Nach dem Ende des Assad-Regimes kehren viele Syrer erstmals zurück in ihre Heimat. Doch die Hoffnung auf einen Neuanfang wird von Unsicherheit, politischen Spannungen und der Angst vor neuer Gewalt überschattet.
Heimkehr nach DamaskusSyrische Rückkehrer zwischen Hoffnung und Zweifel

Aleppo: Ein Mädchen spielt in einem öffentlichen Park in Aleppo.
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Der Airbus der Lufthansa geht in den Sinkflug über. Unten in der Dunkelheit liegt Zypern. Bald werden links die Lichter der libanesischen Hauptstadt Beirut zu sehen sein. Rabiah ist nervös. „Ich kann es immer noch nicht glauben“, sagt er in nahezu perfektem Deutsch. „Morgen fahre ich weiter nach Damaskus. Zum ersten Mal seit zehn Jahren.“
Im Sommer 2015 war Rabiah aus seiner Heimatstadt nach Deutschland geflohen. Über die Türkei, das Mittelmeer, Griechenland und die Balkanroute schlug sich der Syrer nach Europa durch. „Es war furchtbar. Wir fuhren auf einem überfüllten Schlauchboot durch die Nacht.“ Ein Jahrzehnt später hat er den deutschen Pass, spricht die Sprache und arbeitet in einem Autozulieferbetrieb in der Nähe von Augsburg. Er fühle sich inzwischen mehr deutsch als syrisch, sagt der 43-Jährige.
So wie Rabiah flohen 2015 Hunderttausende Syrer vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat und der brutalen Herrschaft des Diktators Baschar al-Assad nach Deutschland oder in andere europäische Länder. Es war der Sommer der großen Flüchtlingskrise, mit den überfüllten Lagern in Moria, dem Chaos in Idomeni an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien, den Trecks auf den Autobahnen Osteuropas und Angela Merkels „Wir schaffen das“.
Aus Europa kommen die meisten bislang nur zu Besuch
Ein Jahrzehnt später ist das Assad-Regime Geschichte. Im vergangenen Dezember wurde der Diktator von der islamistischen Rebellenarmee Hayat Tahrir al-Sham (HTS) gestürzt. Seither sind Hunderttausende Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt – die Mehrheit von ihnen allerdings aus den Nachbarländern, wie der Türkei oder Libanon. Aus Europa hingegen kommen die meisten nur zu Besuch. „Ich will einfach nur die Stadt sehen, in der ich aufgewachsen bin“, sagt auch Rabiah. Eine definitive Rückkehr komme für ihn aber nicht infrage. „Mein Haus in Damaskus steht schon lange nicht mehr.“
Nur rund 1300 Syrer seien bisher aus Deutschland in die alte Heimat zurückgegangen, meldet das Bundesinnenministerium. Andere Schätzungen gehen von maximal 4000 Rückkehrern aus Deutschland aus. Zu unsicher ist die Situation in dem kaputten, wirtschaftlich darniederliegenden Land. Viele haben sich zudem eine Existenz in Europa aufgebaut, die sie nicht einfach so aufgeben wollen.
Und trotzdem gibt es sie: jene Rückkehrer, die trotz allen Problemen und anhaltenden Gewaltausbrüchen ihr Glück in Syrien versuchen wollen – und dafür auf ihr neues Leben verzichten. Kinan al-Kudsi ist einer von ihnen. Er habe es einfach tun müssen, sagt der 37-Jährige, während er in einem Restaurant in Damaskus sitzt und ein Bier trinkt. „Ich wollte meine Eltern wiedersehen – aber auch mithelfen, mein Land wieder aufzubauen.“
Viele Syrer erlebten eine Odyssee
Kudsi hat wie so viele Syrer eine Odyssee hinter sich. Als 2011 der Volksaufstand gegen die Assad-Diktatur ausbrach, engagierte er sich in Damaskus als Rettungssanitäter bei der Opposition, wurde kurzzeitig von Assads Schergen verhaftet und musste fliehen. Über Ägypten und Dubai landete er im türkischen Gaziantep, wo er eine eigene Firma aufbaute, die internationale Hilfsorganisationen beriet. Doch in der Türkei bekam er keinen Flüchtlingsstatus, wurde nur geduldet. „Ich hatte dort keine Zukunft.“
Ende 2014 machte er sich deshalb erneut auf den Weg. Aber nicht – wie so viele – über das Meer. „Illegal wäre ich niemals gefahren. Ich hatte Kontakte und bekam deshalb ein französisches Visum“, sagt Kudsi. So landete er im November 2014 im kalten Paris. „Ich kam dort mit meiner damaligen Frau, einer Syrerin, an. Der Anfang war hart. Wir kannten kaum jemanden, alles war teuer. Es ist nicht einfach, wenn du in ein neues Land kommst.“
