LesetippWarum alle Jüngeren Alice Schwarzers neues Buch lesen sollten

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Alice Schwarzer

Alice Schwarzer

  • Mit „Lebenswerk“ legt Alice Schwarzer Teil zwei ihrer Autobiografie vor.

Köln – Wer auf breit angelegte Kindheits- und Jugendschilderungen oder gar Details intimer Natur hofft, ist im falschen Buch. „Lebenswerk“ von Alice Schwarzer, jetzt bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, ist eine Autobiografie. Ja. Aber eine in Fortsetzung. Das macht die Autorin auch gleich zu Anfang deutlich. Im ersten Kapitel „Statt eines Vorworts: Ich bin ich“ schreibt sie: „Im ersten Teil meiner Lebenserinnerungen, in dem 2011 erschienenen ,Lebenslauf`, bin ich der Frage nachgegangen: Woher komme ich? Was hat mich geprägt? Wie bin ich zu der geworden, die ich bin? Es geht darin um die Jahre 1942 bis 1977. In diesem zweiten Teil setze ich nun den Akzent auf die publizistischen und politischen Aktivitäten meines Lebens.“

Keine ganz scharfe Trennung zwischen beruflich und privat

Darüber, ob sich der Lauf eines Lebens und die in dessen Fließen entstandenen Werke und Meinungen tatsächlich so fein säuberlich trennen lassen, könnte man streiten. Aber: so ganz rigide verläuft die Trennung zwischen Privatem und Beruflichen im Buch dann doch nicht. Etwa, wenn Schwarzer sich an den 22. November 2005 erinnert, als mit Angela Merkel zum ersten Mal eine Frau Regierungschef wurde: „Mir werden in dem Moment die Augen feucht. Und ihre Familie? Die scheint ungerührt. Anschließend soll es Kartoffelsalat und Bier gegeben haben. Ich hätte die Champagnerkorken knallen lassen. Aber ich bin ja auch Rheinländerin.“

Zur Person

Geboren am 3. Dezember 1942 in Wuppertal, besuchte die Handelsschule, arbeitete einige Jahre „im Büro“. Danach Sprachstudium in Paris und Volontariat bei den „Düsseldorfer Nachrichten“. 1969 Reporterin bei der Zeitschrift „Pardon“, 1969-1974 politische Korrespondentin in Paris. 1975 erschien „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ und wurde zum heiß diskutierten Bestseller. Zwei Jahre später Gründung der Zeitschrift „Emma“. Alice Schwarzer ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Bücher. Sie lebt in Köln und Paris und ist seit 2018 verheiratet. 

Für Menschen, die 1975 noch zu jung oder noch gar nicht geboren waren, ist „Lebenswerk“ ein unverzichtbares Lesebuch. Weil es erklärt, warum die Frau, die einen Namen trägt, den bis heute jeder kennt, damals „zur öffentlichen Person“ und „die Feministin Nr. 1“ wurde – und zugleich von der Presse als „Frustrierte Tucke“, „Hexe mit stechendem Blick“ oder „Nachteule mit dem Sex einer Straßenlampe“ diffamiert. Oder wie es dazu kam, dass Schwarzer 1977 mit „Emma“ die einzige deutsche „Zeitschrift von Frauen für Frauen“ gründete. Die, 1978, als erste, „Das Verbrechen, über das niemand spricht“ öffentlich machte: Kindesmissbrauch. Oder mit ihren „Emma“-Kampagnen, etwa gegen Essstörungen oder Brustkrebs, ein Bewusstsein für weitere bis dahin ignorierte Themen schuf.

Diskussion um den Paragraph 218 befeuert

Nach- oder zu früh Geborene können auch nicht Bahnbrechendes erinnern, das noch weiter zurück liegt. Wie 1971 die von Schwarzer ins Leben gerufene Aktion „Wir haben abgetrieben!“, bei der sich 374 prominente und nicht prominente Frauen im Rahmen einer Titelgeschichte im „Stern“ zu einem Schwangerschaftsabbruch bekannten – und damit die Diskussion um den Paragraph 218 mächtig befeuerten.

„Ich bin ein Mensch, der sich alles, was er heute ist, selbst erkämpft hat“, schreibt Schwarzer in „Lebenswerk“. Sie schreibt, wie hart es ist, immer wieder, bis heute, auf Ablehnung zu stoßen, aber auch, dass sie „immer schon gerne gelacht, gefeiert, geliebt hat“. Auch hier blitzt es wieder auf: das Private.

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Ebenso wie bei einigen der Fotos, die sich im Mittelteil des Buches befinden. 30 „Emma“-Schlüsseltexte aus den Jahren 1971 bis 2018 laden am Schluss dazu ein, das zuvor Geschilderte zu vertiefen. Spätestens bei „Bushido: Du bist ein Spießer!“ (2010) dürften auch die Jüngsten unter den nach 1975 Geborenen hier wieder auf aktuellem Kurs sein.

 Alice Schwarzer: Lebenswerk. Kiepenheuer & Witsch, 474 S., 25 Euro. Die Lesung am 22.10., 19.30 Uhr, im Schauspielhaus Köln, Schanzenstr. 6-20, ist bereits ausverkauft, aber eventuell gibt es noch Restkarten an der Abendkasse.   

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