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Interview

Jochen Ott (SPD)
„Schwarz-Grün mag geräuschlos sein, aber leider auch erfolglos“

Lesezeit 11 Minuten

Jochen Ott im Interview mit der Rundschau.

Jochen Ott aus Köln ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. Im Interview spricht er über die aktuelle politische Situation.

Die neue Bundesregierung ist im Amt – jetzt will Jochen Ott auch im NRW-Landtag Taten sehen. Der Chef der SPD-Fraktion sagt im Redaktionsgespräch, auf welchen Feldern er die regierenden Christdemokraten und Grünen treiben will.

Was bedeutet die neue Koalition auf Bundesebene für NRW?

Die Chancen liegen jetzt auf dem Tisch. Was daraus gemacht wird, wird man jetzt sehen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren alles auf Berlin geschoben. Berlin war immer schuld. Das wird jetzt jedenfalls dem schwarzen Teil der Regierung deutlich schwerer fallen. Jetzt ist die spannende Frage: Fängt Schwarz-Grün an, jetzt auch ihre eigenen Aufgaben zu erledigen? Die Regierungspräsidenten in NRW entscheiden im Moment mehr als der Ministerpräsident. Und die Altschulden-Lösung ist auch nur deshalb zustande kommen, weil Achim Post von der SPD sie auf den letzten Metern auch durchgesetzt hat. Markus Söder in Bayern hat eben mit allen Mitteln versucht, das zu verhindern.

Aber dass die Unionsparteien jetzt mitregieren, kann doch auch eine Chance für NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sein?

Das kommt darauf an, wie stark die CDU in NRW im Verhältnis zur CSU oder zur baden-württembergischen CDU ist. Zum Beispiel bei der Frage, wohin die Mittel aus dem Infrastrukturpaket fließen. Wir haben da eine klare Position. Das Geld darf nicht nach Himmelsrichtungen verteilt werden, sondern muss da landen, wo zum Beispiel Brücken und Autobahnen mehr kaputt sind als woanders. Das gilt natürlich auch für die großen Herausforderungen in der Wirtschaft, siehe Ford oder Thyssenkrupp. Da werden wir als SPD im Bund über Bärbel Bas als Ministerin selbstverständlich mitwirken. Aber das nimmt die Landesregierung nicht aus der Pflicht, endlich auch selbst ihren Job zu machen.

Dass Gelder in andere Bundesländer geflossen sind, liegt aber auch daran, dass sie mit dem Planen schneller sind?

Ja. Zudem steht ja der Verdacht im Raum, dass sich Hendrik Wüst als Verkehrsminister mehr um Landstraßen gekümmert hat als um die Brücken in NRW. Dazu gibt es ja auch einen eigenen Untersuchungsausschuss. In den Koalitionsverhandlungen bin ich mir mit dem Chef der NRW-Staatskanzlei, Nathanael Liminski von der CDU, außerdem einig gewesen, dass es gut wäre, wenn es dieses Mal keinen Verkehrsminister von der CSU gibt. So ist es ja auch gekommen. Das hatte zuletzt jedenfalls immer dazu geführt, dass sehr viel Geld nach Bayern geflossen ist und die Situation in NRW auf den Straßen und bei den Brücken so ist, wie sie ist.

Das liegt aber doch nicht allein an der Bundespolitik?

Nein, es gibt da auch eine innere Logik. Was uns in NRW in den vergangenen Jahren gefehlt hat, sind Prioritäten, auf die man sich regionen- und parteiübergreifend geeinigt und gemeinsam gegenüber dem Bund vertreten hat. Stattdessen waren sich oft schon die Rheinländer und Westfalen nicht grün und die Parteien haben auch nicht an einem Strang gezogen, sondern gegeneinander gearbeitet. Das ist auf Dauer für die Infrastruktur eines Bundeslandes falsch.

Die Zuständigkeit für Autobahnen ist von der Landesfirma StraßenNRW vor einiger Zeit auf die bundesweite Autobahn GmbH übergegangen.

