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Krise in BerlinAnnegret Kramp-Karrenbauer übt Selbstkritik

Lesezeit 4 Minuten
AKK (1)

Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesvorsitzende der CDU

Annegret Kramp-Karrenbauers schonungslose Analyse inklusive Selbstkritik gefällt auch Skeptikern im CDU-Vorstand. Die angeschlagene Parteichefin habe sich bei der Klausur im Konrad-Adenauer-Haus dem schlechten Ergebnis bei der Europawahl und dem hilflosen Umgang mit wortgewaltigen Youtubern freimütig gestellt, berichten Teilnehmer. Und zwar selbstbewusst und zukunftsgerichtet. Mit Mut und Risikobereitschaft. Das sind ihre Charaktereigenschaften, die auch ihren Erfolg bei der Kampfkandidatur um den Parteivorsitz im Dezember begründeten. Eine interne Debatte um ihre Eignung als Vorsitzende und mögliche Kanzlerkandidatin konnte sie damit vorerst abwenden. Ein CDU-Mann sagt nach der Sitzung am Montag: „Ihre Probezeit wurde verlängert.“

Jetzt „mit der Arbeit richtig beginnen“

Als sie vor die Presse tritt, sieht man ihr an, dass sie „Rückenwind“ und „Rückendeckung“ von den Parteispitzen bekommen hat, wie sie erzählt. Entschlossener und abgebrühter als vor einer Woche drückt sie das Kreuz durch und kündigt an, jetzt „mit der Arbeit richtig zu beginnen“. Dabei war die Arbeit in den vergangenen Monaten für die Saarländerin schon die Hölle. Unzählige Auftritte im Europawahlkampf, Einbindung des konservativen Flügels, Versöhnung mit der CSU, Positionierung in der Migrationspolitik und irgendwie auch Abgrenzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, damit sie ihren eigenen Weg finden kann. Wären da nur nicht immer diese großen Brocken, die sie erst zur Seite räumen muss.

Anschauungsunterricht am Montag: Kramp-Karrenbauer mahnt zur Ruhe, Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit der Regierung. Und der stellvertretende Parteivorsitzende, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, gibt der großen Koalition erst einmal nur eine Garantie bis Herbst. Das ist nicht das, was im Konrad-Adenauer-Haus unter Stabilisierung der krisenhaften Lage verstanden wird.

Die CDU sollte sich jetzt nicht bei den in Umfragen weiter nach oben schnellenden Grünen anbiedern und versuchen, sie beim Klimaschutz zu überholen, wird während der Klausur gemahnt. Lieber authentisch bleiben und immer die Wirtschaft und den Mittelstand mitdenken. Nun soll bis Herbst eine klimafreundlichere Steuer- und Abgabenpolitik entwickelt werden. Das aktuelle System der Energiesteuern, -abgaben und -umlagen sei über die Jahre mit unterschiedlichen Zielsetzungen gewachsen, heute wirke es unsystematisch, sozial unausgewogen, wirtschaftlich belastend und mit Blick auf Klimazielsetzungen nicht zielführend genug. Das Problem: Es gibt keine schnellen Lösungen, mit denen die Vorsitzende jetzt Punkte machen könnte.

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Und dann sind noch Unionsfraktionsvorsitzende sauer, dass parallel zu ihrer Bundestagung in Weimar der Vorstand in Berlin tagte. Das sei unnötige Konkurrenz gewesen, wo doch Thüringens CDU-Chef Mike Mohring Unterstützung im Wahlkampf brauche. Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Fraktionschef Vincent Kokert stichelt: „Ich bin in Weimar – die CDU ist eine föderale Partei, auf der Fraktionsvorsitzendenkonferenz kriegt man einen sehr guten Blick auf die Vielfalt politischer Probleme in Deutschland, aber eben auch auf die Vielfalt möglicher Lösungen.“

Kramp-Karrenbauer sagt, sie sei mit „Mut und Veränderungsbereitschaft“ nach Berlin gekommen, habe das aber im Wahlkampf wegen „zu vieler Rücksichtsnahmen“ nicht konsequent genug umgesetzt. Rücksicht worauf oder auf wen sagt sie nicht. Nur, dass sie das nun ändern werde. Es klingt nach einer Warnung.

Grüne für Neuwahlen

Natürlich denken sie darüber nach: Was wäre, wenn..? Was wäre, wenn die große Koalition vor der Zeit, vor dem Termin der nächsten regulären Bundestagswahl im Herbst 2021 zerbricht? Die Grünen schweben seit mittlerweile einem Jahr auf Umfragewolke sieben. Zuletzt 27 Prozent im Bund und damit erstmals stärker als CDU und CSU mit 26 Prozent zusammen. Ihren einstigen Koalitionspartner im Bund, die SPD, haben sie längst abgehängt. Die Frage, wer Koch und wer Kellner von beiden wäre, müsste inzwischen neu gestellt werden.

Lehnten die einstigen Ökopaxe in ihren frühen Jahren jede Form von Regierungsbeteiligungen als Anbiederung an das System ab, so sind sie nun in der Rolle, Königsmacher oder Königinmacher einer nächsten Bundesregierung zu werden. Die Grünen sind gerade dabei, sich zu etwas zu entwickeln, was sie dem eigenen Verständnis nach nicht sein wollen: eine Volkspartei. Bündnis 90/Die Grünen verstehen sich als das, was sie dem Namen nach sind: eine Bündnispartei – offen für möglichst diverse und breite Bündnisse.

Wächst da eine neue Volkspartei, die bei Bundestagswahlen auch mit einer eigenen Kanzlerkandidatin oder einem Kanzlerkandidat antritt? Das wäre ein Novum. Eine Doppelspitze fürs Kanzleramt – das dürfte selbst in grünen Träumen beim Realitätstest durchfallen. Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock wiegelt solche Fragen ab: „Wir sind eine Partei, die für ihre Inhalte gewählt wird. Wir werden wie bei jeder Wahl mit einer Doppelspitze antreten.“

Auf dem Weg zu möglichen Neuwahlen, bei denen den Grünen eine Schlüsselrolle zur Bildung einer neuen Regierung zufallen könnte, stehen hohe Hürden. Die Möglichkeit, dass die Grünen gar eine Minderheitsregierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stützen könnten, stammt für Baerbock aus dem Bereich der politischen Fabel. Die Grünen seien „nicht das Reserverad, das einfach so einspringt“. Dann plädiert die Grünen-Chefin doch lieber für Neuwahlen: „Die Regierung wurde gewählt, um dieses Land zu regieren. Sie müssen sich jetzt selbst fragen, ob sie die Kraft dafür haben, die großen Herausforderungen (...) anzugehen. (...) Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann wäre aus meiner Sicht der Zeitpunkt gekommen, wo die Menschen neu wählen sollten.“ (hom)