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Fall Brosius-GersdorfFührungsversagen von Merz und Spahn

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ARCHIV - 15.04.2024, Berlin: Frauke Brosius-Gersdorf, Juristin, stellt den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vor. (zu dpa: «Wie geht es weiter nach Brosius-Gersdorfs Rückzug?») Foto: Britta Pedersen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Kontrovers: Frauke Brosius-Gersdorf im April 2024 vor der Bundespressekonferenz. Damals stellte sie den Bericht einer Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung vor – mit Ausführungen zur Menschenwürde, die für etliche Unionspolitiker nicht akzeptabel waren.

Woran ist die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf gescheitert? Rechtslastige Autoren haben die Juristin verleumdet. Aber die grundsätzlichen Bedenken, die es in der Union gegen sie gab, hatten andere Gründe. Wie sind Kanzler und Fraktionschef damit umgegangen?

Der Mann hat recht. So ein Vorgang dürfe sich nicht wiederholen, hat SPD-Fraktionschef Matthias Miersch angesichts des Debakels um die Besetzung offener Richterstellen am Bundesverfassungsgericht gesagt. Am Ende hat die von der SPD als Richterin vorgeschlagene Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf den Koalitionsfrieden gerettet, indem sie aufgab. Die Juristin hat – spät – eingesehen, was die Fraktionsspitzen von Union und SPD viel früher hätten feststellen müssen: Sie hätte bei der Richterwahl keine ausreichende Mehrheit finden können. Dazu waren die Bedenken in der Unionsfraktion zu groß.

Den Kern dieser Bedenken hat die CDU-Abgeordnete Lisa Winkelmeier-Becker, gewiss keine Scharfmacherin, genannt, indem sie mit einem Zitat aus dem Grundsatzprogramm ihrer Partei auf die „unantastbare Würde des Menschen in jeder Phase seiner Entwicklung“ hinwies. Wenn Unions-Fraktionschef Jens Spahn davon überrascht wurde, hat er seinen Job schlecht gemacht.

Spahn hätte früher Stopp sagen müssen

Das gilt unabhängig von Verleumdungskampagnen diverser Rechtsaußen-Agitatoren, die den Streit um die Juristin für ihre Zwecke nutzten. Zu diesem Streit hätte es nie kommen dürfen. Brosius-Gersdorf hatte sich schon zu Zeiten der Ampel-Koalition im Zusammenhang mit dem damaligen Vorhaben, den bisherigen Paragrafen 218 zu kippen, in einer Weise exponiert, die für viele Unionsleute schwer erträglich war. Wenn die SPD die Potsdamer Professorin trotzdem (oder gerade deshalb?) vorschlagen wollte, war das nicht klug. Spahns Aufgabe wäre es aber gewesen, früh, während der vertraulichen Vorabklärung, Stopp zu sagen. Das hat er versäumt, und Kanzler Friedrich Merz hat seine Parteifreunde erst recht provoziert, als er die Frage, ob er Brosius-Gersdorf mitwählen würde, ohne jede Einordnung platt bejahte.

Schon am Ende der Koalitionsverhandlungen hatten Merz und CSU-Chef Markus Söder sich von der SPD die Festlegung auf eine erweiterte Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen aufdrücken lassen. Einen Passus, den Brosius-Gersdorf ihnen noch in ihrer Verzichtserklärung vorhielt: Was die Sozialversicherung bezahlen soll, kann doch nicht rechtswidrig sein. In dieser Logik hängt die Deutung zentraler Verfassungsbestimmungen vom gewünschten sozialrechtlichen Ergebnis ab. Merz und Spahn haben nicht verstanden, dass ein derart ultrapragmatisches Verfassungsverständnis in der Partei Konrad Adenauers auf Widerstand stoßen muss. Gute Führung sieht anders aus.