Ausstellung im LVR-MuseumDer Neandertaler wird in Bonn neu in Szene gesetzt

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Die Nachbildung des Neandertalers steht neben einer Schautafel. 

  • Zum 200. Geburtstag präsentiert das Bonner Landesmuseum nach langer Umbaupause sein bedeutendstes Stück neu
  • Dem Neandertaler wird eine sehr informative Rotunde im Foyer gewidmet.

Bonn – Dieser Blick hat etwas Melancholisches. grün-braune Augen mit starken Brauen, Falten haben sich ins Gesicht gegraben, ausgeprägte Lippen, dichter Bart: Élisabeth Daynès‘ hervorragende Rekonstruktion des Neandertalers, der suchend über den Glassarkophag mit den berühmten, 42 000 Jahre alten Knochen und die neue Rotunde im LVR-Landesmuseum hinwegschaut, erfüllt exakt, was sich Ralf W. Schmitz vorgestellt hat. „Ich will den Neandertaler als Menschen sehen, nicht als Exponat“, sagt der Archäologe und Wissenschaftliche Referent für Vorgeschichte am Landesmuseum über „unser bedeutendstes Stück“. Inzwischen wisse man so viel über diesen Ur-Rheinländer: Dass er viel Fleisch aß und sehr muskulös war, sich früh am linken Arm verletzte, quasi invalide war und mit dieser Behinderung weiterleben konnte.

Was auf ein soziales Miteinander schließen lässt. Eine in einer Höhle im Neandertal gefundene Adlerkralle lasse, so Schmitz, vermuten, dass die Neandertaler daraus Schmuck herstellten. Bestimmte Details an Faustkeilen legen nahe, dass der Neandertaler nicht nur funktionales, sondern auch ästhetisches Werkzeug mochte. War der Neandertaler, der im 19. Jahrhundert noch als tumber Wilder galt, eigentlich ein Schöngeist?

Neue Rotunde im Foyer

Schmitz’ halbes Forscherleben steht im Licht des Neandertalers. Und verdankt sich einem engagierten Mann: In der Rotunde steht die Büste des Bonner Anatomieprofessors Hermann Schaafhausen (1816-1893), der nicht nur die Bedeutung der Krochen erfasste, die Steinbrucharbeiter 1856 im Neandertal fanden, sondern 1877 mit 1000 Goldmark ermöglichte, dass das Bonner Provincialmuseum (Vorgänger des Landesmuseums) in den Besitz des Neandertalers kam und dieser womöglich nach England verkauft worden wäre. „Ohne Schaafhausen wäre der Neandertaler nicht in Bonn und meine Forscherkarriere wäre anders verlaufen“, resümiert Schmitz, der sich ein großes Ziel vorgenommen hat: „Ich möchte, dass jeder, der Bonn besucht auch den Neandertaler sieht.“

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Der Neandertaler wird im LVR-Landesmuseum in Bonn neu präsentiert.

Die äußerst gelungene, neue Rotunde im Eingangsbereich des Landesmuseums könnte ein wichtiger Schritt zu diesem Ziel sein. Die Raumarchitektur mit einem Außendurchmesser von acht Metern ist so etwas wie ein Wissensdepot, das multimedial alles bündelt, was die Wissenschaft zum Neandertaler zusammengetragen hat. Seit 2010 – auf dem Stand lag die alte Präsentation des Neandertalers – sei in der Forschung viel passiert, sagt Schmitz, der in der Rotunde nicht nur mit neuesten Erkenntnissen arbeitet, sondern auch mit zeitgemäßen museumsdidaktischen Techniken: Kurze, prägnante Texte in Deutsch und Englisch, die mittels Multimediaguide auf dem Smartphone oder Pad vertieft werden können, Grafiken, Filme, Projektionen, Originale und Kopien, die angefasst werden können.

Aus dem Alltag des Neandertalers

Im Zentrum liegen natürlich die Knochen des Neandertalers rund um die Schädelkalotte. An den Wänden der Rotunde erfährt der Besucher dann, wie die Knochen gefunden wurden, um die sich im 19. Jahrhundert ein Expertenstreit entspann. Außerdem berichtet die Rotunde über das Leben und den Alltag des Neandertalers: Wie mit 100 Schlägen aus einem Stein ein Faustkeil wird, wie die Umwelt aussah – eine offene Graslandschaft mit Hirschen, Wölfen, Löwen, Hyänen und Mammuts, die auch auf dem Speisezettel des Neandertalers standen.

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Knochenfunde aus dem Neandertal liegen vor der Nachbildung des Neandertalers in einer Vitrine.

Ein wichtiges Thema sei auch das Klima, sagt Schmitz, und die damit verbundenen Umbrüche in der Menschheitsgeschichte: „Wir zeigen die Klimaproblematik eingebettet in die Menschheitsgeschichte – vorsichtig, dezent und ohne erhobenem Zeigefinger“. 2,5 Millionen Jahre kann Schmitz mittels einer Klimakurve darstellen, anhand von Eisbohrkernen könne man den CO2-Gehalt für die zurückliegenden 800 000 Jahre ermitteln. Mit erschütternden Ergebnissen: Unsere heutige dramatische und durch eigenes Zutun verursachte Situation lasse sich nur mit der vor vier Millionen Jahren vergleichen. Da lebten Giraffen, Antilopen und Zebras in unseren Breitengraden. Erdgeschichte und Klimageschichte treffen in der Rotunde auf die Menschheitsgeschichte - eine spannende Begegnung.

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Über alles wacht die Hauptperson in Gestalt des Neandertalers. Sozial und intelligent sei unser Vorfahre gewesen, meint die scheidende Direktorin Gabriele Uelsberg. 2019 entstand die auf aktuellen interdisziplinären Forschungen basierende Rekonstruktion durch die französische Bildhauerin Élisabeth Daynès: Ein 1,70 Meter großer Mann im besten Alter zwischen 40 und 60, kompakt gebaut, muskulös, mit brünettem Haar, Sommersprossen, braun-grünen Augen, gekleidet mit einer Fell-Weste. „Eine absolute Augenweide“, sagt Schmitz begeistert.

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