Fünf Polizisten angeklagtEntsetzen nach Tod eines Schwarzen – Video schockt selbst erfahrene Ermittler

Lesezeit 4 Minuten
Familienmitglieder halten ein Bild von Tyre Nichols in die Luft. Es zeigt, wie der 29-Jährige, der im Krankenhaus starb, durch die Polizisten zugerichtet wurde.

Familienmitglieder halten ein Bild von Tyre Nichols in die Luft. Es zeigt, wie der 29-Jährige, der im Krankenhaus starb, durch die Polizisten zugerichtet wurde.

Ein junger Mann lebt nicht mehr, fünf Polizisten sollen ihn getötet haben. Der Fall wühlt die USA auf – und nun soll ein Video den Tathergang minutiös zeigen.

Der brutale Tod eines schwarzen Autofahrers infolge einer Verkehrskontrolle schlägt in den USA hohe Wellen. Gegen die fünf beteiligten Polizisten ist Anklage erhoben worden. Den inzwischen entlassenen Beamten – ebenfalls Schwarze – wird Mord, schwere Körperverletzung und Entführung vorgeworfen.

„Sie haben meinen Sohn totgeschlagen“, sagte die Mutter des 29 Jahre alten Tyre Nichols am Freitag im US-Fernsehen unter Tränen. US-Präsident Joe Biden rief dazu auf, dass Demonstrationen friedlich bleiben. „Empörung ist verständlich, aber Gewalt ist niemals akzeptabel.“

Memphis: Tyre Nichols von Polizisten im Einsatz angegriffen – Mordanklage

Der 29-Jährige war am 7. Januar in Memphis im US-Bundesstaat Tennessee von der Polizei wegen „rücksichtslosen Fahrens“ angehalten worden. Einem Anwalt der Familie zufolge wurde er dann minutenlang von den Polizisten zusammengeschlagen. Drei Tage später starb Nichols im Krankenhaus. Die Polizisten hätten beim Tod des Mannes unterschiedliche Rollen gehabt, sagte Bezirksstaatsanwalt Steve Mulroy. „Sie sind aber alle dafür verantwortlich.“

Die Stadt will das Video voraussichtlich am Freitagabend veröffentlichen. Laut „New York Times“ soll es sich um fast eine Stunde Filmmaterial handeln. Dabei sollen sowohl Aufnahmen von Polizeikameras sowie von stationären Kameras zu sehen sein. „Die Leute werden den gesamten Vorfall von Anfang bis Ende sehen können“, sagte Mulroy dem Sender „CNN“.

Tod von Tyre Nichols beschäftigt ganz Memphis – Polizeichefin schockiert

Die Polizei hatte erklärt, dass es zu einer „Konfrontation“ gekommen sei, nachdem der 29-Jährige gestoppt worden sei. Er sei dann zu Fuß geflüchtet. Dabei habe es eine weitere „Konfrontation“ gegeben. Memphis' Polizeichefin Cerelyn Davis zeigte sich nun schockiert. „Dieser Vorfall war abscheulich, rücksichtslos und unmenschlich“, sagte sie.

„Das ist nicht bloß professionelles Versagen. Dies ist ein Versagen grundlegender Menschlichkeit gegenüber einer anderen Person.“ Dies werde in dem Videomaterial deutlich. Sie sagte außerdem, dass unklar sei, warum die Polizei Nichols überhaupt gestoppt habe.

Tod von Tyre Nichols: Video des Vorfalls soll veröffentlicht werden

Anwälte der Familie beschrieben die Videoaufnahmen des Vorfalls als „abscheulich“. Die Polizisten setzten demnach auch einen Elektro-Taser sowie Pfefferspray gegen Nichols ein und fesselten ihn. Der 29-Jährige erlitt nach einer von der Familie in Auftrag gegebenen Autopsie starke Blutungen durch heftige Schläge. „Sein Kopf war geschwollen wie eine Wassermelone“, sagte Nichols Mutter RowVaughn Wells.

