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Interview

Nathanael Liminski
„Grenzkontrollen nicht die Lösung für alle Migrationsfragen“

Lesezeit 10 Minuten

Nathanael Liminski (CDU) Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen, beim Interview mit der Kölnischen Rundschau. 

Nathanael Liminski (CDU), Chef der Staatskanzlei in NRW, im Interview mit der Rundschau zu Grenzkontrollen, Infrastruktur und neuer Bundesregierung.

Herr Liminski, seit Dienstagabend ist Friedrich Merz Bundeskanzler. Aber es hat erst im zweiten Anlauf geklappt. Müssen wir jetzt immer zittern, wenn es für Schwarz-Rot in Berlin auf entscheidende Abstimmungen zugeht?

In der Tat war das für deutsche Verhältnisse ein durchwachsener Tag. Im europäischen Ausland und auch in deutschen Bundesländern sind mehrere Wahlgänge aber durchaus üblich. Wichtig ist: Die Mehrheit im zweiten Wahlgang war klar. Wenn die Regierung nun bei Prioritäten und Stil der Zusammenarbeit das liefert, was sie angekündigt hat, werden diese ersten Stunden schnell in den Hintergrund treten.

Anders als in den letzten dreieinhalb Jahren stellt Ihre Partei den Kanzler in Berlin, und der kommt aus NRW. Ändert das etwas an der Zusammenarbeit?

Als NRW-Landesregierung sind wir in Berlin dafür bekannt, Brückenbauer zu sein und Kompromisse zu vermitteln. Das war zu Ampel-Zeiten so, das gilt auch jetzt. Dass jetzt an der Spitze der Bundesregierung, der Regierungspartei CDU und der Unionsfraktion Persönlichkeiten aus unserem Land stehen, erleichtert unsere Arbeit: Ihnen müssen wir die Gegebenheiten in NRW nicht erst erklären.

Und wir haben viel dafür getan, dass für unser Land wichtige Themen wie bezahlbare Energie, bessere Innere Sicherheit und weniger Bürokratie für die Wirtschaft im Koalitionsvertrag richtig angepackt werden. Jetzt muss die Koalition in Berlin ins Handeln, müssen wir als Bund und Länder schnell zu konkreten Ergebnissen kommen.

Jetzt steht durch das Investitionspaket viel Geld zur Verfügung. Was tun Sie, damit NRW einen angemessenen Anteil bekommt?

Erstmal: Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung hier groß denkt, sowohl bei der Verteidigung als auch bei der Infrastruktur. Damit die damit verbundenen Schulden nicht nur die nächste Generation belasten, müssen wir die Ärmel hochkrempeln und Wachstum schaffen.

Dafür muss weiter gelten: Kein kleines Karo, auch nicht zwischen Bund und Ländern. Das Geld muss jetzt schnell auf die Straße gebracht werden. Im Bund müssen rasch pragmatische Ausführungsgesetze her. In NRW sind wir bereits seit Wochen mit den kommunalen Spitzenverbänden im Gespräch, damit wir, wenn die Gesetze in Berlin beschlossen sind, hier in NRW sofort loslegen können.

Wie sollte das Geld verteilt werden? Nach Kriterien wie Bevölkerungszahl und Finanzkraft, oder sollten da auch Herausforderungen wie der Strukturwandel in NRW berücksichtigt werden?

Man kann dieses Geld nach unterschiedlichen Verteilschlüsseln zuordnen. Die Finanzminister der Länder haben bei ihrem Treffen am Freitag einstimmig für den bewährten Königsteiner Schlüssel als Maßstab ausgesprochen. Das wäre aus meiner Sicht ein tragfähiger Kompromiss. NRW bekäme so mehr als ein Fünftel der Mittel, die den Ländern zur Verfügung stehen.

Was den Anteil des Bundes am Sondervermögen angeht: Ertüchtigt werden müssen Straßen und Bahnstrecken, die wirklich erneuerungsbedürftig sind. Eine neue Autobahn im Osten oder im Süden muss man nicht erneuern. Das muss nach Bedarf gehen, und da fällt einem im Norden und im Westen einiges mehr ein.

