„Why the Germans Do it Better“Dieses Buch feiert die Deutschen als Musterschüler

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deutsche vor Fahne

Besucher im Reichstagsgebäude in Berlin. Stellen die Deutschen ihr Licht unter den Scheffel?

  • Läuft in Deutschland alles besser als in Großbritannien? Das zumindest schreibt der englische Publizist John Kampfner in seinem jüngst erschienenen Buch „Why the Germans Do it Better“.
  • Es wurde als provokativ gefeiert und kritisiert, nicht nur, weil der Autor äußerst kritisch mit seinem eigenen Land ins Gericht geht.
  • Er fordert auch Deutschland auf, eine Führungsrolle auf der Weltbühne zu übernehmen.

London – So viel wurde auf der Insel bereits über das Buch geschrieben, dass Boris Johnson es vermutlich kennt – und doch dürfte es nicht gerade zur favorisierten Bettlektüre des britischen Premiers zählen. „Why the Germans Do it Better“, („Warum die Deutschen es besser machen“), lautet der Titel des jüngsten Werks von John Kampfner und nun ja, viel Erklärung braucht es kaum, warum es als provokativ gilt. Nicht nur, dass der englische Publizist äußerst kritisch mit seinem eigenen Land ins Gericht geht und es als „gefangen in einem zum Scheitern verurteilten politischen System und in Größenwahn“ beschreibt.

Ausgerechnet auf die Deutschen verweist Kampfner. Die Krauts, die regelbesessen gerne den Hobbypolizisten spielen, will er den Briten als Vorbild andrehen? Man möchte erwähnen: In diesem Jahr liegt das fast schon im Trend. Während der Coronavirus-Krise blickten die Briten neidvoll über den Ärmelkanal, wo die Deutschen im Umgang mit der Pandemie bislang richtig lagen, wie die Zahlen unterstreichen.

Daneben arbeitet sich Kampfner an so ziemlich jedem Thema ab, lobt sowohl die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, den Mittelstand, den wirtschaftlichen Triumph seit der Finanzkrise und den Erfolg der Wiedervereinigung. Er zoomt zudem heraus und erkennt insbesondere in der Bescheidenheit und zuweilen Langeweile der politischen Kultur die Vorteile des deutschen Wegs, der sich immer wieder bewähre. Dort der unaufgeregte Stil der Kanzlerin, vor der Haustür auf der Insel der Entertainer Johnson. Dort Effizienz und eine Politik, die auf Ergebnisse und Konsensbildung abzielt. Hier vor allem viel Rhetorik und bombastische Ankündigungen aus der Downing Street, die gerne mit „weltbeste“ gespickt sind.  

Viele Briten fühlen sich getroffen

Manch stolzer Brite fühlte sich getroffen. Es handele sich um ein Literaturgenre nicht unähnlich des „Rache-Pornos“, lästerte ein Rezensent fast beleidigt im konservativen „Telegraph“. Kampfner karikiert nämlich einen Teil der Briten immer wieder als Plastikfähnchen schwenkendes, patriotische Lieder wie „Rule Britannia“ schmetterndes Volk, das sich hinter vergangenen Erfolgen versteckt, früherem Ruhm nachläuft, den englischen Exzeptionalismus feiert. Und in dessen „politischen Nicht-System“ man improvisierend von einer Krise zur nächsten springe, während sich Deutschland als „Bollwerk für Anstand und Stabilität“ präsentiere. Das Brexit-Votum aus dem Jahr 2016 setzt Kampfner mit einem „kollektiven Nervenzusammenbruch“ gleich, wennschon der EU-Austritt für ihn ein Symptom darstellt und nicht der Grund für Großbritanniens „Psychodrama“ sei. „Aber gibt es ein Psychodrama?“, erkundigt sich der „Telegraph“-Kommentator in seiner Buchbesprechung, als ob er die letzten Jahre als Einsiedler in den Äußeren Hebriden verbracht hätte. Über die Frage lässt sich vermutlich nur im Königreich streiten und selbst da lediglich in europaskeptischen Zirkeln. Es lohnt, an dieser Stelle zu betonen, dass die beiden Staaten viel verbindet, nicht nur die royale Familie, die das Königreich zum Teil aus Hannover importierte, oder die Popkultur, die die Menschen von Berlin bis Stuttgart jahrzehntelang aus England aufsogen.

„Das können Sie nicht sagen“ 

Gleichzeitig provoziert Kampfner mit seiner These auch die Deutschen, das ist dem Publizisten, Sohn eines vor Hitler aus Bratislava geflohenen Juden und einer englischen Protestantin, wohl bewusst. Er war Auslandskorrespondent in Bonn und im Berlin der Wendezeit. Für seine Recherchen ist er nun abermals durchs Land gereist. Wenn er dabei den Titel seines Buchs verriet, lautete die Antwort der oft peinlich berührten Gesprächspartner stets gleich: „Das können Sie nicht sagen.“ Kampfner kann. Brite eben. Herausgekommen ist ein Preisgesang auf die Bundesrepublik, das die tief sitzenden Selbstzweifel der Deutschen, den Hang zu Nörgeleien sowie die Scham auf die Vergangenheit anerkennt, aber auf englische wie charmante Weise vernachlässigt. „Ihr seid so viel besser als ihr denkt“, ruft der Autor den Deutschen zu, die seiner Meinung nach auf etliche Dinge stolz sein könnten, die sich aber oft zu verstecken versuchten aufgrund ihrer Kriegsgeschichte und der Weigerung, zurückzublicken.

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Immerhin, Kampfner – man will ihm fast dafür danken – erkennt auch Schwächen, zum Beispiel ist sogar ihm der digitale Rückstand aufgefallen. Während der virtuellen Buchvorstellung bescheinigt er außerdem auf Nachfrage einigen Deutschen „eine Selbstgefälligkeit“, beinahe einen „moralischen Nationalismus“, der aus einem Nicht-Militarismus rühre. Die größte Kritik findet sich im Kapitel zur deutschen Außenpolitik, wenn er etwa auf die schwache Haltung gegenüber Russland verweist. Mit seinem Untertitel „Notizen aus einem erwachsenen Land“ schiebt er der Bundesrepublik eine Verantwortung in der Welt zu, die sie bislang nicht in Gänze übernehmen zu bereit scheint. Deutschland habe sich in einem Kokon befunden und es sich darin bequem gemacht. „In welchem Maße wird Deutschland die Tatsache akzeptieren, dass es eine Führungsrolle innehat?“ Wer würde sich sonst um die Wahrung der liberalen Demokratie kümmern? „Dies ist die Zeit für Deutschland, vorzutreten.“ 

Natürlich sind einige Beschreibungen Deutschlands sehr durch die rosarote Brille betrachtet. Und natürlich machen die Deutschen „es“ nicht bei allem und überall besser. Im Gegenteil, in manchen Dingen stünde es den Deutschen gut, von den Briten zu lernen. Stichwort Gelassenheit. Oder Humor. Wunderbar zudem dieser ganz eigene Individualismus. 

Vermutlich ist es aber diese erfrischende Außenansicht und zeitweilen Einseitigkeit der dargestellten Erfolgsgeschichte, die vonnöten ist, um die Deutschen auf der Weltbühne nach vorne zu schubsen. Im Jahr 2020 ist es wohl nicht einmal mehr überraschend, dass dies ausgerechnet ein Brite tut. 

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