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Historische FotosNeuer Bildband zeigt das Wirtschaftswunder in NRW

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Kinderspielplatz in der Broicher Siedlung des Eschweiler Bergwerks-Vereins, Alsdorf 1959. So warb das Unternehmen um Arbeitskräfte.

Kinderspielplatz in der Broicher Siedlung des Eschweiler Bergwerks-Vereins, Alsdorf 1959. So warb das Unternehmen um Arbeitskräfte.

2026 feiert das Land NRW sein 60-jähriges Bestehen. Ein Bildband aus den Beständen einer Frankfurter Fotoagentur erlaubt den Blick zurück in die ersten anderthalb Jahrzehnte.

Damen mit modischen Käppchen und Sonnenbrille, Eis und Getränke – und dahinter der Gegenlicht glitzernde Rhein, die Silhouette von Köln mit dem Dom, mit dem Turmstumpf von Groß St. Martin und den Resten des alten Bahnhofsgebäudes, im Vordergrund zwei elegante Handtaschen auf einem Cafétisch präsentiert: Die Szenerie eines Wirtschaftswunder-Nachmittags im Mai 1953 grenzt ans Surreale, wohlüberlegt ins Bild gesetzt mit den in einer leichten Diagonale platzierten weiblichen Gästen und dem großen Sonnenschirm, der das ganze Bild einfängt.

Auf den Sünnerterrassen in Köln, Mai 1953.

Auf den Sünnerterrassen in Köln, Mai 1953.

Die perfekte Inszenierung des Alltäglichen – Freizeit wie Arbeitswelt – war das Markenzeichen der Frankfurter Fotoagentur Dr. Paul Wolff und Tritschler. In einem Bildband des Greven Verlags liegen nun ausgewählte Aufnahmen dieser Agentur aus dem Rheinland und Westfalen vor, ein üppiges Vorab-Präsent zum 80. Geburtstag des Landes NRW im kommenden Jahr. Mal idyllische, mal imponierende Fotos aus Arbeitswelt und Freizeit, vom Aufschwung der Industrie und vom zunehmenden Wohlstand der Arbeitnehmerhaushalte. In aller Regel keine spontanen Reportageaufnahmen, sondern bewusst gestaltete Bildbotschaften.

Dekoabteilung des Kölner Kaufhof, 1960.

Dekoabteilung des Kölner Kaufhof, 1960.

Der ältere Partner Paul Wolff war schon 1951 verstorben. Dennoch blieb sein Name in der Selbstbezeichnung der Agentur erhalten, die bis 1963 von Alfred Tritschler weitergeführt wurde. Tritschler und seine Leute fotografierten das Wirtschaftswunderland NRW, häufig im Auftrag von Unternehmen. Das üppige Angebot eines Lebensmittelladens, die Schokoladenherstellung bei Trumpf in Aachen, mondäne Läden in Düsseldorf, die schelmisch um die Ecke blickende junge Mitarbeiterin der Kaufhof-Dekoabteilung in Köln: Wolff und Tritschler verbreiteten Aufbruchstimmung.

Eine Zechensiedlung als Sehnsuchtsort

So ließ der Eschweiler Bergwerksverein, der im Raum Aachen Steinkohlegruben betrieb, im Jahr 1959 nicht nur die heroische Arbeit in seinen Zechen fotografieren, sondern auch die Arbeitersiedlungen, gepflegte Wohnungen und den Rummel auf Spielplätzen. Das sollte Arbeitskräfte tief in den Westen der jungen Bundesrepublik locken. Die Zechensiedlung wurde als „Sehnsuchtsort“ dargestellt, wie Helge Matthiesen, der Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger, in seinem Begleittext schreibt. Heute lösen diese Aufnahmen vor allem Wehmut aus. Seit fast drei Jahrzehnten gibt es im Aachener Revier keinen Bergbau mehr, die Nachkommen der seinerzeit angeworbenen Familien mussten sich längst andere Stellen suchen.

Matthiesen stellt sich auch der Tatsache, dass die Fotografen von Dr. Paul Wolff und Tritschler schon immer die Botschaft ihrer jeweiligen Auftraggeber verbreitetet haben, auch in der NS-Zeit, als sie fröhliche Reichsarbeitsdienstler ablichteten und einen führenden Chemiker der I.G. Farben mit Hitlerporträt und linientreuer Aktskulptur. Die beiden Fotografen hatten ihre ersten Erfolge in den 1920er Jahren erzielt. Sie nutzten die leichte, schnell einsetzbare Leica-Kleinbildkamera, zu deren Beliebtheit Wolff auch mit einer Buchveröffentlichung beitrag. Nach 1933 passte man sich eben an. Das Buch zeigt etliche Bildbeispiele auch aus dieser Zeit. Sie sind wie die späteren NRW-Fotos historische Quellen – nicht dafür, wie die Zeiten wirklich waren, sondern wie die jeweiligen Geldgeber sie zeigen wollten. Der Irene- und Sigurd-Greven-Stiftung, die unter anderem auch das Bildarchiv der Kölnischen Rundschau erschlossen hat, ist sehr für die Digitalisierung und akribische Verzeichnung dieses Bildbestandes zu danken.

Helge Matthiesen (Text), Paul Wolff und Alfred Tritschler (Fotos): Nordrhein-Westfalen. Aufbruch ins Wirtschaftswunder. Greven Verlag, 176 Seiten mit 200 Abb., 40 Euro