Tischtennis-Star Timo Boll im Interview„Ich bin gerne in China und vermisse es"

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Timo Boll

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Auch mit 40 Jahren ist Timo Boll noch immer einer der erfolgreichsten Tischtennisspieler weltweit. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen in China, das Kokettieren mit dem Alter und den siebten Start bei Olympia. Herr Boll, der Roboterbauer Kuka ist einer Ihrer Hauptsponsoren. Gegen einen seiner Roboter haben Sie auch schon Tischtennis gespielt. Wie ging es aus? Boll: Ja, aber das Spiel war mehr animiert. Der Roboter hat die Bewegungen wahrheitsgemäß gemacht, aber den Ball haben wir natürlich eingefügt. Es gibt zwar schon Roboter, die das Visuelle einigermaßen beherrschen. Aber selbst die Kuka-Leute haben gesagt, um mit einem Menschen mitzuhalten, braucht es noch mindestens 20 Jahre. Also anders als im Schach, wo der Computer längst dem Menschen überlegen ist? Dafür ist ist das Visuelle im Tischtennis noch zu extrem. Man sagt, Sie können anhand des Logos auf dem Tischtennisball erkennen, welchen Spin er hat. Stimmt das? Ja, das versuche ich zumindest in mein Spiel einzubauen. Ich habe da eine besondere Sehfähigkeit und natürlich ist das auch Training. Beim dynamischen Sehen habe ich 280 Prozent Sehfähigkeit, der beste Wert der jemals gemessen wurde. Im Alltag hilft mir das aber leider nicht (lacht). Aber man kann sagen, dass ich diesbezüglich eine ganz gute Genetik fürs Tischtennis habe. Was ist anstrengender: In Deutschland auf die Straße zu gehen oder in China? Schon in China. , selbst wenn mein Gesicht auch in Deutschland einigermaßen bekannt ist. Aber das kann man nicht mit China vergleichen. Dort ist Tischtennis eine riesige Volks- und auch Mediensportart. Als vermeintlich größter Konkurrent der letzten 20 Jahre bin ich da doch relativ bekannt. Es ist ganz schön, das mal zu erleben. Auf der anderen Seite bin ich ein ziemlich  ruhiger, entspannter Mensch, der es auch genießt, seine Ruhe zu haben. Von daher habe ich die perfekte Balance, die man sich als Sportler wünscht: Ich kann mal der Star sein, auf der anderen Seite aber ein recht normales Leben führen. Ist es in China für Sie so, als  würde Lionel Messi hier durch die Stadt  spazieren? Na ja, wenn man erkannt wird, geht das wie ein Lauffeuer um. Mein Name in China ist ja „Boa“, und wenn das einer ruft, dann mache ich mich meistens schon aus dem Staub. Vor Corona waren Sie sehr oft in China, um dort zu trainieren. Momentan dürfte das unmöglich sein ...? Aktuell ist es schwierig mit der strengen Quarantäne-Politik in China. Ich finde es schade, denn ich bin immer gern in China, und ich vermisse alles auch. Wie eng ist Ihre Beziehung zu China, dem Mutterland des Tischtennis? Ich habe das Land durch den Sport kennengelernt und war immer begeistert, was dort für eine Tischtennis-Euphorie herrscht. Als ich vor 25 Jahren zum ersten Mal dort war, war China noch ein komplett anderes Land. Alles war für mich ungewohnt, als Junge aus dem Dorf. Über die Jahre habe ich aber das Land und die Leute schätzen gelernt. Ich habe viele Freunde dort gefunden. Ich bin sehr gerne in China und wäre sehr froh, dort mal wieder einreisen zu können. Im Februar finden in China die Olympischen Winterspiele statt. Die Kritik aus dem Westen ist laut. Wie stehen Sie dazu? Mir ist natürlich schon bewusst, dass China noch immer einige Probleme hat. Allerdings sehe ich auch die Entwicklung. , die das Land genommen hat. Von einem total verschlossenen Land, von total verschlossenen Leuten hin zu sehr offenen Menschen. Das Land ist viel offener und westlicher geworden. Aber das alles geht nicht von