Deutsche ÜbersetzungGormans Gedicht verkümmert zum politisch korrekten Traktat

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Amanda Gorman

Amanda Gorman beim Vortrag ihres genialen Gedichts.

Wer darf Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climb“ übersetzen? Um diese Frage war in den Niederlanden eine erbitterte Debatte entbrannt. Die zunächst nominierte Übersetzerin Marieke Lucas Rijne hatte entnervt aufgegeben, nachdem sie in den Medien heftig angegangen worden war. Sie sei weiß, obendrein geschlechtlich binär und deshalb nicht geeignet.

Literatur im Griff der politischen Korrektheit: Der Verlag Meulenhoff setzte ein Übersetzer-Team ein, um sich abzusichern. Hoffmann und Campe ist diesem Beispiel für die deutsche Version gefolgt. Jetzt liegt das Ergebnis vor: Statt eines Gedichts bekommt das Publikum ein Traktat.

Erinnern wir uns. Am 20. Januar 2021 wird der Demokrat Joe Biden als neuer US-Präsident in sein Amt eingeführt. Die Welt atmet auf – aber nicht nur wegen Joe Biden. An jenem Tag stiehlt Amanda Gorman ihm glatt die Show. In einen sonnengelben Prada-Mantel gehüllt, rezitiert, nein, lebt die gerade einmal 22 Jahre alte Poetin ihr Gedicht „The Hill We Climb“.

Das Auftragspoem, das eine trockene Pflichtübung hätte sein können, leuchtet als Hoffnungssignal. Die Botschaft stimmt, die Performance überwältigt. Gorman webt aus Reimen und Alliterationen ihr Gedicht wie einen Teppich, der in tausend Sprachfarben glitzert.

Energiebahnen gekappt

Ein Genuss für Ohr und Geist – das war „The Hill We Climb“ in jenem magischen Moment. Die deutsche Übersetzung ist seitdem heiß ersehnt. Statt einer Nachdichtung gibt es aber eine Lesehilfe. Was Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüsay vorgelegt haben, erinnert eher an ein Manifest als an ein Gedicht, eher an ein Parteiprogramm als an eine Hymne. Woran liegt das? Die Übersetzerinnen haben dem originalen Text genommen, was ihn stark machte – den Klangzauber der Reime und anderen Gleichklänge, die nie nur Zierrat sind, sondern immer auch Sinn tragen. Sie haben Gormans kunstvolle Satzstellungen begradigt, sich oft genug dort, wo Gorman konkret und packend formuliert, für das schwächere Wort entschieden. Es wirkt, als hätten sie die Energiebahnen des Originals abgeschaltet.

Gorman Buchcover

Das Cover der zweisprachigen Ausgabe des Buches 

„And yet the dawn is ours before we knew it. / Somehow, we do it“ hört sich deutsch so an: „Unversehens gehört uns der Morgen. / Irgendwie geht’s“. Was bei Gorman klingt und federt, wirkt in der Übersetzung nun müde und banal. Weitere Beispiele ließen sich anfügen. Das Wichtigste betrifft die genderpolitische Sollbruchstelle des ganzen Textes. Das deutsche Pendant zu „To compose a country comitted / To all cultures, colors, characters, / And conditions of man“ lautet: „Ein Land für Menschen aller Art, / jeder Kultur und Lage, jeden Schlags.“

Die Übersetzerinnen geben im Anhang eine instruktive Anmerkung zu dem Wort „color“, entscheiden sich dann aber in der Übersetzung für ein Wort, das nicht nur zu alltäglich klingt und damit die Stilebene nicht hält, sondern außerdem Zweifel weckt, ob hier wirklich der Sinn des Originals getroffen ist. Das Übersetzungsteam, bestehend aus der Literatur- und Lyrikübersetzerin Uda Strätling, der Autorin Kübra Gümüsay, die mit „Sprache und Sein“ gerade einen sprachkritischen Bestseller gelandet hat, und der Journalistin und Rassismusforscherin Hadija Haruna-Oelker will sich bei „The Hill We Climb“ einem „freudigen Experiment“ gestellt haben.

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Das Ergebnis aber klingt nach einem Formelkompromiss. Und er wirft Fragen auf. Etwa die nach dem Verhältnis von Poesie und Botschaft. Für die zweisprachige Ausgabe gilt: Wer die deutsche Version gelesen hat, sollte umgehend zum Original zurückkehren. Da findet er, was Gormans Poem zum Monument macht – seine doppelte Qualität als Hoffnungszeichen und Hochgenuss.

Amanda Gorman: The Hill We Climb – Den Hügel hinauf. Zweisprachige Ausgabe mit einem Vorwort von Oprah Winfrey. Übersetzt von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüsay. Hoffmann und Campe Verlag, 64 S., zehn Euro.

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