Sehen Sie Projekte in der Köln-Bonner Region, für die es jetzt neue Chancen gibt?

Das Geld alleine ist keine Lösung. Wir brauchen schnellere Verfahren bei Genehmigung und Planung. Hierzu wollen wir als Länder mit dem Bund direkt durchstarten und so den Ausbau der Kitas und die Erneuerung der Schulen vorantreiben, auch in Köln. Außerdem hilft es, die großen Infrastruktur-Projekte hier in der Region - ob nun Erhalt, Ausbau oder Neubau - anzupacken.

Ich denke etwa an die Rheinquerung mit der A553 bei Wesseling, den Autobahnring mit der A1, die Verbindung über die A59 nach Bonn und die Brücken. Hinzu kommt: Auch im Hinblick auf unsere Verteidigungsfähigkeit müssen die Ost-West-Achsen ertüchtigt werden. Davon wird ganz NRW massiv profitieren.

Die neue Bundesregierung hat es mit der AfD als größter Oppositionskraft zu tun. Wie stabil ist die Brandmauer bei der CDU?

Die CDU ist in ihrer Ablehnung gegenüber der AfD glasklar. Bei der aktuellen Debatte um ein mögliches Verbotsfahren darf es nicht um politische Opportunität gehen, sondern um rechtliche Kriterien. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, haben Bund und Länder nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht, ein Verbotsverfahren einzuleiten.

Im Übrigen müssen wir in Bund und Land durch gutes Regierungshandeln zeigen: Wir brauchen keine Untergangsrethorik von Populisten, wir brauchen nicht die Hatz auf vermeintlich Schuldige durch die Extremisten, um in diesem Land wieder Zuversicht zu fassen.

Stichwort gutes Regierungshandeln: In NRW gibt es derzeit mehr parlamentarische Untersuchungsausschüsse denn je, die Opposition fühlt sich zudem da nicht fair behandelt und klagt für dem Verfassungsgericht. Was sagen Sie dazu?

Die Einberufung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist ein Minderheitenrecht. Die SPD-Opposition macht davon reichlich Gebrauch und beklagt mit den vielen Ausschüssen jetzt einen Zustand, den sie selbst herbeigeführt hat. Man kann Oppositionsarbeit auch außerhalb von Untersuchungsausschüssen machen. Als Regierung können wir nicht alle Probleme auf einmal lösen, aber wir setzen die richtigen Schwerpunkte.

Naja, aber die Opposition hat schon Ansatzpunkte für solche Ausschüsse. Das Kommunikationschaos um den Anschlag von Solingen, die Umstände der Besetzung einer hohen Richterstelle, den Zustand der Brücken im Land.

Wenn ich sage, dass nicht jeder Untersuchungsausschuss sinnvoll ist, heißt das nicht im Umkehrschluss, alles sei gut. Die Frage ist doch: Gibt es wirklich ein Erkenntnisinteresse, für das ein unabhängiger Untersuchungsausschuss das geeignete Instrument ist? Zu dem Schluss kann man im Fall Solingen kommen. Oder geht es nur um Skandalisierung? Es gäbe etwa auch andere Wege, den Zustand der Infrastruktur in NRW zu untersuchen.

Aber wie konnte die Infrastruktur überhaupt in so einen Zustand kommen? Private Immobilienbesitzer sind es gewohnt, immer alles zeitnah in Ordnung bringen zu lassen. Und das Land?

Die Infrastruktur wurde in Deutschland Jahrzehnte lang auf Verschleiß gefahren. Sie war sozusagen die Sparbüchse der Nation. Hinzu kann, dass das Verkehrsaufkommen sich viel stärker entwickelt hat als beim Bau etwa von Brücken prognostiziert.

