EuropawahlWas das Wahlergebnis für Union und SPD bedeutet

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Katarina Barley

Sorgen bei der SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley

Berlin/Brüssel – Nach der schweren Schlappe für die Union und die SPD bei der Europawahl beraten die Parteiführungen über Konsequenzen. Ab Montagvormittag kommen dazu die Parteigremien zusammen.

Am Nachmittag treffen sich dann die Koalitionsspitzen: Zunächst beraten sich die Spitzenpolitiker der Union, Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Wenig später sollen SPD-Chefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz hinzukommen.

Historisch schlechte SPD und Union

Union und SPD hatten am Sonntag bei der Europawahl in Deutschland historisch schlecht abgeschnitten. Trotzdem blieben CDU und CSU zusammen stärkste Kraft. Die Sozialdemokraten dagegen verloren zweistellig und rutschten auf den dritten Platz.

Für die SPD, die von den Grünen von Platz zwei verdrängt wurde, kommt hinzu, dass sie bei der zeitgleichen Landtagswahl in Bremen hinter der CDU landete und damit ebenfalls ein Fiasko erlitt. Der Stadtstaat war jahrzehntelang eine SPD-Hochburg. Die Ergebnisse könnten Gegnern der großen Koalition innerhalb der SPD Aufwind geben und somit die Stabilität des schwarz-roten Regierungsbündnisses stark belasten.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek rief die Union auf, in den nächsten Monaten der Klima- und Umweltpolitik noch mehr Gewicht zu geben. Die CDU-Politikerin sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Dabei müssen wir deutlich machen, was bisher erreicht wurde und welche großen Anstrengungen bereits laufen. 

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Dies ist bei den Bürgern und auch gerade bei den jüngeren Menschen offensichtlich zu wenig bekannt.“ Der CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer dagegen nannte die Klimadebatte „nur noch schwer erträglich“. Die Diskussion sei alarmistisch und Fakten würden weitgehend durch Emotionen ersetzt, sagte Pfeiffer der dpa.

Suche nach Antworten

Der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Tilman Kuban, verlangte eine tiefgreifende Aufarbeitung der Ursachen der Verluste. „Allerdings kann es nicht sein, dass wir nun noch mehr SPD-Themen durchwinken, um die Koalition auf Gedeih und Verderb zusammenzuhalten“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Montag).

Die Wahlen waren auch der erste Stimmungstest für Kramp-Karrenbauer seit ihrem Amtsantritt im Dezember, Merkel hatte sich weitgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten. Kramp-Karrenbauer hatte noch am Sonntagabend Defizite in der Klimaschutzpolitik eingeräumt, die ein wichtiges Wahlkampfthema war. CSU-Chef Söder sagte im Bayerischen Fernsehen: „Die große Herausforderung der Zukunft ist die intensive Auseinandersetzung mit den Grünen.“

Mit Blick auf die krachenden SPD-Niederlagen warnte der Chef des einflussreichen nordrhein-westfälischen Landesverbandes, Sebastian Hartmann, vor vorschnellen Reaktionen. „Wir müssen die Nerven behalten“, sagte der Bundestagsabgeordnete der dpa in Berlin. Es brauche den Schulterschluss des Spitzenpersonals der Partei. Der Absturz der SPD bei der Europawahl hatte Spekulationen Auftrieb gegeben, dass Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles zur Aufgabe ihres Spitzenpostens in der Fraktion gedrängt werden könnte.

Kapitalismuskritischer Kurs gefordert

Vertreter des linken SPD-Flügels verlangen nun einen kapitalismuskritischeren Kurs ihrer Partei. „Überall vermissen die Menschen bei der SPD inhaltliche Klarheit und deutliche Kommunikation“, schreiben Ralf Stegner, Kevin Kühnert und Matthias Miersch in einem Positionspapier, das dem „Spiegel“ vorliegt. Künftig gelte es, weit kapitalismuskritischer aufzutreten als bislang. Sie schreiben demnach weiter: „Die GroKo muss liefern, wenn diese Koalition Bestand haben soll.“

Konkret fordern sie „noch vor Ablauf des Jahres“ ein Klimaschutzgesetz, ein neues Berufsbildungsgesetz, die Durchsetzung der Grundrente, ein Einwanderungsgesetz, Fortschritte bei der Digitalsteuer sowie eine Einigung auf neue, restriktive Rüstungsexportregeln. „Die Große Koalition hat ein Enddatum: Allerspätestens September 2021, und notfalls eben auch früher“, betonen sie laut „Spiegel“. „Wir haben mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen.“

Die Union war bei der Europawahl nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis des Bundeswahlleiters trotz Verlusten stärkste Kraft geworden. Die Union aus CDU und CSU erreichten nach Auszählung aller Wahlkreise 28,9 Prozent - bei der Europawahl 2014 waren es noch 35,4 Prozent. Die SPD stürzt auf 15,8 Prozent ab. Bei der vorherigen Europawahl waren es noch 27,3 Prozent, bei der Bundestagswahl 20,5 Prozent. Die Grünen legen auf 20,5 Prozent zu - fast zehn Punkte mehr als bei der Europawahl vor fünf Jahren (10,7 Prozent). Die AfD kommt auf 11,0 Prozent (2014: 7,1 Prozent). Die Linke liegt bei 5,5 Prozent (2014: 7,4 Prozent), die FDP bei 5,4 Prozent (2014: 3,4 Prozent). Von den anderen Parteien erzielten nur die Freien Wähler und die Satirepartei Die Partei mehr als 2 Prozent.

Das AfD-Vorstandsmitglied Beatrix von Storch war mit dem Abschneiden ihrer bei der Europawahl nur bedingt zufrieden. Sie sprach zwar von einem „guten, stabilen Ergebnis“. Die AfD-Bundestagsabgeordnete erklärte jedoch im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, die Schlussphase des Wahlkampfs sei für ihre Partei schwierig gewesen. „Wir hatten auf den letzten Metern keinen Rückenwind“, sagte die Berliner Abgeordnete. Ein Grund sei die Debatte über das „Ibiza-Video“ des Parteichefs der österreichischen FPÖ gewesen, das man „in unsere Nähe gerückt hat“. Neben dem Klimaschutz war es im Wahlkampf insbesondere um Mindestlöhne, die Besteuerung von Internetkonzernen, die Migrationspolitik und die Debatte um das Urheberrecht im Internet gegangen. Bestimmt war die Kampagne aber auch von Sorgen vor einem Erstarken von Rechtspopulisten und Nationalisten.

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