Banger Blick nach RomKrise in Italien bedroht schon jetzt Europas Stabilität

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Ende einer Amtszeit: Mario Draghi verabschiedet sich nach seiner Rede im Parlament von den Abgeordneten.

Ende einer Amtszeit: Mario Draghi verabschiedet sich nach seiner Rede im Parlament von den Abgeordneten.

Florenz – Zwar hatte Mario Draghi die Vertrauensabstimmung im Senat am Dienstag mit einer knappen Mehrheit gewonnen. Doch seine eigentlichen Ziele hatte der italienische Premier, früher Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), nicht erreicht. Er wolle nur einer Regierung vorstehen, die von einer breiten nationalen Mehrheit getragen werde, hatte der 74-Jährige zuvor erklärt. Dies war jedoch bei den heillos zerstrittenen politischen Kräften im römischen Parlament nicht zu erreichen. Folgerichtig trat Draghi den Weg zum Staatspräsidenten an, um seinen Rücktritt definitiv zu machen.

Der Abgang des Regierungschefs war nicht ohne Polemik vonstattengegangen. Die Parteien hätten in den vergangenen Wochen ihre Interessen über die Verantwortung gegenüber dem Land gestellt, hatte Draghi vor dem parlamentarischen Oberhaus erklärt. Die Italiener seien es gewesen, „deretwegen ich heute überhaupt in den Senat zurückgekehrt bin, ihnen müsst ihr Antworten geben“. Doch sowohl von den bislang mitregierenden „Cinque Stelle“ (Fünf Sterne) als auch von den in der Koalition ebenfalls vertretenen Rechtsparteien Lega und Forza Italia kam nur Schweigen. So erklärte Draghi am Donnerstagmorgen endgültig seinen Rückzug aus dem Amt, das er seit Februar 2021 innehatte.

„Manchmal haben auch Zentralbanker ein Herz“

Das Abgeordnetenhaus sah einen entspannten Premier, der bewegt den Applaus nach seiner Demissionserklärung entgegennahm. „Manchmal haben auch Zentralbanker ein Herz“, meinte Draghi selbstironisch, bevor er den Plenarsaal zum abschließenden Gespräch bei Staatspräsident Sergio Mattarella verließ. Der nahm den Rücktritt ruhig entgegen und verfügte nach den Konsultationen mit den Kammerpräsidenten Roberto Fico (Abgeordnetenhaus) und Maria Elisabetta Alberti Casellati (Senat) das Auflösen des Parlaments.

Nach der italienischen Verfassung sind nun nach einer Frist zwischen 60 und 70 Tagen Neuwahlen anzusetzen. Während einer Sitzung des Ministerrats am Donnerstagabend wurde mitgeteilt, dass dieser Termin auf den 25. September festgelegt wurde. Die jüdischen Gemeinden haben bereits im Vorfeld annonciert, dass sie keinen Einwand gegen dieses Datum einlegen werden – der Tag fällt immerhin auf Rosh ha Shanna, das jüdische Neujahrsfest des Jahres 5783.

Draghi kommissarisch im Amt

Bis zu den Wahlen – so die Bitte des Staatspräsidenten – solle Mario Draghi weiter die Geschäfte des Regierungschefs führen. Doch auch hier setzt die Verfassung klare Grenzen. Der Premier kann lediglich die aktuelle Lage verwalten, jedoch keine neuen programmatischen Gesetze erlassen oder in großem Umfang über Haushaltsmittel verfügen. Genau das ist es aber, was sowohl die italienische Wirtschaft als auch die europäischen und transatlantischen Partner besorgt. In der gegenwärtigen Krise ist die Regierung in Rom nicht weiter handlungsfähig. Sowohl was die Bekämpfung von Energiekrise und Inflation als auch was das gemeinsame Handeln im Ukraine-Konflikt anbetrifft, wird man auf das Mitwirken Italiens für die kommenden Wochen eher verzichten müssen.

Der Ex-Premier und gegenwärtige EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni erklärte auch die Besorgnis Brüssels: „Die Krise in Rom hat einen Sturm mit schwer abschätzbaren Folgen ausgelöst“, sagte er. Die Börse reagierte entsprechend: In Mailand stürzte sie am Donnerstag um 1,85 Prozentpunkte ab, der Spread – der Zinsunterschied zwischen bundesdeutschen und italienischen Staatsanleihen – stieg auf 244 Punkte. Nur in der Regierungskrise Silvio Berlusconis am Ende 2010 lag er deutlich höher.

Bereits vor dem Auftritt Draghis im italienischen Senat hatten sich die Mitte-Rechts-Parteien Lega und Forza Italia in den Startlöchern bereitgestellt. Demonstrativ zeigten sie dem Premier die kalte Schulter, denn sie rechnen sich bei Neuwahlen einen möglichen Sieg aus. Betrachtet man sich die aktuellen Umfragen, dürfte dies keineswegs ausgeschlossen sein.

Salvini wohl chancenlos

Unwahrscheinlich ist jedoch, dass der große Traum des Lega-Chefs und früheren Innenministers Matteo Salvini, den Sessel im Palazzo Chigi besetzen zu dürfen, in Erfüllung geht. Denn derzeit liegen die postfaschistischen Fratelli d’Italia mit 23,8 Prozent in der Wählergunst vorn. Die Lega käme den Umfragen zufolge auf 14 Prozent und Berlusconis Forza Italia rutscht sogar auf nur 7,4 Prozent ab.

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Dennoch würde eine Allianz aus den drei rechten Parteien den Wahlsieg davontragen. Denn nach dem geltenden italienischen Wahlrecht bekommt die politische Gruppierung, der es gelingt, die 40-Prozent-Hürde zu überspringen, noch einen kräftigen Mandatsbonus, mit dem es sich sicher regieren ließe. Allerdings verlassen führende Politiker der Forza Italia wie Maria Stella Gelmini und Renato Brunetta – ewig an der Seite des „Cavaliere“ Berlusconi – gerade aus Enttäuschung über den Verrat an Draghi die Partei.

Nur noch 11,2 Prozent für die Sterne

Bis zu dieser Woche dominierte die Fünf-Sterne-Bewegung das Parlament. Doch der grandiose Wahlsieg von 2018, bei dem die populistische Protestbewegung des früheren Fernsehkomikers Beppe Grillo mit 32,68 Prozent stärkste Einzelpartei wurde, ist Vergangenheit. Nur noch bei 11,2 Prozent sehen die Umfragewerte die Sterne, Tendenz weiter sinkend.

Auch die sozialdemokratische Partito Democratico wird sich mit zwar respektablen 22,1 Prozent wohl auf der Oppositionsbank wiederfinden. Ein Wahlsieg der Rechtsparteien mit Fratelli d’Italia-Chefin Giorgia Meloni an der Regierungsspitze dürfte jedoch schwere Zeiten für die EU mit sich bringen. Im Club mit dem Ungarn Victor Orbán könnte Rom dann einige Turbulenzen vor allem in die EU-Ostpolitik einbringen – und sogar den einheitlichen Kurs zugunsten der Ukraine gegen Russland infrage stellen. (mit dpa)

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