„Mein Leben nach der Flut“Sechs Menschen aus der Region berichten vom Neuanfang

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Pia van den Brekel will ihr Fachwerkhaus nicht aufgeben. 

Pia van den Brekel will ihr Fachwerkhaus nicht aufgeben. 

  • Die Wassermassen haben in der Region Existenzen zerstört. Viele Menschen stehen vor dem Nichts
  • Sechs Betroffene erzählen ihre Geschichte zwischen Verzweiflung und optimistischem Blick nach vorne

Dorle und Benno Gilles stehen in der Ruine ihres Weinguts in Marienthal, einem Ort, der durch eine ganz andere Ruine, die eines Klosters, bekannt ist. Hochwasser haben sie immer wieder erlebt. „Doch diesmal kam das Wasser von der anderen Seite“, sagt Dorle Gilles. Die sechs Pensionsgäste zogen sie durch ein Innenhoffenster im ersten Stock auf einen höher gelegenen Balkon - im letzten Moment.

Benno Gilles 

Benno Gilles 

Mit 56 Jahren bei Null anfangen, zumal die beiden Kinder ohnehin andere Berufe haben, oder aufgeben? Das wird eine schwere Entscheidung. „40 Jahre habe ich dafür gebuckelt wie schon zuvor mein Vater. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, etwas anderes zu machen.“ Entscheiden will er, wenn er weiß, was er von Versicherung, Staat oder Spendern bekommen kann – und was im Keller heil blieb. Etliche Großkisten mit intakten Flaschen voller Wein sind geborgen. „30 Prozent dürften weggeschwommen sein“, schätzt Gilles. „8000 Liter stehen noch im Tank, aber ich bin noch nicht sicher, ob er dicht gehalten hat.“

Im letzten Moment gelang es noch ein paar Geräte zu retten, ehe die Flut in den Hof brach. Benno Gilles versuchte noch, die Tür zum Keller zuzuhalten, musste sich dann aber selbst in Sicherheit bringen und mit ansehen, wie das Wasser Lager und Produktionsstätte flutete. (mfr)

Eine Tasche konnte seine Frau noch mitnehmen, dann ging es hoch in den Hubschrauber“, sagt Holger Eich. Der 61-Jährige lebte mit seiner Frau in einem der Häuser an der Radmacher Straße/Ecke Blessemer Burg, die in den Krater gerissen worden sind.

Holger Eich

Holger Eich

„Gebaut wurden die Häuser Ende der 90er Jahre, meine Frau und ich sind oft mit den Rädern um die Kiesgrube gefahren. Ich hatte schon damals ein komisches Gefühl.“ Eich ist sich sicher, dass die Lage der Kiesgrube am Ortsrand von Blessem die Jahrhundertflut zu einer Katastrophe werden ließ. „Aus dem Fenster sah ich, wie die Abbrüche im Feld immer schneller näher kamen.“ Eine Elementarversicherung für das Haus hat das Ehepaar Eich zwar, eine entsprechende Versicherung für den Hausrat nicht. Dennoch, das Ehepaar, das die Rente in Reichweite hat, will nicht mehr nach Blessem oder Erftstadt zurück kommen. „Meine Frau und ich wollen damit abschließen, und ein Grundstück haben wir ja auch nicht mehr“, sagt er. Untergekommen sind die beiden bei Verwandten in Hennef, erst einmal würde das gehen. „Und was soll ich Ihnen sagen, wir waren im Leben immer optimistisch und das bleiben wir auch.“ (bru)

Petra und Jürgen Schmitz haben ihre Bäckerei in der Ahrweiler Altstadt verloren. Die Flut ließ – wie überall – bloß die nackten Wände stehen. Die Unwetterwarnung hatte in der Fußgängerzone, mehr als 300 Meter von der Ahr, niemand ernst genommen.

Petra Schmitz 

Petra Schmitz 

Als schon im Keller das Wasser aus der Wand lief, war es zu spät für Rettungsaktionen. Kurz darauf drückte eine Flutwelle mit Wucht durch die Schaufensterscheibe in den Laden und schwappte durchs Café in die Backstube, wo sie Eier, Mehl und Geräte mit Schlamm vermengte und den Großofen zerstörte: 12,5 Quadratmeter Backfläche, rund 70 000 Euro Wert – vor der Flut. Es gibt eine gedeckelte Elementarversicherung und ein mündliches Okay der Versicherung.

