Neuer Roman„Die Kinder sind Könige“ zeigt das Leben von YouTube-Kinderstars

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Autorin Delphine de Vigan beim Gespräch mit der Rundschau 

Die sechsjährige Kimmy Diore verschwindet aus der exklusiven Pariser Wohnanlage, in der sie mit ihrer Familie lebt. Alles deutet auf eine Entführung hin, die Kriminalpolizei ermittelt auf Hochtouren, Kimmys älterer Bruder Sam und ihre Eltern stehen unter Schock. Delphine de Vigans Roman „Die Kinder sind Könige“ klingt anfangs nach einem klassischen Kriminalroman – doch das Herzstück des Buches ist ein anderes, brandaktuelles Thema.

Kinder vor der Eltern-Kamera

Denn die Diores sind Internet-Stars: Sie filmen ihren Alltag – vor allem den der Kinder – um die Videos dann in den sozialen Medien zu veröffentlichen. Hunderttausende Menschen können online verfolgen, wie die Familie einkauft, kocht, in den Urlaub fährt oder Geschenke auspackt. Treibende Kraft dahinter ist Mutter Mélanie, deren Karriere als Reality-TV-Darstellerin einst krachend gescheitert ist – jetzt sind Kimmy und Sam die Garanten des Erfolgs für ihren YouTube-Kanal.

Finanziell müssen die Diores sich keine Sorgen machen, doch vor allem die kleine Kimmy leidet zunehmend darunter, quasi auf Knopfdruck vor der Kamera funktionieren zu müssen. Mélanie tut den Protest ihrer Tochter aber als kindlichen Trotz ab – immerhin habe diese doch alles, was sich ein kleines Mädchen nur wünschen kann.

Die Familienblogger

Kanäle auf sozialen Medien wie YouTube oder Instagram, auf denen Familien ihren Alltag filmen und mit Tausenden Followern teilen, gibt es auch in Deutschland. Durch Werbepartnerschaften mit Unternehmen und Produktplatzierungen in den Videos verdienen die Familien teils viel Geld. Oft stehen Kinder und Jugendliche als Protagonisten vor der Kamera, obwohl der Kanal offiziell von den Eltern betrieben wird. Familienblogger geraten jedoch in die Kritik, sogar auch vonseiten anderer YouTuber: So könne etwa die Privatsphäre des Kindes verletzt werden, wenn das Zuhause zum Drehort oder das Kind in peinlichen Situationen gezeigt wird. Auch darüber, ob die jungen Social-Media-Stars lediglich einem Hobby nachgehen oder effektiv Kinderarbeit leisten, wird diskutiert. (crb)

Ist „Die Kinder sind Könige“ nun ein Krimi, Familiendrama, oder Gesellschaftskritik? „Es ist eigentlich alles drei“, sagt Autorin Delphine de Vigan im Gespräch mit der Rundschau. Die 56-jährige Französin wurde durch eine Fernsehreportage über Familienblogger erstmals auf das Thema aufmerksam (siehe auch Infokasten). „Ich habe angefangen, mir wie wild Notizen zu machen“, berichtet sie. „Bei der Recherche für das Buch habe ich auch viele YouTube- und Instagram-Videos von Familienbloggern aus den USA und Frankreich angesehen, und ich war erschrocken darüber.“

Ähnlich geht es auch der zweiten Protagonistin des Romans, Polizistin Clara. Die pedantische Kriminalbeamtin wird im Zuge ihrer Ermittlungen zu Kimmys Verschwinden mit der ihr fremden Welt der Social-Media-Kinderstars konfrontiert, zu der sie jedoch keinen Zugang finden kann. „Es war spannend, so gegensätzliche Hauptfiguren zu entwerfen“, sagt de Vigan. „Mélanie sucht das Licht der Aufmerksamkeit, während Clara sozusagen im Schatten lebt, allein und zurückgezogen.“

Frage nach der Psyche von YouTube-Kinder-Stars

Der Roman wirft viele Fragen auf: Was macht es mit der Psyche eines Kindes, selbst im eigenen Zuhause auf Schritt und Tritt gefilmt zu werden? Ist ihre Mitwirkung an den viel geklickten Videos Arbeit, die entsprechend gesetzlich reguliert gehört? Wer profitiert am Ende davon – die Kinder oder lediglich die Eltern und Social-Media-Plattformen?

„Der Roman soll keine Lektionen erteilen“, sagt Delphine de Vigan. „ Der Leser soll dazu angeregt werden, selbst nachzudenken und sich über das Thema zu informieren.“ Den moralischen Zeigefinger heben will sie nicht: „Verstehen anstatt verurteilen“ ist ihre Devise. „Ich denke, dass die Eltern – wie Mélanie im Roman – glauben, ihren Kindern etwas Gutes zu tun“, so de Vigan. „Wir müssen fragen, warum sie machen, was sie machen, und ob wir als Gesellschaft das so unterstützen möchten.“

Delphine de Vigan: Die Kinder sind Könige. Roman. Aus dem Französischen von Doris Heinemann, DuMont, 318 S., 23 Euro.

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