Fünf Jahre nach „Wir schaffen das!“Macht Corona Merkels Integrationspläne zunichte?

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

31.08.2015, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußert sich während der Bundespressekonferenz zu aktuellen Themen der Innen- und Außenpolitik. Unter anderem sagte sie den Satz «Wir schaffen das.» in Bezug auf die nach Deuschland einreisenden Flüchtlinge.

  • Fünf Jahre nach Merkels berühmtem Ausspruch „Wir schaffen das!“ droht die Corona-Krise viele Erfolge wieder zunichte zu machen.
  • Anhand von Arbeitsmarktdaten lässt sich eine erste Bilanz ziehen.
  • Wie ist die Integration von mehr als einer Million Menschen in den Arbeitsmarkt gelungen?

Am 31. August 2015, auf dem damals erst vorläufigen Höhepunkt der Flüchtlingskrise, stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den bohrenden Fragen der Hauptstadtjournalisten. Tausende drängen zu dieser Zeit täglich über die deutsche Grenze, weitere Menschenmassen sind zu erwarten, Deutschland wird geradezu überrannt von Flüchtlingen. Sie kommen aus den Kriegsgebieten im Irak, Afghanistan und Syrien, aber auch aus Nordafrika und dem Balkan. Da sagt Merkel einen Satz, der Geschichte machen wird, den berühmten Satz vom „Wir schaffen das!“

Tatsächlich waren es mehrere zusammenhängende Sätze: „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“ Merkels Parole am Ende dieser Passage hat polarisiert wie keine andere in ihrer Kanzlerschaft: Viele Menschen reagierten mit Beifall, doch noch mehr Menschen fühlten sich überfordert und übergangen.

Arbeitsmarktdaten liefern erste Bilanz

Emotionen überdauern oft die Fakten, doch nur Daten und Fakten liefern ein Mindestmaß an Objektivität. Fünf Jahre nach Merkels Ausspruch lässt sich anhand von Arbeitsmarktdaten eine erste Bilanz ziehen: Wie ist die Integration von mehr als einer Million Menschen in den Arbeitsmarkt gelungen?

Dazu hat das an die Bundesagentur für Arbeit (BA) angegliederte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unlängst eine ausführliche Studie vorgelegt. Auf der Grundlage von Langzeit-Befragungen bei Geflohenen, die das so genannte Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) lieferte, und Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) konnten IAB-Migrationsforscher Herbert Brücker und sein Team wichtige Ergebnisse herausfiltern. „Wenn Sie mich fragen: Stimmt der Merkel-Satz ‚Wir schaffen das‘ aus heutiger Sicht? Sage ich: Ja, bis zum Ausbruch der Corona-Krise waren wir wirklich auf sehr gutem Wege, die Arbeitsmarktintegration der 1,2 Millionen Geflohenen schneller als in der Vergangenheit zu schaffen“, sagt Brücker.

Job nach 50 Monaten

Fünf Jahre nach dem Zuzug gingen im zweiten Halbjahr 2018 bereits 49 Prozent der Geflüchteten einer Erwerbstätigkeit nach, so das zentrale Ergebnis der IAB-Studie. Bei früher Geflüchteten, etwa während der Balkankriege in den 1990er Jahren, waren es dagegen nach fünf Jahren nur 44 Prozent. „Der grundsätzlich positive Trend hat sich bis Ende 2019, also vor dem Ausbruch der Corona-Krise, fortgesetzt.

Nach fünf Jahren haben rund die Hälfte derer, die 2013 bis 2016 zu uns geflüchtet sind, einen Job“, sagt Brücker. Sein Team hat weitere Indizien dafür gefunden, dass die Arbeitsmarktintegration nach der letzten Flüchtlingswelle besser funktionierte als nach früheren Wellen. So hatten Geflüchtete, die zwischen 1990 und 2013 nach Deutschland gekommen sind, durchschnittlich nach 60 Monaten einen Job. Bei den seit 2013 Geflüchteten war das schon nach 50 Monaten der Fall.

Frauen gelingt Sprung in die Erwerbstätigkeit seltener

„Wir haben Vieles einfach richtig gemacht: die Beschleunigung der Asylverfahren, das flächendeckende Angebot von Sprachkursen, die engagierte Arbeitsvermittlung, die Anstrengungen der Unternehmen und das hohe ehrenamtliche Engagement“, lobt Brücker. Positiv sei auch der hohe Fachkräfteanteil. „Nur 25 Prozent der Geflohenen haben eine Hochschule oder Ausbildungseinrichtung besucht, aber 57 Prozent arbeiten als Fachkräfte oder in akademischen Berufen. Sie haben den Sprung geschafft, weil sie ähnliche Berufe in ihren Heimatländern ausgeübt haben“, sagt Brücker.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die andere Hälfte der Geflohenen auch fünf Jahre nach dem Zuzug noch nicht erwerbstätig ist und dass diese Menschen überwiegend von staatlichen Leistungen abhängig sind. Vor allem Frauen gelingt der Sprung in die Erwerbstätigkeit viel seltener. Eine weitere Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die in dieser Woche veröffentlicht wird, kommt zu dem Ergebnis, dass sich die hohen Erwartungen von etwa einem Drittel der Geflohenen nicht erfüllt haben. Häufig seien dies Frauen, Menschen mit geringer psychischer Gesundheit und Grundschulbildung.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Es gab und gibt auch Defizite“, sagt Brücker. Dass Schutzsuchende nach ihrer Ankunft ein Jahr oder länger herumsitzen müssten, bevor sie mit einem Integrations- oder Sprachkurs beginnen könnten, sei unnötig „verlorene Zeit“. Zudem gelinge es nicht, die hohen Bildungspotenziale der Geflüchteten auszuschöpfen. „60 bis 70 Prozent der Erwachsenen wollen in Deutschland Bildungsabschlüsse nachholen, doch nur 25 Prozent haben bisher an einer Bildungsmaßnahme teilgenommen. Der Zugang zu Schulen, Ausbildung und Universitäten muss für erwachsene Geflüchtete einfacher werden.“

Die Corona-Krise bedeutet jetzt einen erheblichen Rückschlag für die Integration der Flüchtlinge. „Leider wirkt sich die Corona-Krise sehr schlecht auf die Beschäftigung Geflohener aus: Sie sind die Gruppe am Arbeitsmarkt, die am stärksten von Entlassungen betroffen ist“, sagt Brücker. Denn Flüchtlinge üben häufig Berufe aus, die sich nicht im Homeoffice erledigen lassen, etwa Sicherheitsdienste oder Tätigkeiten in der Gastronomie. Hinzu kommt, dass sie erst seit kurzer Zeit beschäftigt sind und das oft befristet.

Auch Kanzlerin Merkel konnte allerdings vor fünf Jahren nicht voraussehen, dass eine Pandemie viele Erfolge zunichtemachen würde.

Nachtmodus
Rundschau abonnieren