Das stimmt. Gleichzeitig fragen wir uns: Was hat Hendrik Wüst davor eigentlich überhaupt noch veranlasst? Fakt ist: StraßenNRW hatte permanent zu wenig Personal, um notwendige Planungskapazitäten überhaupt aufzubauen. Die sind übrigens mal von einer schwarz-gelben Landesregierung abgebaut worden. Die SPD musste StrassenNRW nach 2010 vor der Insolvenz retten. Seitdem hängt NRW hinterher. Hinzu kommt: Wir haben über viele Jahre geglaubt, was einmal gebaut wurde, bleibt immer stehen. Dabei wurde die Instandhaltung von allen in den letzten 30 Jahren vernachlässigt.

ochen Ott (SPD, Abgeordneter Landtag NRW und Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion) beim Interview mit der Kölnischen Rundschau.

ochen Ott (SPD, Abgeordneter Landtag NRW und Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion) beim Interview mit der Kölnischen Rundschau.

Der Vorwurf trifft auch Ihre Partei, die SPD?

Ja, der Fehler ist von allen gemacht worden. Das Thema Verkehrs-Infrastruktur hat aber früher wirklich niemanden interessiert. Auch Journalisten nicht. Das änderte sich erst, als der damalige Verkehrsminister Mike Groschek sich auf die defekte Leverkusener Brücke gestellt und vom Pisa-Schock für die Infrastruktur gesprochen hat. Da hat er richtig Bambule gemacht, vorher war das über Jahre verpennt worden. Es ist gut, dass jetzt endlich Geld zur Verfügung steht. Es muss aber auch schnell ausgegeben werden. Die Leverkusener Brücke ist immer noch nicht fertig, während die Italiener eine Brücke innerhalb von zwei Jahren wiederaufgebaut haben.

Das ist bei uns aber allein wegen der Vorschriften kaum denkbar?

Genau. Es müsste halt klar sein, wenn eine Brücke am selben Platz wiederaufgebaut wird, kann es nicht sein, dass ein komplettes neues Verfahren mit allem Drum und Dran stattfinden muss. Das ist absurd. Deshalb ist es gut, dass jetzt in der Koalition verabredet ist, bei der Staatsmodernisierung auch dafür zu sorgen, dass Projekte schneller realisiert werden.

Sie sind Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, also Oppositionsführer. Trotzdem hört man in der Öffentlichkeit nicht viel von Ihrer Partei?

Bis zur Bundestagswahl konnten wir ja Themen setzen, wie wir wollten – alles wurde von der Ampel-Regierung überschattet, weil die sich permanent gestritten haben. Wenn dann Leute festgestellt haben, dass Schwarz-Grün in NRW sich nicht gestritten hat, war das schon ein Wert an sich. Das ändert sich jetzt.

Warum? Die Landesregierung wird Ihnen kaum den Gefallen tun, sich jetzt zu streiten?

Darum geht es ja nicht. Schwarz-Grün mag vielleicht geräuschlos sein, aber leider auch erfolglos. Wenn Sie sich allein die aktuellen Untersuchungsausschüsse im Landtag anschauen, werden Sie sehen: Da läuft vieles sehr unrund. Im Fall des Terroranschlags von Solingen scheint es zwischen der grünen Flüchtlingsministerin und Innenminister Reul große Abstimmungsprobleme gegeben zu haben. Es gab in NRW jedenfalls noch nie so viele Untersuchungsausschüsse in so kurzer Zeit – innerhalb von nicht einmal drei Jahren schon fünf! Mal sehen, ob es dabei bleibt.

Trotzdem wird über Kommunales und Bundespolitik mehr gesprochen. Haben Sie je bereut, sich ganz der Landespolitik zu widmen?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte eine lange Phase kommunaler Tätigkeiten. Aber es stimmt schon, dass die Landespolitik oft weniger im Bewusstsein ist. Das finde ich schade, weil im Land sehr viele Themen bestimmt werden, die für die Menschen, vor allem für die berufstätigen Familien von zentraler Bedeutung sind. Zum Beispiel wenn es um Kinder, Schule oder Sicherheit geht. Und da läuft es in NRW leider nicht gut. Darauf hinzuweisen und Verbesserungsvorschläge zu machen, ist unsere Aufgabe.

Außer Ihnen ist von der SPD aber niemand aus der Landespolitik der breiten Öffentlichkeit bekannt?

