Kommentar zum ErdbebenWarum Erdogan sich nun vielen Fragen stellen muss

Ein Kommentar von
Lesezeit 2 Minuten
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

Die Türkei greift nach dem Beben auf eine noch viel größere Katastrophe zu. Ein Kommentar über die Hintergründe der Erdbeben-Katastrophe

Fast das gesamte Gebiet der Türkei ist erdbebengefährdet, doch tut das Land in normalen Zeiten immer so, als gebe es die Gefahr nicht. Nach jedem schweren Beben versprechen Politiker der Bevölkerung, alles werde besser, doch dann verschließen sie die Augen vor den Warnungen von Experten und vor dem lebensgefährlichen Pfusch am Bau.

Auch nach dem verheerenden Unglück diese Woche, das Tausende Menschen das Leben kostete, dürfte das vermutlich so weitergehen. Das Land treibt darum auf eine noch viel größere Katastrophe zu. Die Metropole Istanbul mit 16 Millionen Menschen wartet geradezu auf ein schweres Beben. Auch hier warnen die Fachleute seit Jahren, doch getan wird nichts. Das ist die türkische Tragödie.

Unabänderlich ist das beileibe nicht. Denn weltweit gibt es durchaus Länder, die das Risiko von Erdbebenkatastrophen auf ihren Territorien wirksam reduziert haben. Chile beispielsweise, dessen Wirtschaftskraft weniger als halb so groß ist wie die der Türkei, gehört dazu. Dort achten die Behörden zum Beispiel darauf, dass die Vorschriften für erdbebensicheres Bauen wirklich eingehalten werden. Diese Wachsamkeit – und nicht etwa die Stärke der Erdbeben – ist der entscheidende Unterschied zur Türkei.

Als das südamerikanische Land im Jahr 2010 von einem Erdstoß der Stärke 8,8 und einem anschließenden Tsunami mit 29 Meter hohen Wellen heimgesucht wurde, starben 521 Menschen. Das Beben in der Türkei diese Woche war schwächer als das damalige Beben in Chile, tötete aber mindestens zehn Mal so viele Menschen. In einigen betroffenen Städten brachen schlecht gebaute Wohnblocks zusammen, während Gebäude direkt daneben, bei denen offenbar besseres Material und besseres Know-How eingesetzt wurden, stehen blieben.

Wie so etwas möglich sein kann, gehört zu den Fragen, die jetzt auf Präsident Recep Tayyip Erdogan zukommen. Schließlich regiert er die Türkei seit mittlerweile 20 Jahren. Die Opposition wirft dem Präsidenten und seiner Regierung nun vor, Pfusch am Bau zu tolerieren und regierungsnahe Bauunternehmen mit lukrativen Aufträgen zu versorgen.

Erdbeben lassen sich nicht verhindern, aber ihre Auswirkungen lassen sich so weit begrenzen, dass sie viel von ihrem Schrecken verlieren. In der Türkei fehlt bisher der politische Wille, Sicherheitsvorkehrungen gegen die Interessen von Bauunternehmern und korrupten Politikern durchzusetzen. Deshalb ist die nächste Katastrophe nur eine Frage der Zeit.

Rundschau abonnieren