The AnaloguesWer hat Angst vor Paul McCartney?

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Ganz rechts steht die Orgel aller Orgeln. Zumindest für Popfans ist sie das. Ihr Name: „Lowrey Heritage Deluxe“. Das Modell stand im Abbey-Road-Studio, als die Beatles dort 1967 „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ aufnahmen. John Lennon hat es beim Intro von „Lucy In The Sky With Diamonds“ gespielt, jeder hat sofort diesen leicht leiernden Klang im Ohr, der so wunderbar zu Lennons Gagatext über Mandarinenbäume und Marmeladenhimmel passt.

Die historische Orgel ist hier in guter Gesellschaft: Links von ihr, sorgfältig auf einem Ständer platziert, steht der „Höfner Violin Bass“, mit dem Paul McCartney seine einmaligen Basslinien gezaubert hat. Daneben wartet eine „Fender Stratocaster Sonic Blue“ auf ihren Einsatz: Baujahr 1962, Lieblingsgitarre von Lennon und George Harrison, vor allem bei Songs wie „Getting Better“ oder „I Am The Walrus“, wenn die Gitarre kratzen sollte. Dahinter thront, etwas erhöht, das Schlagzeug: ein „Ludwig Black Oyster Pearl“, Ringo Starrs Modell, hinter dem er seinen eigenwilligen Stil entwickelte.

Die Songs waren einfach zu kompliziert

Dies ist kein Beatles-Museum, dies ist eine Bühne, gleich startet die Show. Es ist der 1. Juni 2017, auf den Tag genau vor 50 Jahren erschien das legendäre Beatles-Album „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ in den USA. 12 000 Niederländer zieht es an diesem herrlichen Sommerabend in den Ziggo Dome von Amsterdam, die größte Indoor-Arena des Landes. Es spielen The Analogues. Und zwar „Sgt. Pepper“, von Anfang bis Ende, auf den originalen Instrumenten.

Diederik Nomden, mit 41 Jahren jüngstes Mitglied der Band, setzt sich hinter die Orgel, sucht die richtigen Einstellungen, drückt ein paar Knöpfe, testet kurz, dann beginnt er mit dem Intro von „Lucy In The Sky With Diamonds“ und singt die legendären ersten Zeilen: „Picture yourself in a boat on the river, with tangerine trees and marmelade skies.“ Es klingt, wie es klingen muss, wie man es unzählige Male gehört hat. Aber eben nur auf Platte. Noch nie live. Denn für die Bühne waren diese Songs nicht gedacht, dafür waren sie einfach zu kompliziert, dachten die Beatles.

Fab Four hatten den Rummel satt

Die Fab Four hatten sich 1966 entschieden, keine Konzerte mehr zu spielen, sie hatten den Rummel und das Gekreische satt. Also nahmen sie zusammen mit ihrem Produzenten George Martin Musik auf, die nur fürs Studio konzipiert war, komplexe Kompositionen, gespielt auf Dutzenden sperrigen Instrumenten, die Martin mit viel Tricksereien zu Pop-Partituren aufschichtete. Das „Sgt. Pepper“-Album klingt so einzigartig, weil die Beatles keinen Gedanken daran verschwendeten, diese Lieder irgendwann aufzuführen.

Songs von „Sgt. Pepper“ live – das bieten auch andere Bands. The Analogues haben jedoch einen deutlich höheren Anspruch: Sie wollen die unaufführbaren Lieder der Beatles bis ins kleinste Detail im Originalklang auf die Bühne bringen. Um das hinzubekommen, braucht man nicht nur exzellente Musiker. Man braucht das Gespür eines Detektivs, um die Instrumente aufzutreiben. Technisches Wissen, um sie zu reparieren und zu warten. Und nicht zuletzt: Geld, um das alles erst einmal zu bezahlen. Hier kommt der Drummer der Analogues ins Spiel, der Mann, der hinter dem Ludwig-Schlagzeug den Ringo gibt.

Die rechte Hand von Tommy Hilfiger

Fred Gehring, 63 Jahre, ist Multimillionär. Der Niederländer war jahrelang die rechte Hand von Tommy Hilfiger, als CEO des Modeunternehmens sorgte er dafür, dass die Marke ab Ende der 90er-Jahre auch in Europa durchstartete. Seit drei Jahren tritt er beruflich kürzer und verwirklicht sich seinen kühnen Traum: 2014 gründete er die Analogues. Die Rolle des musikalischen Leiters übergab er an Bart van Poppel, eine graue Eminenz der niederländischen Szene. Während seiner langen Karriere als Musiker und Produzent spielte er in 80 Bands – doch keine hatte einen Auftrag wie die Analogues. Van Poppel machte sich daran, die Songs der Beatles nach 1967 komplett auseinanderzunehmen, wie ein Autobastler, der seinen Wagen in seine Einzelteile zerlegt, um auch dem letzten kleinen Geheimnis des Getriebes auf die Spur zu kommen. „Diese kleinen Details sind die große Herausforderung, denn davon gibt es Tausende“, sagt sein Bandkollege Diederik Nomden.

Um sich für diese Mammutaufgabe warmzulaufen, nahm sich die Band die Stücke von „Magical Mystery Tour“, dem Soundtrackalbum mit weiteren Beatles-Songs aus dem Jahr 1967 vor: „The Fool On The Hill“ , „Strawberry Fields Forever“ und „I Am The Walrus“ – hochkomplexe Arrangements. „Ich wette, George Martin und die Beatles haben sich während der Sessions häufig gedacht: Gut, dass wir das Zeug niemals aufführen müssen“, glaubt Diederik Nomden. „Und dann kommen wir Holländer mit der Idee um die Ecke, genau das doch zu tun.“ Er lacht, schüttelt mit dem Kopf, wiederholt sich: „Der pure Wahnsinn.“

Man sieht zum ersten Mal, wie die Musik entsteht

Die Equipment-Liste wurde lang und länger, alleine für den Indien-Trip „Within You Without You“ hatte George Harrison ein halbes Dutzend exotischer Instrumente ins Abbey- Road-Studio gekarrt. The Analogues begaben sich auf die Suche, quetschten die noch lebenden Tontechniker von damals aus, grasten das Internet ab, reisten quer durch die Weltgeschichte, um Instrumente nach Holland zu schleppen.

Noch einmal zurück zur Show am Vorabend. The Analogues beginnen mit den Songs von „Magical Mystery Tour“, dann gibt's „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“, danach noch Beatles-Hits und Gäste, darunter Barry Hay, Sänger der holländischen Rocklegende Golden Earring. Doch die Stars des Abends sind nicht die Musiker, sondern die Songs, die Instrumente. Deutlich wird das bei „I Am The Walrus“, einer dieser Beatles-Songs, der wie kein anderer klingt: Mellotron und Orchester eiern in Richtung Wolkenkuckucksheim, im Refrain seltsame Geräusche, dazu ein Chor, der klingt, als wollten die Les Humphries Singers Walgesänge imitieren.

Die Britpopband Oasis hat „I Am The Walrus“ häufig nachgespielt, wuchtig und breitbeinig. Das war immer cool. Aber es war auch immer komplett anders als im Beatles-Original. In der Version der Analogues klingt der Song so, wie die Beatles und George Martin sich das gedacht haben. Unzählige Male hat man die Platten gehört, jetzt sieht man zum ersten Mal, wie diese Musik entsteht.

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