann mit der großen Familie in ihrer bayerischen Heimat gefeiert. „Ich wollte allen zeigen, dass es mir gut geht und ich mich nicht aufgeben werde“, sagt sie. Die Parkinson-Erkrankung sehe sie als ihre Aufgabe. „Aber sie soll nicht mein Lebensinhalt werden“.

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