Heimatort des infizierten MannesIn Gangelt geht die Angst vor dem Coronavirus um

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Gangelt_Straße

Im Ortszentrum von Gangelt, Kreis Heinsberg, ist am Donnerstag nur wenig los. 

Gangelt – Die Apotheke in Gangelt hat am Mittwochmorgen kaum zwei Stunden geöffnet, schon sind die ersten Kunden da, die Atemschutzmasken verlangen. „Schon 20 waren heute da, die danach gefragt haben. Sonst waren es immer nur zwei am ganzen Tag“, sagt die Apothekerin.

Die Menschen in der Gemeinde seien besorgt. „Man merkt bei einigen schon die Angst, seitdem sie wissen, dass ein Mann aus ihrer Ortschaft an dem Coronavirus erkrankt ist“, sagt sie.

Schutzmasken ausverkauft

Sie müsste die Kunden aber immer enttäuscht nach Hause schicken. „Wir haben keine Schutzmasken mehr. Die sind schon seit Wochen vergriffen.“ Sie wüsste auch nicht, wann sie wieder welche bekommen würde. „Das sieht eher schlecht aus.“

Aus Gangelt, einer 12.500-Einwohner-Gemeinde im westlichen Zipfel des Kreises Heinsberg, stammt der erste bestätigte Corona-Patient in NRW. Der 47-Jährige wird in der Uniklinik Düsseldorf behandelt. Auch bei seiner Frau wurde am Mittwoch das Virus nachgewiesen. Zuvor war der Mann wegen einer Vorerkrankung bereits in der Kölner Uniklink behandelt worden.

Am Rosenmontag suchte das Paar ein Krankenhaus in Erkelenz auf, am Dienstagabend wurden sie in die Düsseldorfer Uniklinik verlegt. Pflegekräfte und Ärzte beider Kliniken in Erkelenz und Köln sowie einer Arztklinik, die in Kontakt mit dem Patienten gekommen waren, sind sicherheitshalber in häuslicher Quarantäne.

In der Heimatstadt des Ehepaars fürchten sich nun viele Menschen, sich ebenfalls mit dem Virus anzustecken. Die meisten kennen die betroffene Familie. Sie wohnt im Ortsteil Langbroich. Der 47-Jährige ist ein in der Region bekannter Makler, seine Frau Erzieherin in einer Kindertageseinrichtung.

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Ihren beiden Kindern im Teenageralter geht es den Umständen entsprechend gut. „Sie weisen keine Symptome auf“, heißt es aus dem Umfeld der Familie. Die beiden Kinder befinden sich nach Angaben von NRW-Gesundheitsminister Karf-Josef Laumann (CDU) in häuslicher Quarantäne unter Aufsicht der Großmutter.

Die Menschen in Gangelt fragen sich, wo sich das Ehepaar angesteckt haben könnte. „Sie haben am gesellschaftlichen Leben teilgenommen“ sagt eine Frau in einer örtlichen Bäckerei, in der es am Mittwoch kein anderes Gesprächsthema gibt. Wer auch immer in die Backstube kommt, weiß etwas über die Familie zu berichten oder behauptet zumindest, etwas zu wissen.

Tief in der Ortschaft verwurzelte Familie

Schnell zeichnet sich ein Blld einer allseits beliebten und freundlichen Familie, die tief in der Ortschaft verwurzelt ist. „Deswegen nimmt uns das alle besonders mit. Man kennt sich hier in der Gemeinde“, sagt eine ältere Frau.

In der vergangenen Woche soll das Ehepaar noch in den angrenzenden Niederlanden in einem Hotel übernachtet haben. Auch dort wurden Vorkehrungsmaßnahmen getroffen. Am Abend gab der Kreis Heinsberg jedoch Entwarnung: Der Kurzurlaub habe ausreichend lange vor Beginn der Symptomatiken stattgefunden, „so dass eine Ansteckung ausgeschlossen werden kann“.

In Gangelt ist die Verunsicherung hingegen groß. Nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums haben die beiden bis vor Kurzem am öffentlichen Leben teilgenommen. In einer Mitteilung des Kreises heißt es, der Erkrankte habe die Kappensitzung in Langbroich besucht – ansonsten aber nicht am Karnevalsgeschehen oder Straßenkarneval teilgenommen.

