100 Jahre HariboAlles begann in Bonn mit einem Sack Zucker und einem Herd

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Bonn – Augen zu, dann ein beherzter Griff in die Tüte voller Gummibärchen und fünf Stück gezogen: Ein rotes, ein gelbes, ein weißes und zwei orangefarbene werden aus der klebrigen Masse gefischt und sorgfältig nebeneinander auf den Tisch gelegt – fertig ist das Gummibärchenorakel. Denn die Fruchtdinger sind nicht nur perfekt, um die Lust auf Süßes zu stillen, sondern mit ihnen soll sich auch die Zukunft deuten lassen – behauptet zumindest der Hamburger Schriftsteller Dietmar Bittrich, der darüber 1996 ein Buch geschrieben hat, das 2019 erneut aufgelegt worden ist.

Das Jubiläum ist ein Jahr der Krise

Niemand weiß, ob die Konzernspitze von Haribo, dem Weltmarktführer in der Goldbärenproduktion, an Silvester einen Blick in Bittrichs Spaßschmöker werfen wird, um sich sagen zu lassen, wie sich die Geschäfte entwickeln werden. Denn ausgerechnet das Jahr 2020, in dem Haribo das 100. Jubiläum seiner Gründung feiert, ist ein Jahr der Krise geworden. Das liegt nicht nur an Corona. Im Spätsommer listete der Discounter Lidl wegen unterschiedlicher Vorstellungen über die Kaufpreise die Produkte des Konzerns aus. Auch von Edeka-Händlern wurde berichtet, dass sie mit den Vorgaben der Bonner Bonbonkocher nicht einverstanden waren.

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Ein Sprecher des Unternehmens zeigte sich auf Anfrage der Rundschau aber optimistisch: „Haribo hat seit vielen Jahren keine Preiserhöhung durchgeführt. Wir halten Preiserhöhungen vor dem Hintergrund allgemein gestiegener Preise für Löhne, Rohstoffe und Energie daher für gerechtfertigt. Wir sind zuversichtlich, dass wir bald mit allen Partnern wieder wie gewohnt im Geschäft sind.“

Sachsen beendet Kooperation mit Haribo

Darüber hinaus hat die Firma aus Westdeutschland zurzeit in Sachsen ganz schlechte Karten: Zum Jahresende schließt sie ihr 1990 übernommenes Werk in Wilkau-Haßlau, 150 Beschäftigte sind betroffen. Das Land Sachsen beendete wütend seine Kooperation mit Haribo, und auch TV-Entertainer Thomas Gottschalk, 24 Jahre Markenbotschafter des Süßwarenherstellers, forderte seinen früheren Werbepartner via „Express“ zum Umdenken auf: „Wenn man sich auf die Fahnen geschrieben hat: ‚Haribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso‘, muss man das auch als Arbeitgeber ernst nehmen“.

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Doch Haribo bleibt bei seiner Entscheidung: Die Produktion in Deutschland soll künftig an den Standorten Grafschaft, Neuss, Solingen und Bonn konzentriert werden.

Wie alles begann

In Bonn begann die Erfolgsgeschichte des Unternehmens. Hans Riegel Senior, 1893 geboren und gelernter Bonbonkocher, machte sich am 13. Dezember 1920 selbstständig und stellte in einer Hinterhofwaschküche in der Bergstraße in Kessenich eigene Kamelle her.

Sein Startkapital: ein Sack Zucker, ein Hocker, ein Herd, ein Kupferkessel, eine Marmorplatte und eine Walze. Erste Mitarbeiterin von Haribo – gebildet aus den Anfangsbuchstaben des Gründernamens und des Namens seiner Heimatstadt – war seine Frau Gertrud. Zwei Jahre später kreierte Riegel die Gummibären; Vorbild waren die damals noch üblichen Tanzbären, die etwa auf Pützchens Markt zu sehen waren. Gertrud Riegel sorgte per Fahrrad für den Vertrieb. Heute, bei einer weltweiten Herstellung von 160 Millionen Goldbären pro Tag, setzt Haribo auf ein ausgeklügeltes Logistiksystem. 1925 kam ein Lakritz-Bär ins Sortiment, 1929 die Lakritz-Schnecke mit dem Haribo-Logo drauf. Die berühmten Goldbären gibt es erst seit 1960 zu kaufen.

