Explosion in RatingenHaftbefehl wegen neunfachen versuchten Mordes – Täter war wohl Prepper

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Spezialkräfte stürmen die Wohnung in einem Ratinger Hochhaus, nachdem dort mehrere Polizeibeamte und Feuerwehrleute durch eine Explosion zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden.

Spezialkräfte stürmen die Wohnung in einem Ratinger Hochhaus, nachdem dort mehrere Polizeibeamte und Feuerwehrleute durch eine Explosion zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden.

Die Ermittlungen zu der Explosion in Ratingen gehen weiter. Polizei, Staatsanwaltschaft und Feuerwehr teilten am Freitag weitere Details mit.

Die Folgen einer Explosion in einem Hochhaus in Ratingen bei Düsseldorf, die sich am Donnerstag (11. Mai) zugetragen hat, sind verheerend. 33 Menschen sind verletzt worden, teilweise schwer, teilweise lebensbedrohlich. Es sind überwiegend Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Der Einsatz begann ursprünglich als Routineoperation: Eine mutmaßlich hilflose Person hinter einer verschlossenen Tür.

Eine 25-jährige Polizistin und ein 29-jähriger Polizist sind in Ratingen lebensgefährlich verletzt worden. Ihr Zustand sei auch am Tag danach noch „extrem kritisch“, sagte eine Polizeisprecherin „RTL“. Die Hautfläche der Polizistin sei bis zu 80 Prozent verbrannt, ihr Kollege habe ähnlich starke Verbrennungen erlitten. 22 weitere Polizeibeamte tragen leichte Verletzungen davon. Auch ein Hausmeister wurde leicht verletzt.

Vier Feuerwehrleute wurden bei der Explosion in Ratingen schwer verletzt, drei weitere lebensgefährlich. Gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hieß es von der Ratinger Feuerwehr, dass sich fünf davon im künstlichen Koma befänden. Die Feuerwehrleute hätten teilweise Verbrennungen von 40 Prozent der Körperoberfläche erlitten.

Während die schwerst verletzten Feuerwehrleute und Polizisten am Freitag weiterhin um ihr Leben kämpfen, gehen die Ermittlungen zu der Explosion weiter. Ein 57-jähriger Tatverdächtiger wurde festgenommen. 

Auf einer Pressekonferenz am Freitagnachmittag in Düsseldorf sind weitere Details bekannt geworden. Das ist der aktuelle Stand.

Einsatz begann mit einem Anruf einer besorgten Bewohnerin

Die Einsatzkräfte sind am Donnerstagmorgen in das Ratinger Wohngebiet mit vielen Hochhäusern gerufen worden. Der Grund: Sorge um eine Bewohnerin wegen eines übervollen Briefkastens. Als Polizei und Feuerwehr vor der Wohnungstür im 10. Stock stehen, reißt der 57-jährige mutmaßliche Sohn der Frau plötzlich die Tür auf. Es kommt zu einer Explosion. Ein Feuerball trifft die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei. Der Leiter der Ratinger Feuerwehr, René Schubert, spricht bei der Pressekonferenz von einer „Verpuffung“.

Der Tatverdächtige soll die Einsatzkräfte demnach mit einer brennbaren Flüssigkeit beworfen haben, so der leitende Polizeidirektor Dietmar Henning: „Die Einsatzkräfte haben dann, selber brennend, den Ort verlassen“.

Laut Kriminaldirektorin Heike Schultz habe es sich dabei um Benzin gehandelt, vermutlich wurden auch weitere Stoffe beigemischt. In der Wohnung sei ein entsprechendes Gefäß gefunden worden. Es gebe auch Hinweise darauf, dass die Verletzungen durch ätzende Flüssigkeiten oder Gase entstanden, hieß es auf der Pressekonferenz.

Der Bürgermeister von Ratingen, Klaus Pesch, äußerte am Freitagvormittag gegenüber RTL, dass er von einem Molotowcocktail, mit dem der 57-Jährige gezielt aufgebaute Benzinkanister in Brand gesetzt habe, erfahren haben soll.

Es entstand ein Großeinsatz, an dem Dutzende Rettungswagen, Notärzte, Feuerwehrwehrautos und Polizeifahrzeuge beteiligt waren. Spezialkräfte sicherten das gesamte Hochhaus ab, auf den Balkonen der gegenüberliegenden Wohnungen brachten sich Scharfschützen in Stellung. Das lag unter anderem daran, weil eine Dienstwaffe der Polizei bei der Explosion verloren wurde – es war zunächst nicht auszuschließen, dass der Tatverdächtige sie an sich nahm. 

Der Tatverdächtige flüchtete sich auf den Balkon, er wurde dabei beobachtet, wie er sich selbst mit einer Flüssigkeit überschüttete – er brannte selbst allerdings nicht. Der 57-Jährige begann außerdem, die Wohnung vollständig in Brand zu setzen, so Henning. Das habe den Zugriff der Spezialkräfte verzögert. Spezialkräfte stürmten dann die Wohnung und nahmen den Mann fest. Er leistete teilweisen schweren Widerstand und wurde dabei leicht verletzt. Die vermisste Dienstwaffe tauchte später wieder in der Wohnung auf.

21 Spezialkräfte der Polizei, die bei der Festnahme im Einsatz waren, wurden kurzfristig wegen des Verdachts auf eine Rauchvergiftung behandelt. Dieser Verdacht erhärtete sich jedoch nicht.