Aus der Landesregierung kennt man doch auch nur den Ministerpräsidenten und vielleicht noch Herbert Reul und Karl-Josef Laumann. Danach hört es schon auf. Aber das zählt natürlich nicht: Deshalb arbeiten wir als Team daran, die Köpfe der NRW-SPD sichtbar zu machen, um die CDU bei der nächsten Landtagswahl herauszufordern. Dazu intensivieren wir zum Beispiel auch unsere Arbeit in Social Media.

Das wird aber nicht reichen.

Nein, darum sind wir auch viel im Land unterwegs, machen insbesondere auch Kneipentalks vor Ort. Und wir werden uns auch wieder mehr in bundespolitische Diskurse einmischen. Es gibt in der Politik schließlich noch ein paar mehr Gesichter als die üblichen Gäste, die wir aus den Talkshows kennen.

Es ist ja auch manchmal schwierig, Menschen die Relevanz von Landesthemen nahezubringen?

Das Erleben ist oft lokal, die mediale Wahrnehmung dagegen eher bundespolitisch. Das ändert sich aber regelmäßig, wenn es auch in den Ländern wieder auf Wahlen zugeht. Dann schlagen auch die landespolitischen Themen unmittelbar auf. Kita-Gebühren zum Beispiel: Die spielen landesweit eine Rolle. Es kann doch nicht sein, dass man in Monheim oder Düsseldorf keine Kita-Gebühren zahlt, in anderen Kommunen sind sie dafür besonders hoch. Dafür hat das Land die Verantwortung. Das weiß Hendrik Wüst auch. Deshalb versucht er jetzt, das Thema stärker zu spielen, weil es ihm gefährlich werden kann. In der Bildungspolitik ist seine Bilanz nämlich besonders schwach. Die Wahrscheinlichkeit, dass die aktuelle NRW-Regierung bei diesem Thema bei der nächsten Landtagswahl Federn lässt, ist überproportional hoch.

Kriegen Landesregierungen das denn in der Bildungspolitik hin? Unterrichtsausfall ist doch schon seit Jahren ein Problem?

Wir brauchen dringend eine umfassende Reforminitiative für bessere Bildung in NRW – von der Kita bis zur Hochschule. Da wurde in den letzten Jahren zu viel herumgedoktert und Pflaster aufgeklebt. Wenn wir da nichts tun, wird das für unser Land eine Katastrophe. Dieser Landesregierung fehlt dazu aber der Mut. Sie verwaltet lieber den Mangel als neuen Aufbruch zu wagen. Wenn ich mir allein anschaue, dass wir immer noch 39 verschiedene Kombinationen von Schulformen in unseren Kommunen haben, also Hauptschule und Gymnasium oder Realschule und Gesamtschule, dann kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Man kann nicht innerhalb von NRW umziehen, weil man nicht sicher sein kann, dass es im anderen Ort dieselbe Schulform noch gibt. Wir brauchen ein Schulsystem, das die Schulministerin erklären kann, ohne abzulesen. In Hamburg läuft das zum Beispiel besser.

Inwiefern?

Die haben sich für ein Zweisäulenmodell entschieden, das dauerhaft ist und funktioniert.

Oder nehmen Sie das Thema Ganztag. Wir wissen, dass der Rechtsanspruch jetzt kommt. Es gibt in NRW aber bis heute kein Ganztagsgesetz. Das ist eine klare landespolitische Aufgabe. Oder nehmen Sie das Desaster, dass Kinder in die Schule kommen und nicht schulfähig sind. Ich bin stolz darauf, das Thema in der Arbeitsgruppe für den Koalitionsvertrag im Bund mitverhandelt zu haben. Wir haben durchgesetzt, dass alle Kinder mit vier Jahren getestet werden. Die CDU wollte nur Sprachtests. Wir haben gesagt: Einheitliche Sprach- und Entwicklungstests in ganz Deutschland, damit man auch weiß, wie man in dem Jahr vor der Schule unterstützen kann: Bei denen, die sich nicht die Schuhe zubinden können, die nicht die Jacke zumachen können, die nicht rückwärtslaufen können oder die kein Wort Deutsch sprechen. Diese Kinder müssen unterstützt werden, damit sie, wenn sie mit sechs in die Schule kommen, in der Lage sind zu sitzen und dem Unterricht zu folgen.