Ansteckungsort bleibt ein Rätsel

Wo sich das Paar angesteckt haben könnte, ist auch für die Familie ein Rätsel. „Wir wissen nicht, wo sie sich infiziert haben. Wir sind schon alle Möglichkeiten durchgegangen, aber können uns das nicht erklären“, sagt ein Angehöriger.

Die Kindertageseinrichtung, in der die Frau gearbeitet hat, ist vorübergehend geschlossen. „Als wir wussten, dass sie erkrankt sein könnte, haben wir sofort alle Eltern und Erzieher informiert. Das muss etwa am frühen Dienstagabend gewesen sein“, so der Angehörige.

Alle Kinder der Einrichtung sollen auf das Virus untersucht werden, kündigt Minister Laumann in Düsseldorf an, Ergebnisse werden für Donnerstag erwartet. Der Kreis Heinsberg teilt am Nachmittag mit, dass die Kita im Ortsteil Breberen zwei Wochen geschlossen bleiben wird. Zudem sei ein erkranktes Kind der Kita ebenso wie seine Eltern bereits negativ auf das Virus getestet worden.

Hamsterkäufe im Supermarkt

Am Vormittag nach Bekanntwerden des Falls ist in Langbroich kaum jemand auf der Straße. Die wenigen, die man antrifft, sind zuvor in einer der zwei Apotheken im Ort gewesen. „Oder bei Aldi oder Rewe“, sagt die Verkäuferin in der Bäckerei. „Es sind auffallend viele in die Supermärkte und Discounter gegangen.“

Ob das mit dem Coronavirus zu tun habe, wisse sie aber nicht. Michaela Loomans betreibt in Gangelt ein kleines Friseurgeschäft. Sie bestätigt: „Bei bestimmten Waren hat es Hamsterkäufe gegeben. Desinfektionsmittel und Hygieneartikel waren zum Teil schon am Morgen nicht mehr zu bekommen.“

Unternehmen rüsten gegen das Virus auf

Viele Unternehmen in Deutschland bereiten sich auf eine Ausbreitung des Coronavirus vor. Siemens zum Beispiel empfiehlt, Dienstreisen nach China, Japan, Südkorea und Italien zu vermeiden und durch Telefonkonferenzen zu ersetzen.

Bei Metro können Mitarbeiter, die aus China zurückkehren, für 14 Tage von Zuhause aus arbeiten. Zudem wurden wegen des Engpasses an Mundschutz-Masken auf dem chinesischen Markt 50.000 Masken an die Mitarbeiter in China verschickt. (Kess)

Lange habe sie überlegt, ihr Geschäft am Mittwoch überhaupt zu öffnen. „Ich bin alleinerziehend und selbstständig. Irgendwo muss das Geld ja herkommen“, sagt sie. Anfangs habe sie noch gehofft, dass die Kunden trotzdem zum Haareschneiden kämen. „Aber im Verlauf des Tages haben viele ihre Termine für heute und die nächsten Tage abgesagt“, sagt die 53-Jährige.

Vorsorglich bleiben Schulen geschlossen

Schulen und Kitas bleiben im Kreis Heinsberg als Vorsichtsmaßnahme bis einschließlich Montag geschlossen. Die Verwaltung öffnet ebenfalls nicht. Die Stadt Geilenkirchen schloss auch ihr Schwimmbad und die Stadtbücherei.

Gangelt_Schulzentrum

Die Gesamtschule in Gangelt bleibt diese Woche geschlossen. 

„Ich denke, diese Situation erfordert von uns allen etwas Disziplin. Aber wir sollten auch nicht in Panik verfallen“, sagt Landrat Pusch, der mit einem runden 100-köpfigen Krisenstab arbeitet. Menschen sollten Massenansammlungen oder Besuche in Gemeinschafteinrichtungen vermeiden.

Trotz der Verunsicherung sieht man niemanden in Gangelt, der Mundschutz trägt. „Vielleicht liegt es daran, dass es hier schon lange keine mehr zu kaufen gibt“, sagt die Apothekerin. 

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