Kalaschnikow-Schüsse in der Metro, Erschießungen auf Café-Terrassen: Brüssel verliert die Kontrolle über die Drogenkriminalität. Jetzt fordert Innenminister Quintin den Einsatz von Soldaten.
Bald Soldaten im Einsatz?Brüssel versinkt immer tiefer im Drogenkrieg

Bereits 2015 patrouillierten belgische Soldaten in Brüssel (wie hier auf dem Grand-Place/Grote Markt), als die Terrorgefahr auf Stufe 3 angehoben wurde. Kommen die Soldaten jetzt wieder nach Brüssel?
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Falls es noch einen letzten Beweis brauchte, dass die Brüsseler Polizei die Kontrolle über Teile der Stadt verloren hat, so lieferten die Bilder der Überwachungskameras aus einer Metrostation Anfang Februar eben diesen: Da feuern am frühen Morgen zwei Männer mit Sturmhaube über dem Gesicht Warnschüsse aus ihren Kalaschnikows ab. Passanten suchen panisch Schutz, erst Wochen später wurden die mutmaßlichen Täter verhaftet.
Eskalation der Gewalt in Brüssel
In jenem Fall kam niemand zu Schaden – anders als im Mai 2024, als ein 28-Jähriger nichtsahnend auf der Terrasse eines Cafés saß und von zwei Männern erschossen wurde, die auf einem Scooter vorbeifuhren und wahllos auf den Außenbereich der Brasserie feuerten. Unschuldig wurde der Belgier Opfer des Drogenkriegs in der Hauptstadt, der gerade vollends eskaliert.
Deshalb will der Staat nun einschreiten – und die Armee einsetzen. Belgiens Innenminister Bernard Quintin fordert federführend, dass künftig Soldaten an der Seite von Polizisten auf den Straßen patrouillieren, um die öffentliche Sicherheit wiederherzustellen.
Zunehmende Schießereien in Brüssels Straßen
Seit Monaten vergeht keine Woche, in der es nicht zu Schießereien zwischen verfeindeten Banden kommt, immer häufiger am helllichten Tag und auf offener Straße. Mehr als 60 solcher bewaffneter Auseinandersetzungen zählte die Stadt in diesem Jahr bereits und das längst nicht mehr nur in den Problemvierteln Brüssels wie Anderlecht oder Molenbeek, sondern auch im Zentrum oder in Gegenden nahe des Europaviertels.
Zwar wurde die Präsenz der Uniformierten in den letzten Monaten erhöht. Doch die Beamten stünden unter Anspannung und „konstant unter Druck“, unter anderem aufgrund des chronischen Personalmangels, wie Gewerkschafter regelmäßig klagen. Kriminelle seien immer gewaltbereiter und zögerten auch nicht, zu Kriegswaffen zu greifen, heißt es.
Offene Kriegsschauplätze durch Drogenkartelle
Dementsprechend ist der Handel mit Kokain, Heroin und Cannabis und die damit verbundene Gewalt in einigen Gebieten völlig außer Kontrolle geraten. Die Drogenkartelle führen mittlerweile offene Kriegsschauplätze in Wohnvierteln. Allein im Juli und August registrierten die Behörden 20 Schießereien.
Bei einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gangmitgliedern durchschlug eine Kugel die Windschutzscheibe eines Autos, das zufällig vorbeifuhr. Darin saßen eine Mutter und ihr neunjähriges Kind. Verletzt wurde niemand, doch der Generalstaatsanwalt Julien Moinil warnte kurz darauf: „Jeder in Brüssel ist in Gefahr.“ So könnte jeder Bürger von einer „verirrten Kugel“ getroffen werden.
Generalstaatsanwalt im Fadenkreuz der Clans
Moinil ist selbst zum Feindbild der Clans geworden, seit er Anfang des Jahres den Posten übernommen hatte mit der Ankündigung, härter im Kampf gegen die Drogenkriminalität durchzugreifen. Mittlerweile steht er aufgrund von Todesdrohungen rund um die Uhr unter Polizeischutz.
Während sich Belgiens Regierungskoalition, die aus fünf Parteien besteht, grundsätzlich hinter die Pläne des Innenministers stellte, befürchten Kritiker „eine Militarisierung der inneren Sicherheit“. Sie ziehen Vergleiche zu den Vereinigten Staaten, wo US-Präsident Donald Trump in Großstädten wie Los Angeles und Washington die Nationalgarde einsetzte, um gegen die angeblich ausufernde Gewalt vorzugehen.
Debatte über Auswirkungen auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
In Belgien mehren sich deshalb die Stimmen, die vor möglichen negativen Auswirkungen auf die Demokratie und die Bürgerrechte warnen, sollte der Staat solche Maßnahmen ergreifen. Vertreter der Opposition wie auch Bürgermeister der betroffenen Viertel betonten zum einen, dass das Militär für solche Fälle nicht ausgebildet sei und die Präsenz von Soldaten in der Öffentlichkeit eher als Provokation verstanden würde.
Zum anderen verwiesen sie auf juristische Bedenken. Und tatsächlich könnte das aktuelle Strafrecht die Pläne durchkreuzen. Zurzeit versucht die Regierung, einen legalen Rahmen dafür zu schaffen, dass die Armee in der Hauptstadt zum Einsatz kommt, war von Verteidigungsminister Theo Francken zu vernehmen. Zwar waren von 2015 bis 2021 schon einmal schwer bewaffnete Soldaten in Brüssel und Antwerpen unterwegs. Damals ging es jedoch um Terrorbekämpfung.
Innenminister Quintin zeigte sich optimistisch, dass auch jetzt die Voraussetzungen erfüllt sind. Die Armee habe die Aufgabe, „die Integrität des Staatsgebiets zu schützen“, sagte er gegenüber Medien. Darunter falle auch „der Krieg gegen die Drogenkriminalität“.
Die Regierung will nun einen Vorschlag machen, den das Parlament beschließen muss. Das könnte dauern. Ob also wirklich bis Ende des Jahres Soldaten in Brüssel patrouillieren, wie Quintin fordert, ist ungewiss.
