„...und der Mensch bleibt Mensch...“Herbert Grönemeyer feiert seinen 65. Geburtstag

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Herbert Grönemeyer am 13. März 2019 in der Lanxess Arena.

Mitunter beginnen Karrieren mit einem Misserfolg. Auch die ganz großen. Als 1979 ein junger Künstler sein Debütalbum herausbrachte, erntete er dafür keine Lorbeeren, sondern nur Tadel und Spott. „Konfuses Erstlingswerk“ urteilte ein Magazin aus seiner Heimatstadt tief im Westen.

Was noch relativ milde war. Verglichen mit dem Adjektiv „missglückt“, dass dem Berliner Musikjournalist Burghard Rausch einfiel, als er sich den kruden Stilmix anhörte. Oder der „Goldenen Zitrone“ fürs grauslichste Cover des Jahres: Aus einem Wölkchenhimmel heraus lächelt ein blonder Föhnling mit blauer Cordjacke den Betrachter an – beinahe erschlagen vom apfelsinengrellen Buchstabengeblocke seines Nachnamens.

Erfolgreiche B’s: Boot und Bochum

Mehr als 20 Millionen verkaufte Tonträger später redet kaum noch jemand von dieser Scheibe. Auch Herbert Grönemeyer nicht, der am heutigen Montag 65 Jahre alt wird. Wobei er damals, 1979, so erfolglos gar nicht war. Immerhin hatte er es bereits zuvor bis zum Musikalischen Leiter am Schauspielhaus Bochum gebracht, als Schauspieler auf der Bühne und beim Film gearbeitet – und mit Schauspielerin Anna Henkel seine Ehefrau in spe kennengelernt, Aber er war noch weit davon entfernt, „unser Gröni“, „unser Herbie“ oder der „Ruhrpottbarde“ schlechthin zu sein.

Umso näher ist er uns heute. Auf unzähligen Konzerten – zuletzt auf „Tumult“-Tour 2019 – haben wir ihn als Mensch mit Lizenz zur Gewissenserforschung erlebt: „Wie weit rutsche ich selber nach rechts? Wie weit verrohe ich, wie weit verroht meine Sprache?“ Als einen, der sich selbst gern mal auf die Schippe nimmt: „Ich bin ja’n Westfale, aber vom Wesen her bin ich sehr lustig.“ Und last, but not least, als einen der wenigen Musiker, die’s unter drei Stunden auf der Bühne nie gut sein lassen. Um das Publikum mit einer Show zu beglücken, die alles hat, was man braucht: Herz, Seele und Stimme.

Eine Stimme die polarisiert

Letztere allerdings polarisiert. Singt Grönemeyer? Oder bellt, blafft und blökt er? Kratzt er, knödelt und krakeelt? Und was ist mit seinem doch sehr eigenwilligen Stil, sich auf der Bühne zu bewegen? Ist das jetzt, wie er einmal von sich selbst gesagt hat, „tänzerisch sehr stark“? Oder sollte man das Hopsen und Hüpfen, das Wippen und Watscheln, Trippeln und Tollen als Zeichen von Hyperaktivität deuten? Gepaart mit einem dem Alter gänzlich unangemessenem, kindlichen Spieltrieb?

1981 zumindest wurde es ernst. Sehr ernst. Als naiver Leutnant Werner erfuhr der Sohn einer Krankenschwester und eines Bergbauingenieurs die Not im U-Boot. Zwar nur auf der Leinwand, aber Wolfgang Petersens Atlantikfahrt-Epos über den Zweiten Weltkrieg geriet so naturalistisch, dass es auch international gefeiert wurde. Und dem Mittzwanziger den ersten Meilenstein mit B, wie „Das Boot“ bescherte.

Seine fünfte Platte knallt voll rein

Bis zum zweiten B wie „4630 Bochum“, sollten noch drei Jahre vergehen. Darüber, dass auch die Nachfolgealben des gefloppten Debüts keinerlei Spuren in den Charts hinterließen, tröstete Peter Schamonis Spielfilm „Frühlingssinfonie“ hinweg. Und als liebender Robert Schumann ist Grönemeyer bis heute noch in vielen Köpfen präsent.

Der Rest ist Geschichte. Grönemeyers fünfte Platte, die 1984 bei der EMI als neuer Plattenfirma erscheint, knallt voll rein. Hält sich 79 Wochen in den Top 100, wird in Deutschland zur erfolgreichsten LP des Jahres. Stücke wie „Männer“, „Alkohol“ und „Flugzeuge im Bauch“ sind Klassiker, die selbst Grönemeyer-Hasser mitsingen können. Vorausgesetzt sie haben vorher genug getankt. Um zu vergessen, dass sie diesen ewig gefühligen, ewig moralisierenden Mann ja eigentlich nicht ausstehen können. Genauso wenig wie den albernen Plüsch-Eisbären, den dieser 2002 fürs Titelstück des Albums „Mensch“ auf Bilderreise durch die Kanäle schickte.

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Auch über neuzeitliche Videos – wie „Der Held“ mit seiner fluffig-rosenroten Flughafen-Optik zwischen Kitsch, Persiflage und Slapstick – kann man streiten. Oder bezweifeln, ob der pathetische Corona-Song den „Helden dieser Zeit“, die „arzten, pflegen, transportieren. kassieren, retten, forschen, schützen, ziehen“, tatsächlich nutzt.

Grönemeyer wird sich das nicht fragen. Er kann nicht anders. Mensch bleibt Mensch. Trotz all der Superlative (alle Alben seit 1984 auf Platz eins, kommerziell erfolgreichster zeitgenössischer Musiker Deutschlands, inländischer Rekord mit 100 000 Besuchern bei einem Konzert), die seine Karriere begleitet haben. Mit Dankesworten hat er sich noch nie schwer getan. Schon 2002 nicht, am Ende eines Konzerts, als er ins Publikum rief: „Man muss euch nur anschauen und sich freuen, dass man lebt.“

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