ArteAuf den Spuren der Rocker – Hells-Angels-Dokumentation

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Hells Angels

Lutz Schelhorn (r), der "Präsident" des Rockerclubs "Hells Angels Motorcycle-Club Stuttgart" und Rockermitglied Jakk vor dem Rockerclub "The Other Place".

Er lebt in einem schlichten Einfamilienhaus in Stuttgart, im Vorgarten ist der Rasen genau geschnitten. Jeden Tag schließt Lutz Schelhorn mit einem schweren Metallschloss die Garagentür. Dahinter parkt sein wertvollster Schatz - das Motorrad. „Wir sind spießige Rocker“, scherzt einer seiner Freunde. Doch Schelhorn ist nicht einfach ein Biker, sondern Präsident der Stuttgarter Hells Angels - und Protagonist in Marcel Wehns Dokumentation „Ein Hells Angel - Unter Brüdern“, die an diesem Mittwoch (22.15 Uhr) auf Arte zu sehen ist.

Der 1959 geborene Fotograf Schelhorn gründete vor mehr als 30 Jahren mit Bekannten die Stuttgarter Charter, den Ableger der Hells Angels in Baden-Württemberg. Heute ist Schelhorn als Künstler sozial engagiert. Er wurde durch ein Fotoprojekt zum Thema Judendeportationen in der Region bekannt. Ebenso brachte er seine Rocker-Gruppe durch Fotografien in die Schlagzeilen. Nun erzählt er vor der Kamera die Geschichte seines umstrittenen Clubs und schwelgt in romantisch-verklärten Erinnerungen: vom Traum des ersten Motorrads, Rebellionen gegen die Elterngeneration, dem Gemeinschaftsgefühl, wenn er mit seinen Freunden auf dem Motorrad durch das Land fährt.

Kritische Stimme nur in wenigen Szenen

„Dieser Rocker auf der Route 66 mit seiner Harley ist ein wahnsinnig schönes Bild. Aber es entspricht der Wirklichkeit nur sehr unzureichend, das ist es nicht“, sagt Kriminalkommissar Willi Pietsch. Nur in wenigen Szenen kommen in der 2014 entstandenen Dokumentation derartige kritische Stimmen zu Wort. Arte zeigt das Porträt der Stuttgarter Hells Angels erstmals im Fernsehen, zuvor war der Film im Kino zu sehen. Schelhorn präsentiert sich darin als Abenteurer, der seinen Club beschützen will.

Wunsch nach Freiheit und das Ausbrechen

Hells Angels (1)

Der Rocker-Club sei exklusiv, nicht jeder dürfe Mitglied werden: „Die Mitglieder werden gründlich ausgesucht. Wir schauen, ob die inneren Werte stimmen“, sagt Schelhorn. „Der  aus der Gesellschaft“ sind quasi die gemeinsamen Nenner der Hells Angels. Dem Rocker und Familienvater scheinen diese Werte beinahe heilig. Seine Eltern Gisela und Erich Schelhorn sind stolz auf ihren Sohn. Wehmütig blicken sie auf Fotos, die den jungen Lutz zeigen - etwa im Gefängnis, als er seine große Liebe heiratet oder die der zwei Enkelkinder, die behütet aufwuchsen.

Schelhorn will das Bild der als kriminell angesehenen Hells Angels geraderücken. „Für die Öffentlichkeit sind Rocker Kriminelle. Punkt. Das ist einfach in den Köpfen der Menschen drin“, sagt er vor der Kamera. Er verdiene sein Geld nicht mit Drogen, Waffen oder Huren, betont er. Der Stuttgarter verteidigt in dem knapp 90-minütigen Film auch die Mitnahme eines scharfen Messers als legitim - es sei per se ja keine Waffe.

Dass ein Mitglied des Clubs einen Polizisten durch die Haustür erschoss, wird dramatisch geschildert. Der Bundesgerichtshof sprach von irrtümlicher Notwehr, weil der Mann einen Angriff feindlicher Rocker befürchtet habe, und hob die verhängte Haftstrafe wieder auf. Ebenso zeigt der Film Konfrontationen mit der Polizei und Durchsuchungen auf offener Straße. Aus Sicht der Hells Angels sind diese willkürlich und grundlos.

Als Kontrast zu Schelhorns Erläuterungen führt Kriminalkommissar Pietsch durch die Asservatenkammer. Schlagringe, Messer und Pistolen hängen reihenweise an den Wänden - auch wenn nicht alle von den Hells Angels stammen. Er versucht die Gefährlichkeit und die Verharmlosung der Hells Angels als simple Motorrad-Gang zu erklären, kommt jedoch nicht gegen die Schilderungen des Stuttgarter Rockers an. In der Dokumentation sind die unkommentierten Darstellungen von Schelhorn und seinen Gefährten sehr präsent. Die Suche nach Moral und Transparenz bei den Hells Angels bleibt offen. (dpa)

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