Wird das denn in NRW klappen?

Ich befürchte, dass das nicht der Fall sein wird. Schwarz-Grün in Düsseldorf hat entschieden, dass eine solche Untersuchung erst mit fünfeinhalb stattfindet. Das ist doch gaga. Was will man da denn noch machen? Man hat dann doch gar keine Zeit mehr, um die Kinder für die Schule vorzubereiten. Warum hat die Landesregierung das hier so entschieden? Ganz einfach: Weil Schulministerin Dorothee Feller für die Kinder erst dann zuständig ist, wenn die Kinder in die Schule kommen. Für jüngere Kinder ist Ministerin Josefine Paul verantwortlich. Und weil Frau Paul und Frau Feller sich vermutlich nicht leiden können und die Ministerien nicht zusammenarbeiten, kriegen sie es eben nicht hin. Und beim Ganztag ist es genauso. Übrigens noch ein Beispiel dafür, dass Schwarz-Grün vielleicht geräuschlos, aber leider auch erfolglos ist. Das ärgert die Bürgermeister im ganzen Land, auch die von der CDU.

Ist es für Sie als SPD hilfreich, dass mit Bärbel Bas die neue Bundesarbeitsministerin aus NRW kommt?

Natürlich. Wir haben uns gemeinsam als nordrhein-westfälische SPD dafür stark gemacht, dass wir in diesem Bundeskabinett prominent vertreten sind.

Wird sie womöglich durch ihre Bekanntheit zur geborenen Herausforderin von Hendrik Wüst bei der nächsten Landtagswahl?

Eine Partei ist sehr gut beraten, gerade in den heutigen Zeiten alles dafür zu tun, dass sie mehrere Gesichter hat. Wir haben nach früheren Auseinandersetzungen in der NRW-SPD vor zwei Jahren verabredet, dass wir als Team zusammenarbeiten. Da haben wir natürlich einen deutlich höheren Kommunikationsbedarf als in der Zeit, wo alles in einer Hand lag. Aber ich glaube, in modernen politischen Zeiten, ist es die einzige Möglichkeit, ein Team aufzubauen von Leuten, die sich vertrauen. Das haben wir bisher sehr gut durchgehalten. In Personalfragen wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem wir Entscheidungen treffen.

Halten Sie sich offen, selbst Spitzenkandidat zu werden?

Die Hauptherausforderung ist, stärkste Partei bei der Landtagswahl zu werden. Da geht es nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern darum, wer am Ende die besten Chancen hat.

Ist der Stil, mit dem Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU auftritt, nicht ein Problem für Sie? Er steht dafür, zivil und anständig miteinander umzugehen und scheint manchmal ein bisschen präsidial über den Parteien zu stehen?

Sagen wir mal so: Es muss halt glaubhaft sein. Daran wird sich entscheiden, ob er damit durchkommt oder nicht. Ich sehe nicht, dass es in Nordrhein-Westfalen an irgendeiner Stelle die Bereitschaft gibt, mit der Sozialdemokratie auch bei Themen, die von überparteilicher Bedeutung sind, gemeinsam vorzugehen. Es gibt ja einen Grund, warum wir so viele Verfassungsklagen gegen die Landesregierung eingereicht haben. Da geht es zum Beispiel auch um die Frage, ob Hendrik Wüst überhaupt noch bereit ist, parlamentarische Grundregeln einzuhalten. Wenn die Landesregierung nach einem Anschlag wie dem in Solingen „das größte Sicherheitspaket“ aller Zeiten auf den Weg bringt, aber nicht einmal das Parlament darüber informiert, was sie da machen, dann hört der Spaß auf. Das ist keine überparteiliche Zusammenarbeit. Das ist ein Affront. Oder nehmen wir die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse: Wir warten auf Akten, regierungsinterne Kommunikation über Messenger-Dienste ist plötzlich nicht mehr verfügbar, da werden Beweisanträge blockiert. Wir kommen irgendwann an den Punkt, wo man sich fragen muss, ob das Bild, dass der Ministerpräsident von sich zeichnet, wirklich stimmig ist.