„Islam-Feindlichkeit“Erdogan eröffnet neue Front im Streit mit Europa

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (l.) mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Istanbul – Mit verbalen Angriffen auf Frankreich und Deutschland eröffnet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die nächste Front in seiner aggressiven Außenpolitik. Frankreich rief jetzt seinen Botschafter aus der Türkei zu Konsultationen zurück, nachdem Erdogan den französischen Staatschef Emmanuel Macron als geisteskrank verhöhnte.

Gleichzeitig stilisierte Erdogan die Durchsuchung einer Berliner Moschee durch die Polizei wegen Betrugsverdachts zum islam feindlichen Angriff. Indem er die Türkei und die Muslime als Opfer westlicher Angriffe hinstellt, will Erdogan die türkischen Wähler hinter sich scharen: Es war kein Zufall, dass er seine neue Breitseite gegen Europa am Samstag bei einem regionalen Parteitag seiner Regierungspartei AKP im zentralanatolischen Kayseri abschoss.

Erdogans Kritik an Macron richtete sich gegen dessen Aussage, der Islam befinde sich in der Krise, sowie die Ankündigung des französischen Präsidenten, „separatistische“ islamistische Tendenzen stärker zu bekämpfen. Macron hatte zudem erklärt, Frankreich stehe zu den umstrittenen Mohammed-Karikaturen des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“, die im Jahr 2015 einen islamistischen Anschlag mit zwölf Todesopfern ausgelöst und in vielen islamischen Ländern kritisiert worden waren.

Erdogan nennt Macron „islamfeindlich“

„Macron gehört in psychiatrische Behandlung“, sagte Erdogan in Kayseri. Was solle man sonst über ein Staatsoberhaupt sagen, das sich gegenüber Millionen von Bürgern eines anderen Glaubens so verhalte wie der französische Präsident. Ohne die kürzliche Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty wegen der Verwendung der Mohammed-Karikaturen im Unterricht zu erwähnen, kritisierte Erdogan, dass die Karikaturen bei Gedenkveranstaltungen in Frankreich auf die Wände staatlicher Gebäude projiziert wurden: „Das nennt man nicht Freiheit, sondern ganz klar Islam-Feindlichkeit.“ Auf Twitter riefen Erdogan-Anhänger am Wochenende zum Boykott französischer Waren auf.

In Kayseri griff Erdogan auch die deutschen Behörden scharf an. Die Durchsuchung der Mevlana-Moschee in Berlin-Kreuzberg voriger Woche sei „respektlos“ und nicht zu rechtfertigen. Die Moschee war wegen des Verdachts auf Betrug bei Corona-Soforthilfen durchsucht worden. Schon am Freitag hatte Erdogan erklärt, der Berliner Polizeiaktion sei von „Rassismus und Islam-Feindlichkeit“ motiviert gewesen. Europa nähere sich der „Dunkelheit des Mittelalters“. Erdogans Justizminister Abdulhamit Gül sprach von einer „Krankheit des Rassismus“ in Europa.

Streitpunkt Erdgas

Die Türkei hatte in den vergangenen Monaten die Europäer bereits mit Erdgas-Erkundungen in umstrittenen Teilen des östlichen Mittelmeeres gegen sich aufgebracht. Am Wochenende verlängerte Ankara die Mission eines Forschungsschiffes vor der Küste der griechischen Insel Rhodos bis Anfang November, obwohl die EU mit Sanktionen droht. Frankreich fordert wie Griechenland und Zypern im Gasstreit scharfe Strafmaßnahmen gegen Ankara. Deutschland will Sanktionen vermeiden, gerät in der EU wegen des aggressiven Verhaltens der Türkei und Erdogans Rhetorik aber zunehmend in Erklärungsnot.

Mit der Rückberufung des französischen Botschafters aus Ankara machte Macrons Regierung am Wochenende deutlich, dass Paris kaum noch Möglichkeiten sieht, die Probleme mit der Türkei gütlich beizulegen. Beleidigungen seien kein Mittel der Politik, erklärte der Elysee-Palast. Das französische Präsidialamt wies zudem darauf hin, dass es von Erdogan nach der Ermordung des Lehrers Paty durch einen Islamisten kein Wort des Beileids gegeben habe.

Keine europäischen Partner

In der EU hat die Türkei inzwischen fast keine Partner mehr. Nach Meinung der Türkei-Expertin Sinem Adar von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik ist Ankara kaum noch fähig, außenpolitische Differenzen im Dialog zu lösen. Erdogans Rhetorik und die türkischen Boykottaufrufe seien ein Zeichen für die „schwächer werdenden diplomatischen Fähigkeiten“ der Türkei, schrieb Adar am Sonntag auf Twitter. Erdogan benutze den Islam, um politisch zu punkten - dasselbe könne man allerdings auch von Macron sagen. Nach Macrons Äußerungen über den Islam und die Mohammed-Karikaturen wurde auch in Jordanien, Kuwait und Katar zum Boykott französischer Waren aufgerufen.

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Zusätzlich angeheizt wird die türkisch-europäische Konfrontation durch Erdogans Anspruch, für alle Muslime zu sprechen. Der Westen sehe in jedem Muslim einen Türken und in jedem Türken einen Muslim, sagte der türkische Staatschef in Kayseri: „Islam-Feindlichkeit in Europa ist auch immer Türkei-Feindlichkeit.“

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