Umjubelte PremiereBayreuther Festspiele feiern mit „Tristan und Isolde" die Liebe

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Bayreuth – So versöhnlich, so anrührend wie dieses Jahr ist schon lange keine Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele zu Ende gegangen. Während Catherine Foster Isoldes Schlussgesang anstimmt, wackelt ein altes Ehepaar herein, umrundet die Bühne, er links-, sie rechtsherum, trifft sich wieder und schreitet langsam nach vorne. Während die Musik aus dem Graben entschwebt, taucht zuerst ein Gaze-Vorhang die Bühne ins Traumlicht, dann sinkt, langsam, langsam, der Vorhang. In den letzten Klang hinein bricht das Publikum im Bayreuther Festspielhaus in Jubel aus, als habe man einem Weltereignis erster Güte beigewohnt.

Dieses Schlussbild von „Tristan und Isolde“ greift auf, was Richard Wagner in diesem seinem Liebesdrama vorgibt: Nach fast vier Stunden Musik beklagt König Marke – wirklich großartig gesungen von Georg Zeppenfeld – die ganze Tragödie, die seinen Freund Tristan dahingerafft hat. Das Gestühl und die Hitze im Festspielhaus sind da zur kaum noch erträglichen Tortur geworden, man wünscht sich eigentlich nur noch das Ende.

Doch dann blüht eine nahezu überirdisch schöne Musik auf, die Dirigent Markus Poschner vom Orchester zart und luftig intonieren lässt. Dazu singt Catherine Foster überirdisch schön, füllig im Stimmklang und perfekt gestaltet. Hitze und Folterstühle sind vergessen; so könnte es noch ewig weitergehen.

Wagners Apotheose und die Rührseligkeit an der Grenze zum Kitsch von Regisseur Roland Schwab gehen in diesem Moment eine symbiotische Beziehung ein, für einen überwältigenden Schluss des Abends. Allerdings: Vergessen machen diese letzten Minuten nicht, wie unbeholfen Manches zuvor aussah.

Das muss man allerdings in Beziehung setzen zu den besonderen Umständen dieser Produktion. „Tristan“ ist der Joker der diesjährigen Festspiele: Ein Werk, das auch noch gespielt werden könnte, wenn Corona den halben Chor ausbootet. Im Dezember 2021 erfuhr Schwab, dass er diese „Handlung in drei Aufzügen“ inszenieren soll, gemessen an den üblichen Vorlaufzeiten im Theaterbetrieb, musste er seine Regie in Schallgeschwindigkeit entwickeln.

Und Markus Poschner übernahm erst auf der Zielgeraden die musikalische Leitung, weil der ursprünglich vorgesehene Cornelius Meister den an Corona erkrankten Pietari Inkinen als „Ring“-Dirigent ersetzen muss.

Gefühle als galaktisches Ereignis

Gemessen an diesen verrückten Umständen ist Schwab eine solide Inszenierung gelungen. Die Handlung beginnt auf einem Kreuzfahrtschiff: Hier muss Brangäne (Ekaterina Gubanova) das Wüten ihrer Freundin Isolde ertragen, hier begegnen sich Tristan und Isolde und verlieben sich unsterblich ineinander.

Zentrales Element auf diesem Schiff ist der Pool, den die Figuren umrundet wie die Katze den heißen Brei. Und tatsächlich verwandelt sich der Pool, analog zu den emotionalen Wirbelstürmen, in einen alles verschluckenden Strudel, ein schwarzes Loch. Im Bühnenbild von Piero Vinciguerra spiegelt sich der absolute Liebeswahn, in den das Protagonistenpaar versinkt.

Auf einen Blick

Das Stück: Vier Stunden Liebespein und Liebestod.

Die Regie: Das Konzept mit dem Blick ins All geht auf.

Das Ensemble: Catherine Foster und Stephen Gould überragen ihre Kollegen. (EB)

Die Gefühle sind hier kein Rausch, sondern ein galaktisches Ereignis. Deshalb wird der Pool im zweiten Akt zum Abbild des Weltalls, und je intensiver die Gefühle, desto schneller ziehen Sterne und Planeten ihre Bahn, bis von der Welt nur noch ein weißes Grisseln bleibt. Aufgeräumt, ein bisschen klinisch sieht das alles aus – und ein bisschen hilflos, weil sich die Darstellung auf dramatisch ausgebreitete Arme beschränkt und die Figuren etwas hölzern durch Raum und Zeit bewegen.

Dass vier Stunden trotzdem nicht zur drögen Angelegenheit werden, liegt am Händchen der Festspiele für die richtigen Sängerinnen und Sänger. Stephen Gould ist ein vor Kraft strotzender, die Tortur der Partie locker durchstehender Tenor – auch die rund 40 Minuten Todeskampf im dritten Aufzug.

Noch überwältigender aber singt Catherine Foster. Dank der sinnlichen Fülle ihres dramatischen Soprans wird Isolde zu selbstbewussten Frau, die wütet, leidet und liebt – und das musikalisch feinsinnig und detailliert darlegt. Georg Zeppenfeld als Marke ist ebenfalls eine Wucht, Gubanova als Brangäne und Markus Eiche als Tristans Freund Kurwenal liefern soliden Gesang.

Einen grandiosen Einstand am Grünen Hügel feiert schließlich der musikalische Leiter. Poschner braucht zwar ein paar Momente, um sich auf die speziellen Gegebenheiten des Hauses einzustellen, hält dann aber Bühne und Orchester gut zusammen.

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Vor allem aber nimmt er sein Publikum mit auf eine Reise durch emotionale Täler und Höhen, vorbei an schwarzen Löchern und manchmal beherzt mittenrein. Wer hier dem Orchester zuhört, erfährt ziemlich genau, wie Gefühle dieses Ausmaßes die beiden Liebenden beuteln und überwältigen.

Deshalb geht das ganze Konzept schließlich auch auf: Dank Poschner bleibt der Abend im Fluss, auch wenn die Darstellung auf der Bühne sich in Sängerklischees erschöpft.

Andererseits erzählt Regisseur Roland Schwab davon, wie erfüllend die Liebe sein kann – und wie schön das Leben doch ist.

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