Frage des TagesStößt die Integration an Grenzen? – Joachim Stamp im Interview

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Joachim Stamp dpa

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister, Joachim Stamp (FDP), auf einer Pressekonferenz. (Archivbild)

  • Mit Videospielen hat Joachim Stamp, 49, nicht sonderlich viel am Hut.
  • Zwar hat er kurz vor diesem Gespräch die Gamescom in Köln eröffnet, aber ihn interessieren eher die pädagogischen Formate, sagt er.
  • Am Donnerstag diskutiert der Integrationsminister mit Bürgern über die Räumungen im Rheinbad.
  • Das Thema treibt ihn um.

Köln – Herr Stamp, wann waren Sie das letzte Mal im Freibad? Joachim Stamp: Letztes Jahr im Sommer. Da war ich mehrfach im Bonner Hardtbergbad. Dort hatte ich ein ruhiges Plätzchen und habe Bücher gelesen. Sehr angenehm dort.

Und wenn Sie sich an Ihre Jugend erinnern?

Da hat es auch manchmal spannungsgeladene Situationen gegeben.

Zum Beispiel?

Provokationen von pubertierenden Jugendlichen. Auch ich habe früher mal über die Stränge geschlagen. Aber wir haben die Ansagen der Bademeister sofort akzeptiert – auch einen Rauswurf.

Was haben Sie da gemacht?

Wir haben im Hallenbad einen Vier-Mann-Turm gebaut, drei Leute waren auf meinen Schultern. Als wir umgekippt sind, hat der Bademeister dann gesagt: „Raus.“ Das war mit 16, aber natürlich Unfug.

Im Rheinbad war es zuletzt nicht immer friedlich. Nach der dritten Räumung gab es bundesweite Debatten. Sie diskutieren in der Fußballarena darüber. Wieso?

Wir konnten leider aus logistischen Gründen nicht ins Rheinbad. Wir möchten denjenigen, die solche Situationen im Schwimmbad mitbekommen haben, die Möglichkeit geben, darüb er zu diskutieren. Uns ist es wichtig, dass wir Menschen ins Gespräch bringen und auch selbst hören, was sie bewegt. Wir möchten die Debatte versachlichen und versuchen, Vorurteile abzubauen. Eine grundlegende Frage ist ja: Wie wollen wir miteinander umgehen? Es gibt eine gestiegene Aggressivität auch gegenüber Rettungs- und Sanitätskräften sowie Polizisten, aber auch Bademeister bekommen das zu spüren. Darüber wollen wir sprechen.

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Sie wollen versachlichen. Ist das nicht etwas zu hoffnungsfroh?

Das kann sein. Aber ich gehe nicht mit dem Anspruch dahin, dass wir jetzt alles regeln können. Wir wollen offen reden, aber wir überschätzen uns nicht.

Welchen Teil Ihres Ministeriums sehen Sie angesprochen?

Eine Gruppe im Rheinbad wurde in der Debatte ethnisch eingeordnet und als Täter beschuldigt – da bin ich als Integrationsminister gefordert. Pauschal war von Nordafrikanern die Rede. Wir müssen einige Fragen diskutieren: Gibt es Schwierigkeiten mit einer spezifischen Gruppe und wie gehen wir damit um? Werden Menschen heute schneller unter Generalverdacht ausgegrenzt?

Es war von 60 Männern „nordafrikanischen Typus“ die Rede, von Tumulten und marodierenden Horden. Die Polizei hat nur von zwei Leuten die Personalien aufgenommen – deutsche Staatsbürger. Wie kann so etwas passieren?

Seit der Silvesternacht in Köln gibt es bei manchen die Wahrnehmung, dass Medien bestimmte Dinge nicht realistisch darstellen. Das hat teilweise zu einer Überreaktion geführt. Manche Dinge werden nun gelegentlich dramatisiert. Derjenige, der am schrillsten ist, wird in der öffentlichen Debatte häufig am stärksten wahrgenommen. Das ist nicht zukunftsweisend.

Sollten Medien die Herkunft nennen oder nicht?

Da mache ich keine Vorgaben, das regelt der Presserat im Pressekodex. In den Kommentarspalten im Internet wird, wenn keine Herkunft in dem Bericht genannt wurde, aber schnell spekuliert, dass es jemand mit Einwanderungsgeschichte war. Das ist ein Problem.

In Düsseldorf hat der Bäderchef 50 bis 60 Nordafrikanern als Täter benannt, was falsch war. Hätten Sie sich gewünscht, dass der Bäderchef das nicht sagt?

