NachrufWie Chick Corea an einem Abend in Paris den Jazz veränderte

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Chick Corea

Chick Corea

Fast auf den Tag genau vor 50 Jahren, am 21.2.1971, gab ein gerade mal 29-jähriger Pianist in Paris ein Konzert, das in die Jazz-Geschichte eingehen sollte.

Chick Corea hatte eben erst gemeinsam mit dem Bassisten Dave Holland die elektrische Band von Miles Davis verlassen, wo er an der Seite weiterer junger Keyboarder wie Herbie Hancock, Joe Zawinul und Larry Young gespielt hatte. Nun gründete er das Quartett Circle, zu dem neben Holland und Schlagzeuger Barry Altschul vor allem auch der expressive, sowohl von Stockhausen als auch von Coltrane inspirierte Saxofonist Anthony Braxton hinzustieß.

Was die vier Musiker an jenem Abend in Paris an Erfindungsreichtum, Intensität und purer Energie entfachten, hat bis heute nichts von seiner Klasse eingebüßt. 

Jahre bei Miles Davis

Mancher Musiker würde von einem solch herausragenden Ereignis sein Leben lang zehren, für Chick Corea aber war es damals nur eines von vielen musikalischen Abenteuern, die sich innerhalb weniger Jahre oft zeitgleich ereigneten und sich in atemberaubender Weise miteinander verzahnten. Auf seine ersten beiden Alben „Tones for Joan’s Bones“ (1966) und „Now He Sings, Now He Sobs“ (1968), auf denen er bereits mit komplex erweiterten Melodien und Rhythmen brillierte, folgten die Jahre bei Miles Davis, der ihn auf seinen Alben „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“ (beide 1969) mit dem E-Piano sowie diversen elektrischen Effekten experimentieren ließ.

Spätestens mit dem Quartett Circle avancierte dann der arbeitswütige, in seiner Kreativität nicht zu bremsende Pianist zu einem der bedeutendsten Protagonisten des Jazz der unmittelbaren Nach-Coltrane-Ära: Wollte man den Klaviergrößen jener Zeit, Bill Evans, Herbie Hancock, McCoy Tyner oder Keith Jarrett, ein Denkmal errichten, dann hätte auch Chick Corea einen Sockel verdient. 

Das Doppelalbum mit dem grandiosen Pariser Live-Mitschnitt erschien im Mai 1972, doch schon zwei Monate später gab es auf demselben Plattenlabel einen weiteren Jazz-Meilenstein: „Return to Forever“ wurde nicht nur zum klangtechnisch herausragenden Aushängeschild für Manfred Eichers junges Label ECM, auch das ikonische LP-Cover schrieb Geschichte. Mit weit ausgebreiteten Schwingen segelt eine Möwe über ein türkis glitzerndes Meer, die atmosphärische Szene verschwimmt wie aus der Bewegung heraus fotografiert zu einem Moment des Zaubers, der für die unfassbare Schönheit der Musik steht.

In der Besetzung mit Joe Farrell (Saxofon, Flöte), Flora Purim (Gesang), Stan Clarke (Bass) und Airto Moreira (Perkussion) wurde sie zum Fundament einer langlebigen Band, in der lyrische Klangfeinheiten, lateinamerikanische Einfärbungen und zunehmend ausgeprägtere Jazz-Rock-Elemente eine Einheit bildeten. Mal hallte Coreas E-Piano sphärisch betörend durch Kompositionen wie „Some Time Ago“, „Crystal Silence“ und „La Fiesta“, mal spielten seine unnachahmlich rasanten, technisch virtuosen Tonfolgen einen regelrecht schwindelig.

Der definitive Klassiker

Als würde ein Plattenlabel allein diese brodelnde Energie nicht verkraften, erschien fast zeitgleich auf Polydor auch noch das Return to Forever- Album „Light as a Feather“, auf dem es den definiten Corea-Klassiker „Spain“ gab, quasi als Resultat von Coreas langer Vorliebe für Latin-Rhythmen: Das „Spain“-Thema hörte man bereits auf 1968 in der Komposition „Steps – What Was“, hingetupft von Corea und Bassist Miroslav Vitous. 

Von nun an stand Chick Corea nie mehr still. Als erfolgreiche, sich ständig modifizierende Fusion-Formation prägte Return to Forever nicht nur die 1970er-Jahre, während Corea immer wieder neue Projekte entwickelte, nebenbei die Klassik für sich entdeckte, aber auch kaum eine moderne Musikströmung zwischen Jazz-Rock, Latin Jazz, R & B oder symphonischem Orchesterklang ausließ. Er gründete die Elektrik Band sowie die Acoustic Band und schuf diverse Konzeptalben, auf denen er sich zum veritablen Geschichtenerzähler mauserte.

Verrückter Hutmacher

So widmete er sich 1978 auf dem Album „The Mad Hatter“ Figuren und Episoden aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“, gleichsam selbst ein verrückter Hutmacher, der musikalisch nahezu alles aus dem Hut zaubern konnte. Wenn es einen Wermutstropfen in seiner Kariere gab, dann seine unkritische Begeisterung für den Autor und Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, die ihm manche Konzertabsage, verbunden mit Rechtstreitigkeiten einbrachte. 

Auch dies tat seinem weltweiten Erfolg freilich keinen Abbruch. Vielfach wurde Chick Corea mit Preise geehrt, so war er für 67 „Grammy Awards“ nominiert, 23-mal erhielt er die Auszeichnung, erst im vergangenen Jahr für das Album „Antidote“ seiner Formation Spanish Heart Band. Am 12. Juni hätte Armando Anthony „Chick“ Corea seinen 80. Geburtstag gefeiert, nun aber starb er nach kurzer, schwerer Krankheit am 9. Februar.

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