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Vor Klimagipfel COP30Amazonas-Indigene werfen Brasilien Scheinheiligkeit vor

6 min
Übt scharfe Kritik an der brasilianischen Regierung: Pagé Nato vom Volk der Tupinamba.

Übt scharfe Kritik an der brasilianischen Regierung: Pagé Nato vom Volk der Tupinamba.

Wenige Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz kritisieren indigene Völker die brasilianische Regierung. Während Präsident Lula für Klimaschutz wirbt, treibt er gleichzeitig Soja-Anbau und Erdöl-Förderung im Amazonas voran.

Der weiße Dampf kommt aus der Schüssel. Pagé Nato, der spirituelle Führer der Gemeinde Tupinambá am Rio Tapajos, Zufluss des Amazonas, pustet seinen Mitbewohnern den Rauch über den Kopf. Es ist ein traditionelles Ritual, mit dem Gäste und Besucher willkommen geheißen werden. Um die Verbindung zur Mutter Erde zu demonstrieren, stampfen die Menschen, die einen sich drehenden Ring um die Zeremonie bilden, mit den Füßen auf.

COP30: Eine Farce für indigene Völker

Wenige Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz in der Millionenstadt Belém ist die COP30 auch bei den Indigenen, die an den Amazonas-Flüssen leben, ein großes Thema. Und sie haben keine gute Meinung über das, was da in Belém passieren wird. Pagé Nato, der vom Volk der Tupinambá stammt, sagt im Gespräch mit dieser Redaktion: „Der Amazonas ist unser Zuhause. Für uns ist diese COP30 eine Farce. Die brasilianische Regierung belügt die Welt über das, was hier mit den indigenen Völkern passiert.“

Der Soja-Boom: Bedrohung für das Ökosystem

Es ist vor allem ein Geschäftsmodell, das die Ureinwohner besorgt: der Soja-Anbau. Vorangetrieben vom linkspopulistischen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, breitet sich der Anbau der Bohne immer weiter aus. Geplante Eisenbahnprojekte und Autobahnen durch den Amazonas könnten dazu führen, dass sich die Agrarindustrie weitere Flächen des Regenwaldes einverleibt. Fast immer kommt es entlang dieser Infrastrukturprojekte zur Entwaldung, es entstehen Siedlungen oder neue Sojafelder.

Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva

Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva

Welche Bedeutung der Anbau von Soja in Brasilien inzwischen hat, machen diese aktuellen Zahlen deutlich: Die brasilianische Regierung prognostizierte im Oktober eine neue Rekord-Getreideernte von 354,7 Millionen Tonnen. Soja bleibt dabei mit einer geschätzten Ernte von 177,6 Millionen Tonnen das wichtigste industrielle Agrarprodukt des Landes. In den letzten zwölf Monaten wuchs damit nach offiziellen Angaben die Anbaufläche noch einmal um 3,6 Prozent und um rund sechs Millionen Tonnen. Exportiert wird das Soja vor allem nach China, dem größten Handelspartner Brasiliens.

Erdöl-Förderung heizt Proteste an

Nicht nur der Soja-Anbau stößt bei der Flussbevölkerung auf heftige Ablehnung. Seit wenigen Wochen ist klar, die Regierung Lula will auch ein hochumstrittenes Erdöl-Förderprojekt im Amazonas Mündungsbecken umsetzen. Trotz heftiger Proteste von Umweltschützern erhielt der halbstaatliche Erdölkonzern Petrobras – auf Druck Lulas – die Lizenz.

Weil sich die Indigenen auf der COP30 nicht repräsentiert fühlen, planen sie einen Gegengipfel. In Belém werden während der Konferenz Tausende Ureinwohner erwartet, die dort einen „Gipfel der Völker“ veranstalten wollen. Sie hoffen, dort internationale Unterstützung mobilisieren zu können. Inzwischen hat sich aus ganz Lateinamerika eine Karawane zu Land, zu Wasser und in der Luft in Bewegung gesetzt, um sich vor Ort Gehör zu verschaffen. Davon, dass sich die Kameras der Welt auf diese spektakulären Demonstrationen richten werden, ist auszugehen. Auch die Indigenen wissen um die Macht der Bilder.

Forderung nach Klimafinanzierung

Am Ufer des Flusses Guamá hat unter anderem die „Golfinho Mar II“ angelegt. Deutlich sichtbar ist ein Transparent mit einer klaren Botschaft in roter und schwarzer Schrift: „Wir fordern Finanzmittel“. Fast zweihundert Indigene, Mitglieder anderer traditioneller Völker und sozial-ökologische Aktivisten aus 21 Ländern, darunter Mexiko, Kolumbien, Brasilien und Chile, haben damit eine symbolische Reise des Widerstands beendet, die von „Allianz der Völker für das Klima“ organisiert wurde.