heute auf morgen. Ich sehe immer auch den Menschen. Klar kann man die Politik teilweise kritisieren, keine Frage. Aber man kann jetzt nicht jeden Chinesen über einen Kamm scheren. Das wäre gegenüber den Menschen dort ungerecht. Ich habe die Entwicklung der Menschen dort am eigenen Leibe erfahren. Wie meinen Sie das? Als ich angefangen habe, gegen die Chinesen zu spielen, hat man sich nicht angekuckt, nie die Hand gegeben. Im Spiel waren sie teilweise wirklich unfair. Haben sich bei Netzbällen angefeuert, Kantenbälle nicht zugegeben, strittige Situationen nicht zugegeben. Ich habe immer versucht, trotzdem fair zu bleiben, meinen Weg zu gehen und ein bisschen auch als Vorbild zu agieren. Und im Laufe der Jahre hat sich das total geändert. Mittlerweile sind die Spieler sehr fair geworden, sehr offen auch im Dialog. Genauso, glaube ich, kann man das ein bisschen auf ganz China übertragen. Wenn man sich jetzt komplett verschließen würde, dann würde sich nichts verbessern. Das sind meine Erfahrungen mit den Menschen. Chinas Mannschaften sind im Tischtennis nahezu unschlagbar. So war es auch in Tokio, als dessen Männer gegen Deutschland olympisches Gold gewannen. Was muss passieren, dass die Chinesen auch mal verlieren? Die haben seit zwei Jahrzehnten unglaubliche Talente hervorgebracht. Nicht nur ein oder zwei absolute Top-Leute, sondern drei oder vier, die wirklich outstanding sind. Meistens hat man gegen jeden schon mal irgendwann gewonnen. Aber dass das auf einen Tag in einem Mannschaftsduell fällt – das ist superschwierig. Denn da sind sie auch ein bisschen entspannter, denn sie wissen, wenn sie verlieren, gewinnt eben der andere. Im Einzel sind sie ein Tickchen nervöser und angreifbarer. Man wittert immer seine Chance, selbst mit 40. Ab und zu klappt es ja dann auch, einen Chinesen zu schlagen. Jetzt haben Sie mir die Vorlage gegeben mit Ihrer Altersangabe. Nervt es Sie, dass Sie inzwischen doch des Öfteren gefragt werden, wie lange Sie denn noch weitermachen wollen? Mittlerweile kokettiere ich ganz gerne mit meinem Alter. Aber klar, das kann man nur machen, wenn man weiterhin erfolgreich ist. Sonst wäre es irgendwie lächerlich. Trotzdem muss man sich irgendwann diese Frage stellen. Und ich kriege ja von meinem Körper viele Rückmeldungen, dass irgendwann die Zeit abläuft. Ich war jetzt aber so erfolgreich, und es macht mir immer noch so viel Spaß, dass ich das Ende gerne noch ein bisschen nach hinten schiebe. Und ich glaube, dass ich noch ein paar Jährchen auf einem anständigen Level vor mir habe.

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Bedeutet wohl auch, dass Sie viel Zeit mit Regeneration verbringen? Da kam mir die Coronakrise vielleicht sogar ein bisschen entgegen, dass ein paar mehr Pausen hatte, weil nicht so viele Turniere stattgefunden haben. Aber das hätte ich eh machen müssen. Insgesamt trainiere ich viel weniger und versuche mehr an meiner allgemeinen Fitness zu arbeiten. , weil Tischtennis doch sehr zehrend ist. Da habe ich in den letzten zehn Jahren einen guten Weg gefunden. Und ich glaube, dass ich noch ein paar Jährchen auf einem anständigen Level vor mir habe. Bis zu den Olympischen Sommerspielen in Paris 2024? Klar, wenn man denkt, dass es nur noch zweieinhalb Jahre sind. Ist ja gar nicht mehr so lang. Aber ich muss einfach schauen, wie es sich entwickelt. Ich wäre natürlich superhappy, wenn es noch mal klappt. Aber ich will auch keinem den Platz wegnehmen, nur weil ich Timo Boll heiße und meine siebten Olympischen Spiele in den Statistiken haben muss. Das wird mit Sicherheit nicht passieren. Wenn, dann muss ich da auch vom Niveau her dazugehören.   

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