Fast zwei Wochen war er unter Verschluss: Der Bericht des Verfassungsschutzes, der die gesamte AfD als rechtsextrem einstuft. Nun wurde er geleakt.
Nach LeakWas steht denn nun im Gutachten über die AfD?

Ein Redner wirft einen Schatten auf die Bühnenrückwand mit AfD-Schriftzug auf einer Veranstaltung.
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Am 2. Mai, einem Freitag, geht ein politisches Beben durch die Republik. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) informiert die Öffentlichkeit über eine fundamentale Neueinschätzung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Für den Inlandsnachrichtendienst ist die AfD „gesichert rechtsextremistisch“. Kein „Verdachtsfall“ mehr, wie bislang. Es ist die letzte Amtshandlung von Faeser. Wenige Tage später werden der neue Kanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) antreten.
Brisant ist auch, dass das Gutachten unter Verschluss bleibt. Der Verfassungsschutz verteidigt die Entscheidung mit dem Schutz seiner Quellen und Arbeitsweisen. Seit Dienstagabend ist das Dokument aber nicht mehr geheim: Das Magazin „Cicero“ hat es veröffentlicht, ebenso das rechte Portal „Nius“.
Fülle an verfassungsfeindlichen Aussagen
Wer sich durch die 1108 Seiten gräbt, jede als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ gestempelt, findet keine heiklen Spionagedetails, dafür aber eine Fülle an aggressiven, rassistischen, verfassungsfeindlichen und verschwörungstheoretischen Aussagen. Der Verfassungsschutz hat belastbares Material von 353 AfD-Funktionären aus allen Ebenen zusammengetragen und ausgewertet. Als Belege dienen Äußerungen aus Reden, Postings in sozialen Netzwerken oder Interviews. Alles öffentlich einsehbar, teilweise längst bekannt.
Die Sammlung beginnt im Februar 2021 und endet vor wenigen Wochen, am 25. April 2025. Sie zeichnet das Bild einer Organisation, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter nach rechtsaußen bewegt hat. In der die extremen Akteure des 2020 formal aufgelösten „Flügels“ den Diskurs und die politische Ausrichtung der Partei bis heute prägen. Und in der auch keine Entfremdung von der kürzlich abgewickelten Parteijugend Junge Alternative, kurz JA, stattgefunden hat.
Fazit der Behörde: Seit der Einstufung der AfD als Verdachtsfall vor vier Jahren hätten sich die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen „zur Gewissheit verdichtet“. Es müsse nun eine „extremistische Prägung der Gesamtpartei“ festgestellt werden.
Warnung vor einer „kulturellen Kernschmelze“ in Europa
Als einen der zentralen Belege für die rechtsextremistischen Bestrebungen führt das BfV den „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ an, der in der AfD inzwischen „Grundkonsens“ sei. Demnach können Staatsangehörige mit Migrationshintergrund für die AfD keine „echten“ Deutschen sein. Das sei mit Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar: der Menschenwürde.
Als Beispiel führen die Verfassungsschützer ein Video des Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré vom 23. Februar an. Darin behauptet er, dass „mit der fremden Kultur“ auch „Kriminalität und die Morde mit ins Land“ kämen. Und weiter: „Deutsche stechen keine kleinen Kinder ab, um es ganz klar zu sagen.“
Besonders drastisch bringt der Thüringer Landeschef Björn Höcke das vorherrschende ethnische Volksverständnis in der Partei zum Ausdruck. Im November 2022 warnte er bei einer Veranstaltung in Elsterwerda, Migranten aus Afrika und dem arabischen Raum würden zur „kulturellen Kernschmelze“ in Europa beitragen. Hans-Christoph Berndt, Fraktionsvorsitzender im brandenburgischen Landtag, sagte im August 2024, dass es maximal nur noch 40 Millionen Deutsche gebe. Dutzende Millionen andere Staatsbürger sind für ihn offenbar keine Deutschen.

Björn Höcke ist nur eines von vielen Beispielen in der AfD für die rassistischen Weltbilder der Parteimitglieder. (Archivbild)
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Bereits vor einigen Jahren schrieb der Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka auf X: „Wenn sich ein #Hund einem #Wolfsrudel anschließt, ist er dann ein #Wolf oder bleibt er ein Hund?“ Der Verfassungsschutz betont, dass die Tiermetapher die Betroffenen besonders entmenschliche und ausgrenze.
Das BfV hat auch zahlreiche Äußerungen von AfD-Funktionären protokolliert, in denen Migranten „pauschal eine Gewaltaffinität“ unterstellt wird. So schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Stephan Brandner, im vergangenen Juli auf Telegram: „Gewaltexplosion durch Afrikaner? Da helfen Grenzkontrollen.“ Wenige Monate später stellte der hessische Bundestagsabgeordnete Jan Nolte auf X Migranten als „tendenziell viel gewaltaffiner“ dar als „den autochthonen Deutschen“.
Besonderheiten im AfD-Sprech
Vor allem das Wort „Messer“ benutzt die Partei, um in abfälliger Weise über Ausländer zu sprechen, hält die Behörde fest. So wird die AfD-Vorsitzende Alice Weidel mit den Worten zitiert, „Messerkriminalität“ sei „in unserer Kultur völlig unbekannt“. Diese werde vielmehr aus „gewaltbereiten Kulturen“ in Afrika und im Nahen Osten nach Deutschland gebracht. Das sagte Weidel im Juli 2023 dem rechtsextremen Sender Compact TV.