Die Mutter des Toten, RowVaugn Wells, ruft auf einer Pressekonferenz nach ihrem Sohn. Er starb drei Tage, nachdem er während einer Polizeikontrolle zusammengeschlagen wurde.

Die Mutter des Toten, RowVaugn Wells, ruft auf einer Pressekonferenz nach ihrem Sohn. Er starb drei Tage, nachdem er während einer Polizeikontrolle zusammengeschlagen wurde.

Als sie ihren Sohn im Krankenhaus gesehen habe, sei ihr klar gewesen, dass dieser eigentlich bereits tot sei. Nichols hatte nach Angaben der Familie für einen Kurierdienst gearbeitet und war Vater eines vier Jahre alten Sohnes.

„Mit einem Wort, es ist absolut entsetzlich“, beschrieb David Rausch, Leiter der Ermittlungsbehörde in Tennessee, die Video-Aufnahmen. „Ich bin schockiert, ich bin angewidert von dem, was ich gesehen habe und was wir durch unsere Ermittlungen in Erfahrung gebracht haben“, fügte er hinzu. „Lassen Sie mich klarstellen: Das war keine angemessene Polizeiarbeit, es war falsch, es war kriminell.“

Beschuldigte Ex-Polizisten bis auf einen wieder auf freiem Fuß

Die an dem Vorfall beteiligten Polizisten wurden am Donnerstag in das Gefängnis von Shelby County eingewiesen, waren am Freitagmorgen bis auf einen nach Kautionszahlungen aber wieder auf freiem Fuß. In der rund 630.000-Einwohner-Stadt Memphis, in der fast zwei Drittel der Einwohner People of Colour sind, hat die Tatsache, dass alle fünf entlassenen Beamten Schwarze sind, eine Debatte ausgelöst.

„Ich habe darauf gewartet, dass ihre Gesichter im Fernsehen zu sehen sind“, sagte Carrie Louise Pinson, eine 73-jährige Einwohnerin und langjährige Aktivistin, der „New York Times“, „und als ich alle schwarzen Polizisten sah – wie konnten Sie das tun?“

Polizei in Memphis rechnet mit Protesten und Demonstrationen

Die Polizei in Memphis rechnet Demonstrationen, sobald das Videomaterial öffentlich wird. Das Ministerium für Sicherheit und Heimatschutz von Tennessee sei bereit, die Proteste zu überwachen, so ein Sprecher.

Die Anwälte der Familie des Opfers prangern rassistisches Vorgehen der US-Polizei gegen Schwarze im Land an und erinnerten an den Fall Rodney King: Der Afroamerikaner wurde 1991 in Los Angeles nach einer Verfolgungsjagd von der Polizei brutal zusammenschlagen. Der Freispruch der Beamten führte damals zu Unruhen mit Dutzenden Toten. King selbst starb 2012. Auch Polizeichefin Davis zog einen Vergleich King und sagte, dass die Videoaufnahmen im Fall Nichols mindestens genauso schlimm oder sogar schlimmer seien.

Präsident Biden betonte, dass Schwarze häufiger von tödlichen Zusammenstößen mit der Polizei betroffen seien. Vizepräsidentin Kamala Harris schrieb auf Twitter, die Familie und die Menschen in Memphis verdienten, dass Verantwortung übernommen werde. „Und alle Amerikaner verdienen ein Justizsystem, das seinem Namen gerecht wird.“

In den USA kommt es regelmäßig zu tödlichen Polizeieinsätzen ähnlicher Art. Stellvertretend dafür steht der Fall George Floyd: Der Afroamerikaner wurde im Mai 2020 bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis getötet. Einer der Polizisten saß Floyd mit dem Knie so lange im Nacken, bis er keine Luft mehr bekam. Auch dieser Fall führte zu landesweiten Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. (mit dpa)

Rundschau abonnieren