„Wir sind bereit, diese COP zur COP des Volkes zu machen. Es ist ein einzigartiger Moment, um die Gewalt, unter der wir leiden, anzuprangern und zu fordern, was wir wollen: Klimafinanzierung für diejenigen, die das Territorium verteidigen“, sagt die indigene Aktivistin Val Munduruku. Ähnlich formuliert es Brasiliens Präsident Lula da Silva. „Die Welt kann nicht nur von Brasilien verlangen, den Wald zu erhalten, sondern muss auch einen Beitrag leisten“, forderte er wenige Tage vor dem Klimagipfel. Gemeint ist damit vor allem „der Westen“, also die reichen Industrieländer.

Chinas Einfluss auf den Amazonas

Allerdings ist vor allem China mit seinem Hunger auf Soja und Brasilien selbst, das unter Lula das Geschäftsmodell des Sojaexports ins Reich der Mitte perfektioniert hat, für die Abholzung des Amazonas verantwortlich. Dass sich Lula an seinen wichtigsten Kunden für den Soja-Anbau wendet, ist bislang nicht bekannt. Peking genießt in Brasilien einen besonderen Schutz.

Zurück nach Belém. Dort wollen ab nächster Woche Tausende Indigene aus der Stadt am Amazonas ein großes Klimalager abhalten. Der katholische Priester Edilberto Francisco Moura steht dahinter: „Meine Hoffnung ist, dass die sozialen Bewegungen, die in Belém insbesondere beim Gipfel der Völker in großer Zahl anwesend sein werden, nach der COP den Druck der sozialen Bewegungen nutzen werden, um die Regierungen dazu zu zwingen, die Zerstörung der Umwelt zu beenden. Das ist meine Erwartung. Denn ich selbst habe keinerlei Erwartungen an die COP selbst.“ Stephan Neumann vom katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat ist eigens nach Belém gereist, um sich vor Ort ein Bild über die Lage der indigenen Völker zu machen.

Hoffnung auf internationale Unterstützung

Deren Klimakampf unterstützt Adveniat. Seine Bilanz im Vorfeld des Klimagipfels fällt nach Gesprächen mit den Indigenen ernüchternd aus: „Sie sagen uns: Unsere Stimme wird nicht gehört, wir sind ausgeschlossen von der Weltklimakonferenz COP30. Wir haben keinen Anteil. Genau den fordern sie ein, weil sie es sind, denen der Amazonas gehört. Das sagen sie sehr selbstbewusst, weil sie es sind, die den Amazonas, die Lunge der Erde dieses Planeten, schützen.“

Das Konfliktpotenzial ist enorm. Der voranschreitende Soja-Anbau, die Erdöl-Förderung im Amazonas, die illegalen Banden, die den Drogen- und den Goldbergbau im Amazonas rücksichtslos vorantreiben. Bei den Indigenen löst all das bittere Enttäuschung über die Gastgeber der COP30 aus.

Pagé Nato Tupinambá klagt an: „Der Amazonas leidet unter den Folgen. Wir leiden unter den Klimakrisen. Letztes Jahr ist dieser Fluss hier praktisch ausgetrocknet. Und es wurde kein öffentlicher Notstand ausgerufen, wir hatten kein Wasser mehr. In vielen Schulen fiel der Unterricht aus, weil sie auf den Fluss angewiesen sind, um mit Booten zu den Schulen zu gelangen.“

Mangelnde Repräsentation bei COP30

Der spirituelle Führer der Tupinambá geht sogar noch einen Schritt weiter und wirft der Regierung in Brasilia bewusstes Desinteresse an der Situation vor Ort vor: „Die brasilianische Regierung versucht uns zu dezimieren, versucht, uns zu töten, wir werden Tag und Nacht misshandelt. Wir haben Tag und Nacht Auseinandersetzungen. Das ist sehr traurig.“ Besonders bitter ist aus seiner Sicht: „Wir haben eine COP in unserem Haus, wo sie uns rausschmeißen und dann für uns diskutieren, als hätten wir kein Recht, für uns selbst zu kämpfen und zu sprechen.“

Umgerechnet 740 Millionen Euro investiert Brasilien in die Klimakonferenz. Damit soll Ministern, Diplomaten und Aktivisten aus aller Herren Länder ein Forum geboten werden, um Lösungen für die Klimakrise zu diskutieren. Ihre eigene, die indigene Bevölkerung, kommt dabei nicht zu Wort. Ihre Hoffnung ruht auf dem indigenen Gegengipfel der Völker.