Die Eltern wollen wenigstens die Bäckerei neu aufbauen, um auch ihre Filialen in den Ortsteilen Bachem und Ramersbach beliefern zu können. Die Kinder, Jan-Philipp (26), selbst Bäckermeister und Konditor, und Irena (28), die oft im Laden mitarbeitet, sind skeptisch. Noch so eine Flut und sie bauen nicht mehr auf. Jürgen Schmitz: „Beinahe hätte ich alles verschlafen. Den Firmenwagen habe ich noch eine Straße höher gefahren, aber den Privatwagen verloren.“ (mfr)

Lea Kreuzberg war allein zu Haus im Weingut ihrer Eltern, das sie mal weiterführen will. Am Telefon beruhigte der Vater die 23-Jährige mit den Erfahrungen der Flut von 2016.

Lea Kreuzberg

Lea Kreuzberg

Doch, dass Sandsäcke und Pumpen im Keller nichts nutzen werden, begriff die junge Frau, als eine Cousine aus Altenahr anrief, die schon im zweiten Obergeschoss Wasser hatte. Erst rettete sie sich in den ersten Stock, dann wie die Hausgäste und die Helfer in die dritte Etage. „Mein Auto habe ich noch schnell in den Weinberg fahren können.“

Von dem netten Winzerhof mit dicken Weinreben und Schlagläden an den Giebeln sowie dem Fachwerkbau im Hof stehen nur noch die Wände. „Laut Statiker muss das Gebäude kernsaniert werden. Wir wollen das Weingut auf jeden Fall wieder aufbauen. Pension und Straußwirtschaft können warten, denn Tourismus wird es wohl so schnell nicht mehr geben.“

Eine riesige Sorge nimmt den Winzern an der Ahr die Hilfe von Winzern aus anderen Anbaugebieten ab. Sie wollen die Arbeit an den Reben übernehmen, ohne die es keine gute Ernte geben kann. Auch mit Geräten für die Verarbeitung der Trauben wollen fremde Winzer an der Ahr helfen. (mfr)

Es soll Mut machen, das Schild vor der Metzgerei Steffen in Gemünd: „Wir werden diese Katastrophe meistern.“ Vor einer Woche noch standen Thomas Steffen (51) und sein Zwillingsbruder Frank vor den Trümmern ihrer Existenz.

Thomas Steffen 

Thomas Steffen 

Die Metzgerei, das Lebenswerk der Eltern, zerstört. Maschinen, Kühlräume, zwei Tonnen Fleisch – alles weg. „Es hat mir das Herz zerrissen, als das Wasser durch die Tür drang“, sagt Steffen. Jede Minute stieg die Flut um zehn Zentimeter. „Da wusste ich, es ist vorbei.“

Doch am nächsten Morgen, so Steffen, „haben wir die Ärmel hochgekrempelt“. Jetzt wird repariert, was noch zu reparieren ist, den Gesamtschaden kann er nicht abschätzen. Er hat eine Betriebsausfallversicherung, die bei Blitzschlag oder Salmonellen zahlt – nur nicht bei Hochwasser. „Aber davon lassen wir uns jetzt nicht unterkriegen.“ Was gibt ihm Kraft? Zum Beispiel ein Helfer wie Bernd, den Steffen vorher gar nicht kannte. Bernd biss morgens beim Frühstück in ein Brötchen mit Steffens-Leberwurst und dachte: „Denen muss ich jetzt helfen“. Thomas Steffen und sein Bruder wollen den Neuanfang – für ihre eigene Existenz, aber auch als Signal, das anderen Mut machen soll. (wy)

Pia van den Brekel stellt die Kiste mit Porzellan beiseite. Schlamm lässt nur wenig vom Hasenmuster erkennen, und das Meiste aus dem Fachwerkhaus, das die Physiotherapeutin mehr als 20 Jahre liebevoll renoviert hat, liegt bereits für den Abtransport auf der Brückenstraße – eine Straße, deren Namenssinn abhanden kam, als die historische Nepomukbrücke, untergraben von der Flut einstürzte. Die Häuser, die näher am Ufer standen, sind alle eingestürzt.

Pia van den Brekel will ihr Fachwerkhaus nicht aufgeben. 

Pia van den Brekel will ihr Fachwerkhaus nicht aufgeben. 

„Die Flut kam total unerwartet. Wir fünf – mit Mann und den Kindern – saßen drinnen als der Strom wegging. Aus dem Keller sprudelte das Wasser hoch. Ich habe meinen Sohn in Neuenahr angerufen, damit er an der Praxis die Autos in Sicherheit bringt. Aber es war zu spät.“

Seitdem wohnt die Familie in einer Ferienwohnung. Zwei Statiker haben den Zutritt ins Fachwerkhaus erlaubt, aber ob es stehen bleiben kann, soll nun ein dritter klären. Es muss mindestens entkernt werden. In der Hausratversicherung waren zwar Elementarschäden eingeschlossen, aber Hochwasser ausdrücklich ausgenommen. Pia van den Brekel zeigt auf Tochter Femke: „Das ist alles, was übrig geblieben ist. Die Kinder.“ (mfr)

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