Bauboom vor dem StillstandWas Zinswende und Materialmangel für Häuslebauer bedeutet

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Knappes Gut: Auch Holz fürs Dach wird immer wertvoller – und der Hausbau damit teurer.

Knappes Gut: Auch Holz fürs Dach wird immer wertvoller – und der Hausbau damit teurer.

Köln – Stahl, Dämmstoffe, Ziegelsteine: Die Materialknappheit auf deutschen Baustellen ist derzeit so groß wie noch nie. Noch wird vielerorts gebaut, doch ein Stillstand scheint immer wahrscheinlicher. Denn die Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs führen zu massiven Baupreissteigerungen und Lieferengpässen. Damit nicht genug: Immer höhere Baustandards, gleichzeitig steigende Zinsen, sodass Kredite zunehmend teurer werden, zu wenig Handwerker und weniger staatliche Förderung lassen Bauherren in die Krise rutschen.

Bauen wird zum Finanzrisiko, auch für die Unternehmen. Denn die Kostensteigerungen führen dazu, dass Wohnungsbau und Modernisierung unkalkulierbar geworden sind. Zudem komme es vermehrt zu Kurzarbeit, Aufträge müssten storniert werden, wie der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW mitteilt. „Die Wohnungsunternehmen sind angesichts der toxischen Mischung von riesigen Problemfeldern gezwungen, sowohl ihre Bauplanungen als auch begonnene Wohnungsbau-Projekte zu stoppen oder auf Eis zu legen“, so GdW-Präsident Axel Gedaschko.

Über 57 000 Neubauwohnungen weniger als geplant

In erster Linie werde nun versucht, bereits begonnene Projekte noch fertigzustellen. Neue Projekte hingegen blieben in der Schublade. Einer bundesweiten Umfrage des GdW zufolge werden deswegen 2022 insgesamt 57705 Neubauwohnungen weniger als geplant entstehen.

Die Situation ist vielerorts ähnlich. Ob im niedersächsischen Emsland, im bayerischen Wald oder im baden-württembergischen Lörrach – aus zahlreichen Regionen in Deutschland ist bereits zu hören, dass infolge der explodierenden Kosten reservierte Baugrundstücke wieder zurückgegeben werden – nachdem jahrelang Baugrundstücke hierzulande absolute Mangelware waren. Gibt es also eine Trendwende beim Bauboom?

Dem Statistischen Bundesamt zufolge haben die Behörden in Deutschland im laufenden Jahr trotz eines Anstiegs im April bisher weniger Baugenehmigungen für Wohnraum erteilt als ein Jahr zuvor. In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden demzufolge in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres 107507 Wohnungen genehmigt und damit 1,4 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Dabei sank die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser um 22 Prozent auf 27506. Auch bei Zweifamilienhäusern ging die Zahl zurück – und zwar um 1,2 Prozent auf 11170 Einheiten. Einen Anstieg verzeichneten die Statistiker bei Baugenehmigungen für Mehrfamilienhäuser mit plus 11,6 Prozent auf 66107

Handwerker und Baufirmen haben keine Kapazitäten

Die Zahl der Baugenehmigungen ist mit Blick auf die Wohnungsnot in vielen Städten ein wichtiger Indikator. Allerdings werden häufig genehmigte Wohnungen zunächst nicht gebaut, weil Handwerker und Baufirmen wegen großer Nachfrage keine Kapazitäten haben.

Ein ganz anderes Bild – zumindest bis Ende April – zeigt sich, wenn man sich die Darlehensvergabe der Banken anschaut. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) teilt mit, dass, auch wenn parallel zum plötzlichen Zinsanstieg die Preise auf dem gesamten Bausektor mächtig angezogen haben, dies bei der Nachfrage nach Darlehen bislang nicht zu spüren sei.

Im Gegenteil: Das private Immobiliengeschäft der Sparkassen lief zumindest in den ersten vier Monaten 2022 weiter auf Hochtouren. „Wir sehen, dass auf der einen Seite viele Kundinnen und Kunden noch die letzte Phase der extrem niedrigen Bauzinsen mitnehmen möchten“, lässt sich DSGV-Präsident Helmut Schleweis zitieren. Allerdings würden gleichzeitig Lieferengpässe beim Bau und die hohe Inflation zumindest im privaten Wohnungsbau bereits die Dynamik bremsen. Ähnliches ist vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) zu hören.

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Da zudem gleichzeitig die Baukosten steigen und die wirtschaftliche Lage unsicherer wird, sei mit einer Rückkehr zur Immobilienpreisdynamik der letzten Jahre nicht zu rechnen. Politische Diskussionen um Nachrüstpflichten für Immobilienbesitzer sowie Mietenregulierung erhöhten ebenfalls Unsicherheit und Kosten.

Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten. GdW-Präsident Gedaschko ist jedoch angesichts der aktuellen Situation in der Baubranche alarmiert: „In einer anhaltenden Wohnungsmangelsituation wird es für Menschen mit mittleren und niedrigeren Einkommen immer schwieriger bis unmöglich, bezahlbare Wohnungen zu finden. Das treibt die Gentrifizierung voran und spaltet die Gesellschaft.“

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