Umso besser ist, dass wir als Bund und Länder jetzt mehr Geld in die Hand nehmen. Als Land tun wir alles, um Planung, Genehmigung und Bau zu beschleunigen. Etwa durch die Expressbauweise, die unser Verkehrsminister Oliver Krischer jetzt angekündigt hat.

Seit 2017 führt die CDU die NRW-Landesregierungen. Also haben auch Sie die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren?

Ich nehme für uns in Anspruch, sofort gegengesteuert zu haben. CDU-geführte Landesregierungen haben einen extremen Hochlauf der Investitionen in die Infrastruktur bewerkstelligt, maßgeblich unter dem damaligen Verkehrsminister Hendrik Wüst. Er hat die Wende geschafft, dass mehr geplant und mehr gebaut wurde als uns aus Bundesmitteln zugestanden hätte.

Der größte Teil der Investitionen ist in Sanierung und Ausbau geflossen. Dafür wurden Hunderte neue Planer eingestellt. Davon profitieren wir auch heute. Künftig müssen wir dafür sorgen, dass die frischen Mittel aus dem Infrastrukturpaket zu stetigen Investitionen über die nächsten Jahre führen. Das tun wir auch dadurch, dass wir dem Erhalt weiterhin Vorrang vor dem Neubau geben.

Stark unter Druck steht Ihre Regierung auch beim Thema Schule. Man hört immer wieder von Lehrereinstellungen – und dann kommen irritierende Statistiken zum Unterrichtsausfall. Und Klagen über ein verwirrendes System mit unglaublich vielen Schulformen. Dürfen Eltern hoffen, dass sich das etwas verbessert?

Ich bin Vater von vier Kindern zwischen vier und 15 Jahren, ich kenne die Realität von der Kita bis zur weiterführenden Schule. Dabei habe ich gelernt: Es verunsichert Schulgemeinschaften massiv, wenn sie nicht wissen, ob es sie nächstes Jahr noch so geben wird. Deshalb haben wir Schluss gemacht mit den ewigen Systemdebatten.

Unsere Schulministerin Dorothee Feller sendet ein klares Signal: volle Konzentration auf den Unterrichtsbetrieb. Dafür braucht es Verlässlichkeit: Wir haben eine extrem schwierige Haushaltslage und sparen überall. Nicht aber bei Kindern, nicht in der Schule. Das ist ein klares Bekenntnis.

Frage an den Medienminister: Wenn man den Koalitionsvertrag liest, fragt man sich: Fehlt da eine Seite, oder hatten Sie Probleme, mit der SPD über den Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder Medienförderung zu diskutieren?

Ich war Mitglied der entsprechenden Arbeitsgruppe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird gewürdigt, seine Regulierung aber ist Ländersache, und die Länder haben dazu auch erst kürzlich mit dem Reformstaatsvertrag gehandelt.

Um die Presse in der Übergangsphase vom gedruckten zum digitalen Medium zu unterstützen und so eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen, hatte ich mit den Kollegen parteiübergreifend eine Mehrwertsteuersenkung für Presseprodukte empfohlen. Leider ist man dem bei der Finalisierung des Koalitionsvertrages nicht gefolgt. Ich halte das für falsch.

Wäre der vielzitierte Steuersatz Null für Presseerzeugnisse finanziell drin gewesen?

Man hätte auch zu einer weniger starken Senkung der Mehrwertsteuer kommen können. Man hat am Ende aber ganz darauf verzichtet, und das halte ich für eine falsche Prioritätensetzung. Wenn alle auch unter der Woche an das glauben, was sie in Sonntagsreden über die Bedeutung der Medien für unsere freiheitliche Demokratie sagen, dann halte ich die Mehrwertsteuersenkung für die notwendige Konsequenz daraus und werde nicht aufhören, dafür zu werben.

Wir hätten das als Land auch mitgetragen, die Länder wären ja zur Hälfte daran beteiligt. Wenn man in andere Teile der Welt schaut, etwa die USA oder auch manche Gegenden im Osten unseres Landes, dann sieht man, wie wichtig die Versorgung mit journalistischen Angeboten über Regionalzeitungen in der Fläche für die Demokratie sind. Wenn die Verlage für den Übergang keine Unterstützung erfahren, müssen sie beim Vertrieb sparen.