Tatverdächtiger aus Ratingen war den Behörden bekannt

Der 57-jährige Mann war für die Polizei und Justiz kein Unbekannter. In der vergangenen Woche versuchten Beamte bereits einen Haftbefehl unter anderem wegen Körperverletzung zu vollstrecken. Sie konnten die Wohnung des Mannes jedoch nicht betreten und gingen wieder. Die Düsseldorfer Staatsanwältin Laura Neumann sagte der Deutschen Presse-Agentur am Freitagvormittag, dass gegen den Mann ein Vollstreckungshaftbefehl wegen eines nicht gezahlten Geldbetrags vorliege. Er habe auch Voreintragungen, „aber nichts Einschlägiges, nichts Vergleichbares“, sagte sie.

Ermittlungen zur Explosion in Ratingen sind durch Brand erschwert

Noch am Donnerstag gab es Angaben, dass der 57-Jährige zumindest gedanklich Verbindungen zur Szene der Corona-Leugner gehabt haben soll. Deutlich vorsichtiger äußerte sich Innenminister Herbert Reul (CDU) dazu jedoch am Freitagmorgen. Es könnte sich bei diesem Verdacht auch um eine Namensverwechslung handeln.

Allerdings teilte Kriminaldirektorin Heike Schultz auf der Pressekonferenz mit, dass es konkrete Hinweise darauf gebe, dass es sich doch um einen Corona-Leugner handele. Zudem sei der 56-Jährige der Prepper-Szene zuzuordnen. Die Ermittler hatten den Eindruck, dass in der Wohnung viele Vorräte angelegt worden seien. Im Keller habe man Schreckschusswaffen (PTB-Waffen) sowie mehrere Messer und Dolche gefunden. Der Mann soll zurückgezogen gelebt haben und keiner geregelten Arbeit nachgegangen sein.

Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zufolge wurden im Wagen des Mannes zudem Flyer von Coronaleugnern gefunden.

Haftbefehl wegen versuchten Mordes in neun Fällen

Gegen den 57-jährigen Ratinger ist ein Haftbefehl wegen versuchten Mordes in neun Fällen erlassen worden, wie am Freitagabend Polizei und Staatsanwaltschaft mitteilten. Staatsanwältin Laura Neumann sprach bei der Pressekonferenz am Nachmittag von zwei Mordmerkmalen, die es bei der Tat gebe – die Heimtücke und gemeingefährliche Mittel.

Neumann sprach zunächst von einem Untersuchungshaftbefehl und weiteren Delikten, unter anderem schwere Körperverletzung in neun Fällen, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und Brandstiftung.

Von einer Schuldunfähigkeit aus psychiatrischen Gründen gehe man derzeit nicht aus. Der Beschuldigte soll in der kommenden Woche dennoch für ein psychiatrisches Gutachten untersucht werden.

Details zum Motiv gebe es laut Neumann noch nicht. Der 57-Jährige habe sich bislang in der Vernehmung nicht zur Tat äußern wollen und auf einen Anwalt verzichtet, weshalb er einen Pflichtverteidiger bekam. 

Neben einer gefundenen Leiche soll eine weitere Person gestorben sein

In der Wohnung ist außerdem eine Leiche gefunden worden. Dabei soll es sich wahrscheinlich um die über 90-jährige Mutter des 57-Jährigen handeln, so Kriminaldirektorin Heike Schultz. Sie sollen zusammengelebt haben. Die Leiche konnte am Freitag noch nicht zweifelsfrei identifiziert werden, denn die Frau soll schon mehrere Wochen tot gewesen sein. Die Einsatzkräfte hätten einen deutlichen Verwesungsgeruch wahrgenommen. Hinweise auf ein Fremdverschulden gebe es nicht, wie eine Obduktion noch am Donnerstagabend ergab. 

In dem Hochhaus wurde ein zweites Todesopfer gefunden. Das berichteten der „Spiegel“ und andere Medien am Freitagnachmittag, auf der wurde dieses weitere Todesopfer von der stellvertretenden Polizeipräsidentin Silke Wehmhörner bestätigt.

Die Person, ein älterer Herr, sei am Donnerstagabend gestorben. Es wurde ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, laut Staatsanwältin Neumann wird der Leichnam obduziert, um zu prüfen, inwieweit die Todesursache mit dem Einsatz zusammenhängt, der mehrere Stunden dauerte. Es heißt, dass der Mann auf stündliche Pflege angewiesen war und regelmäßig mit Medikamenten versorgt werden musste.

Ratingen: Tat sei seit „mindestens mehreren Tagen so durchdacht gewesen“

Die Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln weiter. Noch ist nicht klar, ob der 57-Jährige die Einsatzkräfte gezielt in einen Hinterhalt gelockt hat. Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund gebe es bislang nicht, wie ein Sprecher der Bundesanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur mitteile. Die Ermittlungen übernehme man nach aktuellem Stand deshalb nicht, man stehe aber mit den Behörden in Ratingen in Kontakt.

Kriminaldirektorin Heike Schultz geht davon aus, dass die Tat seit „mindestens mehreren Tagen so durchdacht gewesen“ sei, vermutlich ein gezielter Angriff: „Die Situation in der Wohnung, die Verwendung von dieser brennbaren Flüssigkeit und die Art und Weise, wie diese Flüssigkeit dann gegen die eingesetzten Kräfte verwendet wurde, lassen darauf schließen, dass das durchaus gut durchdacht ist.“ Und: „Die Tür war verbarrikadiert, das macht man auch nicht mal so eben.“

Die Aufklärungsarbeit wird durch den Brand erschwert, den der Tatverdächtige in seiner Wohnung gelegt hat. „Da gab es ja Löscharbeiten und viel Löschwasser, das erst beseitigt werden musste“, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur am Freitagmorgen. Außerdem konnten die Einsatzkräfte, die bei der Explosion schwer verletzt wurden, bislang nicht als Zeugen vernommen werden. (rxa)

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