Aufreger in ItalienKranke Mafia-Bosse kommen wegen Corona frei

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

In italienischen Gefängnissen war es zuvor wiederholt zu Revolten wegen Corona gekommen.

  • Wegen Corona werden in Italien 376 Schwerverbrecher vorübergehend aus der Haft entlassen.
  • Dabei handelt es sich nicht etwa um kleine Fische, unter den Freigelassenen sind einflussreiche Mafiabosse, Mörder und Drogenbarone.

Rom – Der Name Zagaria ist berüchtigt in Italien. Pasquale Zagaria war der Chefökonom des Camorra-Clans der Casalesi aus dem Hinterland Neapels, der mit Drogenhandel und Wirtschaftskriminalität zu einem der mächtigsten in Italien aufstieg. Sein Bruder Michele, Boss des Clans, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Pasquale Zagaria saß bis März in einem Hochsicherheitsgefängnis auf Sardinien seine Haftstrafe von mehr als 21 Jahren ab. Weil er an Blasenkrebs leidet und kontinuierlich behandelt werden muss, wurde der 60-Jährige vor Tagen in den Hausarrest entlassen. Vorübergehend, wegen Krebs und der Gefahr, die durch das Corona-Virus für kranke Gefangene ausgeht.

Wie viel Würde verdienen Straftäter?

Seine Freilassung ist nicht die einzige in Italien. Auf einer Liste des Justizministeriums sind 376 verurteilte Schwerverbrecher verzeichnet, die wegen Erkrankungen vorübergehend aus den Haftanstalten entlassen wurden. Bei möglichen Corona-Ausbrüchen im Gefängnis wären sie besonders gefährdet. Die Fälle werfen die Frage auf, wieviel Würde Straftäter verdienen, die sich schlimmster Verbrechen schuldig gemacht haben. Denn bei den Entlassenen handelt es sich nicht um kleine Fische, sondern in vielen Fällen um einflussreiche Mafiabosse, Mörder und Drogenbarone. Die Aufregung in Italien ist deshalb groß. „Ich kann es kaum glauben“, sagte Antimafia-Staatsanwalt Catello Maresca über die Entlassung Zagarias. „Einer der mächtigsten Clans im Land formiert sich wieder.“

Die Liste der Verbrecher, die sich nun zuhause regelmäßigen Polizeikontrollen stellen müssen, ist lang. Der Sizilianer Franco Cataldo etwa war an der Entführung und Ermordung von Giuseppe Di Matteo, Sohn eines sizilianischen Mafioso beteiligt. Weil der Vater mit der Justiz zusammenarbeitete, töteten die Männer den 14-jährigen Jungen und lösten seinen Leichnam in Säure auf. Cataldo hat ebenfalls Krebs und wurde vom Haftrichter in den Hausarrest entlassen. Die Mutter des Jungen protestierte: „So jemand muss lebenslang im Gefängnis bleiben, denn mein Leid wird nie enden.“ Einflussreiche Bosse der Cosa Nostra und der kalabrischen 'Ndrangheta durften nachhause. Auch Francesco Ventrici, er koordinierte für die 'Ndrangheta den Kokain-Import aus Kolumbien nach Italien. Heute sind sie allesamt alte, teilweise schwerkranke Männer, aber eben auch Verbrecher.

Einige standen unter schwerer Haft

Vier der 376 Verurteilten standen gar unter besonders schweren Haft für Mafiosi, dem sogenannten 41bis, darunter auch Zagaria. Diese Regelung wurde 1992 nach der Ermordung der Ermittler Giovanni Falcone und Paolo Borsellino eingeführt. Bosse werden in dieser Sonderhaft isoliert und 24 Stunden am Tag überwacht. Einmal im Monat dürfen sie zehn Minuten telefonieren. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Männer weiterhin die Fäden in ihren Clans ziehen. Staatsanwälte befürchten nun, die in ihre Heimatregionen zurück gekehrten Bosse könnten trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit wieder aktiv werden, gar die Flucht ergreifen und damit die Mühen der Ermittler zunichte machen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Leiter der nationalen Antimafiabehörde Federico Cafiero de Raho zeigte sich „überrascht von den Entlassungen“. Er forderte, die kranken Bosse sollten in Justizvollzugskrankenhäuser gebracht werden.

Chronisch überfüllte Gefängnisse

Entsprechende Anfragen beim Justizministerium versandeten offenbar. Bekannt ist auch, dass die italienischen Gefängnisse chronisch überfüllt sind. Dort ist Platz für gut 45.000 Häftlinge, de facto sitzen in Italien aber etwa 60.000 Menschen in den Haftanstalten. Auf den Krankenstationen soll es ebenfalls kaum freie Plätze geben. Von Resozialisierung der Häftlinge, wie sie in der Verfassung garantiert wird, ist kaum eine Spur. „Das Recht auf Gesundheit gilt für jedes Individuum, die Strafe darf nicht gegen das Humanitätsgebot verstoßen“, sagt Patrizio Gonella, Vorsitzender des Vereins Antigone, der sich für die Rechte von Strafgefangenen einsetzt. Er verteidigte die vorübergehende Entlassung Zagarias in den Hausarrest. Justizminister Alfonso Bonafede will nun aber auf den Druck der Öffentlichkeit reagieren. Seine Beamten bereiten ein Dekret vor, in dem die Rückkehr der Bosse in die Haftanstalten angeordnet wird.

Rundschau abonnieren