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Paul und Hans Riegel im Jahr 1945

Der Familienbetrieb expandierte währenddessen immer mehr. 1935 wurde ein Konkurrent in Dänemark einverleibt, 1968 die Solinger Firma Dr. Hillers (Pfefferminz), mit der Übernahme der Edmund Münster GmbH & Co. KG in Neuss kam 1986 der Markenname Maoam ins Portfolio der Bonner, die heute in zehn Ländern produzieren und in 100 exportieren. In den USA ist der Appetit auf die Gumbears so groß, dass Haribo gerade ein Werk in Wisconsin baut.

Fakten über Haribo

Nach dem Tod von Hans Riegel jr. im Jahr 2013 begann eine Diskussion um die Nachfolge. Heute wird Haribo von der HR Verwaltungs GmbH geführt, an deren Spitze Hans Guido Riegel steht, ein Neffe des Patriarchen.

Haribo hat weltweit 7000 Mitarbeiter, produziert an 16 Standorten in zehn Ländern und exportiert in 100 Länder. Auf dem asiatischen Markt sind zurzeit „Haribo Happy Grapes“ angesagt, weil die Weintraube dort Trendfrucht ist. Veggie sei bei dem Konzern dagegen kein Trend, sagt ein Firmensprecher, denn Gründer Hans Riegel Senior habe bereits 1929 die Lakritz-Schnecke erfunden und damit das erste vegetarische Haribo-Süßwarenerzeugnis in die Regale gebracht. Im nächsten Jahr wolle Haribo sein vegetarisches und veganes Sortiment weiter ausbauen. Weltweit sind drei Produkte Hits: Goldbären, Color-Rado und Phantasia.

Seit 1936 gibt es in verschiedenen Haribo-Werken die Kastanientauschaktionen, bei denen Kinder für zehn Kilo Kastanien oder fünf Kilo Eicheln ein Kilo Süßes bekommen. Die Waldfrüchte werden in Wildrevieren verfüttert. Berühmte Haribo-Fans waren unter anderem Bundeskanzler Konrad Adenauer, Nobelpreisträger Albert Einstein, Schauspieler Heinz Rühmann, Schriftsteller Erich Kästner und Außenminister Hans-Dietrich Genscher. (dbr)  

1945 starb Gründer Hans Riegel, danach führte kurzzeitig seine Witwe den Betrieb, 1946 übernahmen die Söhne Hans jr. (1923-2013) und Paul (1926-2009) Riegel die Firma. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Hans Riegel jr., 1953 deutscher Meister im Badminton und bis ins hohe Alter als Hubschrauberpilot aktiv, kümmerte sich ums Kaufmännische, Marketing und Vertrieb. Paul Riegel, mehrfacher Meister im Motorboot-Rennen, war für Technik und Produktion zuständig; er wurde berühmt für seine Erfindung der Lakritz-Schnecken-Wickelmaschine. Die cleveren Brüder machten den lokalen Produzenten zum Global Player. Mit dem man sich in Bonn nicht anlegen durfte. Wenn Haribo hüstelte, weil es etwa Bürgerbeschwerden über Liefer-Lkw gab, die sich durch die engen Straßen Kessenichs drängelten, oder weil die Stadt wegen des Abrisses einer erhaltenswerten Fabrikhalle ein Bußgeld verhängt hatte, bekam die Kommunalpolitik Temperatur. Dann klopften die Stadtoberen artig bei den Riegel-Brüdern an.

Ein Dauerthema bei den Gesprächen zwischen Bonn und seinem vielleicht wichtigsten Unternehmen war die Steuer- und die Standortfrage. Die Gewerbesteuer war Haribo zu hoch, die Produktionsflächen in Godesberg-Nord und Kessenich waren viel zu klein, um der weltweiten Nachfrage gerecht zu werden. Bonn konnte aber mangels Grundstücken nicht liefern. Als Riegel Mitte der 2000erjahre öffentlich verkündete, Bonn verlassen zu wollen, hoben benachbarte Kommunen rasch den Finger.

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Rheinbach erhielt anfangs den Zuschlag. Doch der Traum des damaligen Bürgermeisters Stefan Raetz, aus Haribo werde Harirhei, verflog schnell. Die Weltmarktführer verlegten 2018 den Konzernsitz in die Gemeinde Grafschaft (Rheinland-Pfalz). Und wie sieht es mit dem Gummibärchenorakel aus? Für Haribo prima: „Sie können Menschen begeistern. Freude bringen. Für Licht und Heiterkeit sorgen“, sagt die Bärchen-Kombination gute Geschäfte voraus. Man kann es auch so ausdrücken: Genascht wird immer.  

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