Aber noch ist das letzte Wort ja nicht gesprochen – ich setze auf die im Koalitionsvertrag angekündigten Gespräche der Bundesregierung mit der Branche. Der Rest des Medienkapitels im Koalitionsvertrag kann sich sehen lassen. Etwa die klaren Sätze zum Privatrundfunk, denken Sie an RTL hier in Köln: Wir wollen faire Bedingungen für die Refinanzierung sichern, also keine weitere Einschränkung der Werbung. Und wir wollen in Wettbewerbsrecht Zusammenarbeit erleichtern, also Medienvielfalt auch wirtschaftlich ermöglichen.

Macht sich der Europaminister Liminski eigentlich Sorgen um die Zukunft der EU?

Europa erlebt gerade einen Stresstest. Da setze ich auf die neue Bundesregierung und besonders auf unseren Bundeskanzler, der seine politische Laufbahn ja im Europaparlament gestartet hat. Er weiß, dass alle großen Themen nur europäisch wirklich gelöst werden können. Das gilt auch für schwierige Themen wie die irreguläre Migration. Für eine Politik dazu aus einem Guss sind die Bedingungen so günstig wie nie: Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Innen- und Wirtschaftsministerium sind unionsgeführt. Die aktuelle Debatte um Grenzkontrollen zeigt doch: Wir brauchen beim Thema Migration eine systematische Lösung, und das geht nur im europäischen Rahmen.

Deshalb ist es gut, dass Friedrich Merz gleich am ersten Tag im Amt nach Paris und Warschau geflogen ist, um genau über diese Themen zu beraten: Sicherheit, Wirtschaftswachstum, Migration. Das war ja keine Folklore, da ging es sofort ins Inhaltliche, wie man sah auch streitig. Europa geht nur mit der ehrlichen Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Offenkundig haben wir in Europa selbst nach dem Frontalangriff Russlands vor drei Jahren nicht die Kraft entwickelt, so zusammenzuarbeiten, wie es nötig ist. Erst angesichts des Nackenschlags des ehemaligen Verbündeten USA wird nun der Wille erkennbar, der Größe der Bedrohung entsprechend zu antworten. Robert Schuman hat das schon vor 75 Jahren in seiner berühmten Erklärung gesagt. Wir sollten es jetzt endlich zur Realität machen.

Was bedeuten die die verstärkten Grenzkontrollen mit Zurückweisung von Asylsuchenden, die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt angekündigt hat, für unser Bundesland?

Als Landesregierung liegen uns möglichst durchlässige Grenzen und damit ein möglichst unkomplizierter Grenzübertritt für unsere Dreiländereck-Pendler am Herzen. NRW bildet mit Belgien und den Niederlanden einen besonders eng verzahnten Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensraum. Ich habe gerade am Dienstag mit der für die Grenzregionen zuständigen Ministerin gesprochen, und wir sind uns einig: Wir wollen smarte Grenzkontrollen. Keine stationären Kontrollen an der Grenze, sondern Maßnahmen in Grenznähe, um zu gewährleisten, dass möglichst keine Staus entstehen und die Mobilität für Fracht, Gewerbe sowie Privat-Fahrer so wenig wie möglich eingeschränkt wird.

Bisher ist uns das gelungen. Die Zahl der Aufgriffe nach unerlaubten Einreisen ist bei uns zudem signifikant niedriger als an anderen deutschen Grenzabschnitten. Das zeigt auch, dass es für NRW richtig ist, wie schon während der Pandemie pragmatisch zu bleiben: Grenzkontrollen sind sicherlich nicht die Lösung für alle Migrationsfragen, sind aber umgekehrt auch nicht als Abgesang auf Europa ideologisch zu verteufeln. In NRW haben wir gezeigt, dass wir gemeinsam mit unseren Nachbarn einvernehmliche Lösungen finden. Tag für Tag.