Immer wieder werden Äußerungen zitiert, die Begriffe wie „Messermigration“, „Messer-Alis“ oder „Mord-Import“ enthalten. Dies seien keine spontanen Entgleisungen, sondern angesichts der Häufigkeit bewusst verwendete Begrifflichkeiten. Zwar sei die Herstellung des Zusammenhangs zwischen Migration und Messerkriminalität per se nicht verfassungsfeindlich, heißt es im Gutachten. Wenn jedoch Migranten systematisch als Straftäter bezeichnet werden, sei das ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
Rassismus ist weit verbreitet
Das Gutachten zeigt außerdem, wie verbreitet rassistische Äußerungen in der AfD sind. So schreibt der Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah in seinem Buch „Politik von rechts“ von 2023: „Da viele Eigenschaften, Intelligenz eingeschlossen, überwiegend vererbt werden, ist der Plan, durch Masseneinwanderung die nicht mehr geborenen autochthonen Fachkräfte zu ersetzen, zum Scheitern verurteilt.“ Der Europapolitiker Nicolaus Fest sprach im September 2022 von „zivilisierten Weißen“ und „schwerverbrecherischen Farbigen“. Inzwischen wurde er aus der AfD ausgeschlossen, wenn auch aus anderen Gründen.
Auf der – inzwischen abgeschalteten – Website des JA-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen wurden Sticker angeboten, auf denen Muslime als „invasive Art“ verunglimpft wurden. Die Aufkleber zeigen einen Waschbären mit Turban. Muslime würden so als „hochgefährliche Eindringlinge“ dargestellt, schreibt der Verfassungsschutz, die zum Schutz der heimischen Bevölkerung außer Landes gebracht werden müssten.
Gleichzeitig schrecken AfD-Politiker nicht davor zurück, die Regierung mit dem Naziregime oder der DDR zu vergleichen. Den Umgang mit Ungeimpften während der Corona-Pandemie habe die Partei mit der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten gleichgesetzt. In einer Rede im Juni 2021 behauptete der Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse: „Gegen das stetige Upgrade unserer Gesellschaft hin zur nächsten Diktatur, zur dann dritten sozialistischen Diktatur auf deutschem Boden, müssen wir hier – und wir tun es – Widerstand leisten.“
Als der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Anfang des Jahres juristisch gegen eine Beleidigung vorging, kommentierte Parteichefin Weidel: „Das kennt man aus der DDR, da ist man gleich nach Hohenschönhausen geschafft worden.“
Aus Sicht des BfV ist auch die Erzählung vom „Großen Austausch“ zu einem „zentralen“ Bestandteil der AfD-Politik geworden. Es handelt sich dabei um einen rechtsextremen Verschwörungsmythos, wonach die Regierenden das Volk gezielt durch Migranten ersetzen. Mehrmals haben Gerichte dieses Narrativ „als tatsächlichen Anhaltspunkt für eine gegen die demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung“ eingestuft.
„Genozid am deutschen Volk durch die Einwanderungspolitik der Grünen“
Im November 2021 sprach die Abgeordnete Christina Baum auf Facebook von einem „Genozid am deutschen Volk durch die Einwanderungspolitik der Grünen“. Der Bevölkerungsaustausch „ist Realität, und er wird gezielt gefördert durch Vertreter der Asylindustrie“, schrieb das Ex-Bundestagsmitglied Eugen Schmidt auf Telegram. In einer Wahlkampfrede 2024 behauptete Björn Höcke: „Unser Volk ist mittlerweile in gefährlichem Maße multikulturalisiert und überfremdet und droht, zur Minderheit zu werden.“
Aber es sind nicht nur Social-Media-Einträge, die zu der Hochstufung geführt haben. Für das BfV sind es auch die Verbindungen zu rechtsextremen Akteuren, vor allem aus der Neuen Rechten. Besonders mit dem Compact-Magazin wird kooperiert, auch finanziell, die AfD schaltet dort regelmäßig Werbeanzeigen. Daneben besteht ein enger Kontakt zum rechtsextremen Netzwerk „Ein Prozent“, dem sogenannten Institut für Staatspolitik, das nun „Menschenpark“ heißt, sowie zur „Identitären Bewegung“.
AfD wehrt sich juristisch
Der Verfassungsschutz kommt auch zu dem Schluss, dass sich die Anhaltspunkte für ein Bestreben gegen das Demokratieprinzip verdichtet haben. Nicht nur versuche die AfD, das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Prozesse „zu erschüttern“. Vielmehr inszeniere sie sich als Beschützerin der Demokratie, indem sie die Bundesrepublik als nicht souveränen Staat darstellt, der von fremden Mächten und Interessen gesteuert werde. Die anderen Parteien bezeichne sie als „Demokratiezerstörer“, deren Politik „repressiv“ sei, gegen die die deutsche Bevölkerung Widerstand leisten müsse.
Die AfD wehrt sich juristisch gegen die Hochstufung. Bis zu einer Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichts Köln führt der Verfassungsschutz die AfD erst einmal weiter nur als Verdachtsfall. Es steht ein jahrelanger Rechtsstreit bevor.