Den konkreten Fall kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht dabei war. Wenn ich kritisiere, dass wir zu schrill übereinander sprechen, dann will ich auch selbst zurückhaltend mit meinen Urteilen sein. Wir müssen Probleme sachlich ansprechen. Es ist eine Gefahr für die offene Gesellschaft, wenn über Teile einer Gruppe pauschal geurteilt wird.

Was empfehlen Sie? Sollte die Herkunft gar nicht genannt werden?

Wenn, dann müsste man die Herkunft eigentlich bei jedem Delikt nennen, auch wenn es dann bizarr wird. Es gibt aber schon spezifische Delikte, die von einer bestimmten Tätergruppe aus bestimmten Länder häufiger begangen werden als andere: etwa der Taschendiebstahl an Bahnhöfen. Das muss man klar benennen, damit das Problem auch behoben werden kann.

In Nordrhein-Westfalen gibt es trotzdem Menschen, die fürchten, es sei in den Freibädern nicht mehr sicher. Was sagen Sie denen?

Die Sorgen der Menschen möchten wir uns auch bei dem Wertedialog anhören, der Teil unserer Integrations- und Wertschätzungskampagne #IchDuWirNRW ist. Es gibt nicht in jedem Freibad Randale, aber dort, wo es Probleme gibt, sollten Lösungen gefunden werden. Dazu kann möglicherweise der Einsatz von mehr Personal oder neue Standards gehören.

Was ist denn das konkrete Problem: die Pubertät, die Her kunft, die Hitze, die Gruppendynamik?

Sämtliche Aspekte spielen eine Rolle. Das mag auch Jugendliche, die aus patriarchalischen Strukturen stammen, betreffen. Aber wir haben auch insgesamt eine gesellschaftliche Entwicklung, die rücksichtsloser wird. Das schwappt teilweise aus dem Internet in die Realität über.

Es gibt ein Problem mit jungen Männern aus dem Gebiet Nordafrika in Nordrhein-Westfalen?

Das ist nicht wegzudiskutieren. Das habe ich schon vor fünf oder sechs Jahren als einer der ersten angesprochen: Wenn wir das Thema nicht gezielt angehen, werden andere es instrumentalisieren. Wenn Sie sich mit alteingesessen Maghrebinern in Düsseldorf unterhalten, dann sagen die: die vermiesen uns unseren Ruf. Dieser spezifischen Gruppe muss man sich daher gezielt nähern.

Wie könnte das gelingen?

Auf der einen Seite müssen wir konsequent beim Ordnungsrecht vorgehen. Andererseits muss es Angebote geben, in der Freizeit sinnvolle Dinge zu tun.

Ins Freibad zu gehen ist ja sinnvoll.

Das gehört sicherlich dazu, aber da müssen dann die Spielregeln eingehalten werden.

Wie ist denn das gesellschaftliche Klima zu retten?

Mit den uns zu Verfügung stehenden Möglichkeiten versuchen wir das über den Dialog. Es muss aber auch eine nachvollziehbare Politik geben. Ich halte nichts davon, wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer in Interviews ankündigt, wen er alles des Landes verweisen will, aber klar ist, dass das rechtlich gar nicht geht. Man gewinnt kein Terrain in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulisten, wenn man Erwartungen schürt, die man selbst nicht halten kann. Im Bereich Einwanderung müssen wir Politik besser erklären, was etwa bestimmte Fachbegriffe angeht.

Nach der letzten Räumung wurden ausländerrechtliche Konsequenzen gefordert. Davon halten Sie nichts?

Ich bin ein Freund davon, Dinge durchzusetzen statt darüber zu spekulieren. Wenn ich die ausländerrechtlichen Möglichkeiten habe, jemanden, der sich nicht an die Spielregeln hält, des Landes zu verweisen, dann tue ich das. Wir sind in Nordrhein-Westfalen sehr hart, was die Rückführungen von Gefährdern und Straftätern angeht. Aber das heißt nicht, dass wir vorher Dinge an die Wand malen, die wir später nicht umsetzen können.

In Kerpen gibt es eine Initiative, bei der Geflüchtete als Bademeister tätig sind. Wäre das ein Ansatz?

Das ist eine ganz tolle Initiative, das unterstützen wir. Das hat eine gute integrative Wirkung. Auch in anderen Bereichen, wie bei der Polizei und der Feuerwehr, sollte sich unsere gesellschaftliche Entwicklung abbilden. Je selbstverständlicher das ist, dass jemand mit Einwanderungsgeschichte in den Sicherheitsbehörden tätig ist, desto besser wird das Zusammenleben.

H. Rasche führte das Gespräch.

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