Forderung nach Anti-Corona-DemoWarum ein Verbot der Reichsflagge falsch wäre

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Ein Mann hält eine Reichsflagge bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen vor der russischen Botschaft.

  • Die Reichsflagge tauchte jahrelang fast nur bei Neonazi-Protesten auf.
  • Mittlerweile versammeln sich auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft hinter ihr, etwa bei Corona-Demonstrationen.
  • Ein Verbot wäre jedoch falsch. Eine Analyse von Jan Drebes

Dass kahlgeschorene Männer mit Springerstiefeln und dunklen Sonnenbrillen die Reichsflagge schwenken, ist leider seit Jahrzehnten ein gewohntes Bild von Neonazi-Aufzügen. Und ein Klischee, denn so eindeutig sind Menschen mit rechtsradikaler Gesinnung längst nicht immer zu erkennen. Dass aber Demonstranten mit dem schwarz-weiß-roten Banner in der Hand die Treppen des Reichstags hinauf rennen, ist ein Einschnitt in der Geschichte des Landes und es ist Schock, der auch Tage später noch anhält.

Demokraten fühlen sich von der Tat am vergangenen Samstagabend angegriffen, weil die Flagge für eine antidemokratische Haltung steht. Und das Reichstagsgebäude – als Sitz des frei gewählten, demokratischen Parlaments der Bundesrepublik – für das Gegenteil.

Debatte um Verbot der Flagge

Aber muss die Flagge deswegen verboten werden? Wohl kaum. Wichtiger und hoffentlich wirksamer ist es, aufzuklären, was es mit der Fahne und ihren Farben auf sich hat, damit sich möglichst wenige Menschen hinter ihr versammeln und nicht – wie am Wochenende geschehen – auch ohne rechte Gesinnung hinter ihr und ihren Trägern herlaufen.

Schwarz-Weiß-Rot ist eben nicht Schwarz-Rot-Gold. Die Farben stehen heute für eine Abkehr vom Hoheitszeichen der Bundesrepublik. Sie sind Ausdruck einer rechten bis rechtsradikalen Gesinnung. Die Reichsflagge dient Neonazis, Reichsbürgern und anderen Menschen mit rechtem sowie antidemokratischem Gedankengut als Symbol für ihre Gruppierungen. Sie ist eine legale Alternative zu den in Deutschland verbotenen Symbolen der Nationalsozialisten.

Ursprung im Deutschen Reich

Ursprünglich geht sie auf das Deutsche Reich und die Zeit davor zurück. Die Farben Schwarz und Weiß symbolisierten Preußen, die Hanse wiederum zeichnete sich mit Rot und Weiß aus. Die Kombination der Farben fanden sich ab 1867 in der Flagge der Marine des Norddeutschen Bundes wider. Die Streitkräfte des Deutschen Reichs übernahmen sie, im Kaiserreich nach 1871 stand sie für deutsche Vorherrschaft, die Farben prägten auch offizielle Gebäude in deutschen Kolonialgebieten. Später grenzten sich Ultrarechte in der Weimarer Republik mit der Fahne von Demokraten ab und erinnerten an die Monarchie.

Die Nationalsozialisten griffen anfangs ebenfalls zu den Farben der Reichs- und Reichskriegsflagge, propagierten sie doch auch den Gedanken eines neuen deutschen Großreichs. Später aber brachen die Nazis mit dem Symbol der kaiserlichen Zeit und führten kurz nach der Machtergreifung die Hakenkreuzfahne als Nationalflagge ein – in den anders gewichteten Farben Rot-Weiß-Schwarz.