Eine ähnliche Erfahrung machte auch Alaa. Der 53-jährige Zahnarzt heißt eigentlich anders. Aus Sicherheitsgründen will er seinen Namen nicht nennen. Er empfängt in einer kleinen Praxis im Damaszener Vorort Mezzeh. Alaa floh ebenfalls nach Europa, mitten in der großen Fluchtwelle. „Im Sommer 2015 flog ich über Beirut nach Istanbul. Von da aus ging es weiter mit dem Schlauchboot nach Griechenland und über Land bis nach Deutschland“, erzählt er. Eigentlich wollte er in die Niederlande. „Aber am Ende bekam ich in Deutschland Asyl und blieb.“
Alaa floh aus anderen Gründen als Kudsi. Der Zahnarzt war kein Oppositioneller. Er ist Alevit – gehört also derselben Minderheit an wie der Ex-Diktator Baschar al-Assad. „Syrien war 2015 am Ende, überall fielen Bomben, es gab keine Zukunft mehr“, sagt er. „Der Krieg betraf uns alle.“ In Deutschland legte er sofort los, lernte die Sprache und arbeitete freiwillig als Zahnarzthelfer im bayrischen Pfaffenhofen, während er versuchte, seine Approbation zu bekommen. „Deutschland ist ein gutes Land“, sagt er. „Auch wenn die Bürokratie dort sehr kompliziert ist.“
Eigentlich wollte Alaa seine Familie nachholen. Doch dann wurde eine seiner Töchter krank – und er entschloss sich, schweren Herzens nach Hause zurückzukehren. „Ich kam 2018 zurück nach Damaskus, als der Krieg etwas abgeflaut war“, sagt er. Wenig später eröffnete er eine Praxis in der alten Heimat, fing wieder an zu arbeiten. Aber die Lage wurde immer schwieriger. „Spätestens mit der Covid-Pandemie brach in Syrien alles zusammen, die Wirtschaft kollabierte komplett.“
Kudsi machte derweil in Frankreich Karriere. In Paris studierte er nochmals, bekam die Staatsbürgerschaft und wurde erst Spezialist für die Bekämpfung von Terrorfinanzierung bei einer großen Bank, gründete später ein Gastrounternehmen und beriet Hilfsorganisationen. Doch als im Winter 2024 mit einem Mal das verhasste Assad-Regime zusammenbrach, hielt er es in Frankreich nicht mehr aus. „Ich flog sofort ins türkische Gaziantep, um über Aleppo nach Damaskus zu fahren“, erzählt er.
„Assad war endlich weg. Es war unglaublich“
Ein paar Wochen später war er dann endlich zurück, obwohl ihn oppositionelle Freunde noch davor gewarnt hatten, dass es zu riskant sei. „Es war unfassbar emotional. Ich hatte meine Familie kaum mehr gesehen, stand zum ersten Mal seit Jahren wieder meinem Vater gegenüber“, sagt er. Überall in der Stadt sei noch gefeiert worden. „Assad war endlich weg. Es war unglaublich.“
Alaa, der Zahnarzt, der bereits 2018 zurückgekehrt war, empfand den Sturz des Diktators nicht wirklich als Befreiung. „Natürlich war ich froh, dass Assad endlich weg war. Aber stattdessen werden wir jetzt von Islamisten regiert.“ Der neuen Regierung um Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa habe er von Anfang an nicht über den Weg getraut. Acht Monate später fühlt er sich bestätigt. Seit den Massakern an der Küste, als Hunderte meist alevitische Zivilisten von Damaskus-treuen Kämpfern getötet wurden, hat er Angst.
„Wir Minderheiten haben hier keine Zukunft mehr“, sagt er. Inzwischen bereut er es, Deutschland verlassen zu haben. „Ich hätte bleiben sollen. Aber ich hatte damals keine Wahl.“ Seine Töchter studieren und wollen ins Ausland. Er selbst wolle auch weg. „Ich bemühe mich um ein Visum. Ich träume davon, in Deutschland meine Approbation zum Zahnarzt fertig zu machen. Aber inzwischen ist es schwer geworden, das Land zu verlassen.“
Kudsi hingegen hat sich in der neuen alten Heimat in die Arbeit gestürzt. Sofort reaktivierte er seine Kontakte aus seiner NGO-Zeit in der Türkei, baute eine Organisation auf, die sich um Binnenvertriebene kümmert, und versucht, die Wasserversorgung in den vom Krieg zerstörten Vierteln von Damaskus zu reparieren. „Ich liebe Damaskus“, sagt er. „Mit unserem Wissen und unserer Erfahrung können wir Exil-Syrer zudem dazu beitragen, unser Land wieder aufzubauen.“
Aber auch er hat Zweifel. „Gleich nach dem Sturz Assads hat mein Vater gesagt: ‚Wir müssen uns jetzt auf den Wiederaufbau konzentrieren. Um die politischen Fragen kümmern wir uns später.‘“ Zu Beginn nahm sich Kudsi das zu Herzen. Heute denkt er anders. Nach den Massakern an der Küste und den blutigen Auseinandersetzungen in Suweida sieht er Syriens Zukunft kritisch. „Mein Vater sagt immer, in sieben Jahren werde es eine neue Revolution geben. Inzwischen denke ich manchmal, dass das sogar früher der Fall sein könnte.“
Dieser Text erschien zuerst in der „Neuen Zürcher Zeitung“.