„Kein einziges Fass mehr da“Weinbau an der Ahr am Boden – Mosel-Winzer helfen

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Zerstörung zwischen Weinbergen: Marienthal ist einer von vielen Orten im Ahrtal, in denen Winzer um ihre Existenz kämpfen.

Zerstörung zwischen Weinbergen: Marienthal ist einer von vielen Orten im Ahrtal, in denen Winzer um ihre Existenz kämpfen.

Dernau – Im Weinbaugebiet Ahr ist nichts mehr, wie es mal war. Die Flut vom 14. Juli hat die meisten der 65 Haupterwerbswinzer in Existenznot gebracht. Manche mussten in der Katastrophennacht um ihr Leben kämpfen. Weil auch Pressen und andere Geräte zerstört wurden, ist das für seine Rotweine bekannte Anbaugebiet auf Hilfe aus anderen Regionen angewiesen, um die in acht Wochen beginnende Ernte zu sichern.

Den Schaden allein an gelagertem Wein schätzt der Geschäftsführer des Weinbauverbands Ahr, Knut Schubert, auf 48 bis 50 Millionen Euro. „Wir gehen davon aus, dass kein einziges Fass, kein Tank und nahezu kein Flaschenwein mehr da ist“, sagt Winzerin Julia Baltes in Dernau. Der Keller im Nachbardorf Rech sei den Fluten zum Opfer gefallen. „Im Stammlager Dernau haben wir ein paar Flaschen retten können, die jetzt etwas Patina haben.“

Wichtige Gerätschaften und Lagerräume sind zerstört

Das ganze Ausmaß der Schäden lasse sich nicht überblicken, weil einige Flächen des Guts noch nicht zugänglich seien, so die Winzerin, die 2012/13 deutsche Weinkönigin war. Einige tiefer gelegene Rebanlagen seien zerstört, aber für den 2021er Jahrgang gebe es die Hoffnung, dank der angebotenen Hilfe von Betrieben an der Mosel Wein produzieren zu können.

Warten auf die Hubschrauber

Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), selbst Winzertochter aus Rheinland-Pfalz, hat den von der Flut betroffenen Weinbaubetrieben schnelle Hilfe zugesagt. Aufgrund der Nässe herrsche etwa ein enormer Pilzerregerdruck in den Weinbergen, komplette Ernteverluste drohten. „Hier bedarf es jetzt unkonventioneller Hilfen und unbürokratischer Organisation“, so Klöckner. Den einzelnen Weingütern sei die Schädlingsbekämpfung selbst kaum möglich, auch weil viele Straßen unbefahrbar seien. Zwar haben die Behörden den Einsatz von Hubschraubern genehmigt, um durch das Spritzen von Pflanzenschutzmitteln aus der Luft den Pilzbefall in den Griff zu bekommen. Im Moment ist der Luftraum für zivile Flüge aber gesperrt, so dass der Einsatz noch nicht möglich ist. (afp/dpa)

Wichtige Gerätschaften dafür – wie Entrapper zum Entfernen der Traubenstiele von den Beeren oder Pressen zum Keltern der Rotweintrauben nach der Standzeit in der Maische – seien zerstört, sagt Baltes. Auch Räume für Produktion und Lagerung gebe es nicht mehr, so dass sie darauf hoffe, die diesjährige Ernte bei Winzern an der Mosel in den Keller bringen zu können. Es gebe bislang keine Perspektive, die Geräte neu kaufen und wieder anfangen zu können, da die gesamte Infrastruktur im Tal zerstört sei. Auch sei unklar, wann es wieder fließendes Wasser und Strom geben werde.

Weingüter erleiden Totalverluste

„Die meisten Winzer stehen am Rand ihrer Existenz“, sagt Verbandsgeschäftsführer Schubert. Ebenso betroffen seien auch die rund 1000 Nebenerwerbswinzer, die ihre Trauben über die drei Winzergenossenschaften an der Ahr in die Kelter bringen. „Die meisten Weingüter haben einen Totalverlust erlitten“, sagt Schubert. Verloren seien ein erheblicher Teil der Jahrgänge 2017 bis 2019 und der komplette Jahrgang 2020 – bei einer Jahresproduktion von durchschnittlich vier Millionen Litern erzielt das Anbaugebiet einen Umsatz von etwa 32 Millionen Euro im Jahr.

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Mehrere tiefer gelegene Weinberge in Ahrnähe wurden nach Angaben des rheinland-pfälzischen Weinbauministeriums völlig zerstört, teilweise auch durch Hangrutsch. „Insbesondere in Ahrweiler, aber auch in den umliegenden Ortschaften wie Mayschoß oder Dernau haben die Wassermassen Fässer, Weinflaschen und Maschinen mit sich gerissen und so ganze Weinbaubetriebe und Existenzen zerstört“, heißt es vom Deutschen Weininstitut (DWI). Viele Winzerinnen und Winzer aus anderen Anbaugebieten seien bereits mit Staplern, Weinbergsschleppern oder Pumpen vor Ort, um zu retten, was noch zu retten sei, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher.

„Mehr als ein ganzer Jahrgang ist verloren“

Die Ahr gehört mit 563 Hektar zu den kleinsten der 13 Weinanbaugebiete in Deutschland. „Mehr als ein ganzer Jahrgang ist verloren“, befürchtet der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), dem an der Ahr sieben Betriebe angehören. Wie das Weininstitut ruft auch der VDP zu Spenden für den Weinbau an der Ahr auf. Die Hilfsbereitschaft unter den Winzern sei riesig, betont der Präsident des Deutschen Weinbauverbands, Klaus Schneider. Nicht nur für Aufräumarbeiten, sondern auch für notwendige, nicht aufschiebbare Arbeiten im Weinberg seien Helfer aus anderen Anbaugebieten an die Ahr geeilt.

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„Was uns trägt, ist die große Solidarität, die wir erfahren“, sagt Winzerin Baltes. „Wir sind nicht alleine, es kommen täglich Helfer an, die im Schlamm stehen und anpacken.“ So sei sie nach dem Schock nun dabei, sich zu fassen. „Wir versuchen, uns nicht unterkriegen zu lassen. Den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Alternative.“ (dpa)

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