Verfassungsfeindlich ist die Flagge nicht

Flaggenexperten und Historiker sind sich einig, dass es heute für die Träger solcher Banner keinen Zweifel mehr geben kann, wofür die Fahnen stehen. „Die Flagge enthält alles, was ein moderner Rechter sehen will", sagte jüngst Jörg Karaschewski, Fahnenforscher und Gründer der Deutschen Gesellschaft für Flaggenkunde, dem ZDF. Im Fall der Reichskriegsflagge gilt: „Es gibt das Eiserne Kreuz, den Preußenadler und die Farben Schwarz-Weiß-Rot, das ist geballte Symbolik“, so Karaschewski. Verfassungsfeindlich ist die Flagge damit aber noch nicht – auch das spricht gegen ein Verbot. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt dazu: „Die Führung der ,Reichskriegsflagge’ des Deutschen Kaiserreichs erfüllt weder einen Tatbestand des Strafgesetzbuches noch des Ordnungswidrigkeitengesetzes.“

Dennoch könne die Flagge von der Polizei in einzelnen Fällen sichergestellt werden, um konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. So schreibt die Behörde in einer Broschüre zu verbotenen Symbolen weiter: „Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Flagge Kristallisationspunkt einer konkret drohenden Gefahr ist und diese sich dadurch beheben lässt.“ Einen solchen Fall sahen die Sicherheitskräfte am Reichstag nicht gegeben.

In Berlin sehr oft zu sehen

Und dennoch ist es auffällig, wie häufig mittlerweile die Reichsflagge gerade bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen auftaucht. Das war am Wochenende bei den Demonstrationen in Berlin so, ähnliche Bilder gab es zuvor aus anderen Städten. Sie taucht an Häusern oder in Kleingartenkolonien auf. Und seit geraumer Zeit recken Menschen an der Bundesstraße 96 im Landkreis Bautzen regelmäßig die Fahnen in die Höhe, nachdem dort zunächst einzelne Bürger gegen die Corona-Politik demonstriert hatten.

Das ist ein Hinweis darauf, wie sehr mittlerweile die Proteste von Rechten und Rechtsradikalen genutzt und unterwandert werden. Ein Verbot der Flagge wäre vor dem Hintergrund möglicherweise sogar kontraproduktiv, weil es eine Vermischung der Gruppen unsichtbarer machen würde. Zugleich lauert darin eine Gefahr, sobald ein klar rechtes, antidemokratisches Symbol derart Akzeptanz auch in der Mitte der Gesellschaft findet. Beim Verfassungsschutz heißt es auf Anfrage, dass man insbesondere die Gruppe der Reichsbürger im Blick habe, die die Flagge gerne verwenden. In Berlin tauchte die Kriegsflagge gar neben Friedensfahnen auf, was nicht immer an der kruden Mischung der Teilnehmer lag. Die Regenbogenfahne symbolisiert für Verschwörungstheoretiker auch den Wunsch nach einem Friedensvertrag zwischen den USA und Russland, weil sie an ein noch immer besetztes Deutschland glauben.

Das Problem an der Wurzel angehen

In dieser Gemengelage ein Flaggenverbot durchzusetzen, lehnen Innenexperten unterschiedlicher Parteien ab. „Ein Verbot der kaiserlichen Fahnen, die zwar auch von Faschisten genutzt werden, aber ursprünglich keine faschistischen Symbole waren, erscheint mir zwar nicht nötig“, sagt Linken-Politikerin Ulla Jelpke. Doch wer eine solche Fahne trägt, stelle damit in jedem Fall seine antidemokratische Gesinnung offen zur Schau. Auch Irene Mihalic von den Grünen sieht das so: Deutschland habe nicht das Problem mit Rechtsextremismus, weil diese Flaggen gezeigt würden, sondern es sei umgekehrt. „Es geht um die Motivation derjenigen, die sie tragen und da müssen wir ran“, sagt Mihalic. Sie fordert eine ehrliche Analyse des rechtsextremen Personenpotentials in Deutschland in all seinen Vernetzungen und Kampagnenformen. Das, so ist vom Verfassungsschutz zu hören, läuft derzeit auch mit Blick auf die Anti-Corona-Proteste. Ein Flaggenverbot werde nicht diskutiert.

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