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Interview

Nichtzulassung von AfD-Kandidaten
„Das Grundgesetz ist nicht neutral gegenüber Verfassungsfeinden“

4 min
Der von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen am Rhein ausgeschlossene AfD-Politiker Joachim Paul ist mit einem Eilantrag gescheitert.

Der von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen am Rhein ausgeschlossene AfD-Politiker Joachim Paul ist mit einem Eilantrag gescheitert. 

Nach der Nichtzulassung mehrerer AfD-Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen erklärt Verfassungsexperte Schwarz die Hintergründe. Der Jurist sieht in den Prüfverfahren einen wichtigen Schutzmechanismus der Demokratie - warnt aber vor Missbrauch.

Im Interview spricht Kyrill-Alexander Schwarz, Jura-Professor an der Uni Würzburg, mit Leon Grupe über den heiklen Balanceakt, Extremisten zu verhindern, ohne die Spielregeln der Demokratie zu verletzen.

Herr Schwarz, drei AfD-Kandidaten sind in diesem Jahr nicht zur Bürgermeisterwahl zugelassen worden. Wie bewerten Sie das aus juristischer Sicht?

Bürgermeister oder Landräte stehen an der Spitze der kommunalen Exekutive, sie üben staatliche Gewalt aus. Dafür ist eine hohe Loyalität gegenüber dem Grundgesetz erforderlich. Wer diese nicht aufbringt, darf ein solches Amt nicht übernehmen. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Wahlprüfungsausschüsse vorab prüfen, ob Kandidaten geeignet sind. Das ist in allen Gemeindeordnungen so vorgesehen, nur wurde davon bisher kaum Gebrauch gemacht. In der Vergangenheit gab es schlicht keine ernstzunehmenden Bewerber aus gesichert extremistischen Parteien.

Vor diesem Hintergrund mag der Ausschluss eines Bewerbers legitim sein. Aber ist er auch richtig?

Ja. Das ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie. Das Grundgesetz ist nicht neutral, sondern bezieht klar Stellung gegenüber Verfassungsfeinden. Man kann darüber diskutieren, ob es glücklich ist, dass eine amtierende Bürgermeisterin oder ein amtierender Bürgermeister auch den Wahlprüfungsausschuss leitet, aber das ist gesetzlich so vorgesehen. Wer Ludwigshafen als Präzedenzfall betrachtet, übersieht außerdem, dass das Votum eines Ausschusses gerichtlich überprüfbar ist. Genau das haben zwei Gerichte in Rheinland-Pfalz getan und sich gegen den AfD-Kandidaten entschieden.

Dem AfD-Politiker Joachim Paul wird unter anderem vorgeworfen, sein Wahlkampfbüro diene der Vernetzung der „Neuen Rechten“. Er selbst weist das zurück.

In rechtsextremen Netzwerken wird versucht, die Entscheidung umzudeuten. Da wird behauptet, der Kandidat sei ausgeschlossen worden, weil er ein Fan von J. R. R. Tolkien und „Herr der Ringe“ sei. Wer sich jedoch die Gerichtsentscheidungen ansieht, erkennt: Dahinter steckt weitaus mehr.

Die Vorwürfe reichen von engen Kontakten zu bekannten Rechtsextremisten bis hin zu Parolen wie „Remigration statt Unterwerfung“. Um es klar zu sagen: So jemand ist weder für den öffentlichen Dienst geeignet, noch für das Amt eines Oberbürgermeisters.

Rechnen Sie damit, dass künftig weitere AfD-Kandidaten verhindert werden?

Davon gehe ich aus. Die AfD wird aufgrund ihrer Stärke verstärkt eigene Kandidaten für Bürgermeister- und Landratsämter aufstellen. Entsprechend dürfte es häufiger zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen und auch zu weiteren abgelehnten Bewerbern. Ich will nur eines auch zu bedenken geben.

Das wäre?

Wir haben es mit Einzelfällen zu tun. Die bloße Mitgliedschaft in der AfD reicht nicht aus, um jemanden von einer Wahl auszuschließen. Es müssen konkrete Zweifel an der Verfassungstreue vorliegen. In Ludwigshafen gab es laut Verfassungsschutz und Wahlprüfungsausschuss solche Zweifel. Aber ich würde das gerne präzisieren.

Bitte.

In einer Demokratie genießen Parteien das sogenannte Parteienprivileg: Sie dürfen agieren, solange sie nicht verboten werden. Aber das ist kein Freibrief dafür, dass extreme Bewerber für ein Amt kandidieren, in dem sie später öffentliche Gewalt ausüben. Und das ist der entscheidende Punkt: Es geht letztlich um eine Art präventiven Staatsschutz. Der Staat will verhindern, dass Extremisten Staatsdiener werden können.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Fälle wie Ludwigshafen der Demokratie schaden könnten?

Dieser Schutzmechanismus darf natürlich nicht missbraucht werden, um politisch missliebige Bewerber einfach aus dem Weg zu räumen. Denn ein Kandidat, der zu einer Wahl nicht zugelassen wird, kann auch gar keinen Wahlkampf führen. Der Eingriff ist also gravierend. Daher war es richtig, dass sich der zuständige Ausschuss in Ludwigshafen im Vorfeld intensiv mit dem AfD-Politiker befasst hat. Wie es nicht geht, hat ein vergleichbarer Fall in Thüringen gezeigt.

Sie meinen sicher die Wahl von Robert Sesselmann zum ersten AfD-Landrat im Kreis Sonneberg.

Genau. Damals, im Sommer 2023, kam das Landesinnenministerium erst nach der Wahl auf die Idee, Robert Sesselmann auf seine Verfassungstreue zu überprüfen. Rechtlich war das in Ordnung. Aber es wirkte wie der Versuch, ein unliebsames Wahlergebnis nachträglich zu korrigieren.

Ist die Ablehnung eines Bürgermeisterkandidaten eigentlich komplizierter als die eines Bewerbers fürs Lehramt?

Nein. In beiden Fällen geht es darum, dass die Personen hoheitliche Aufgaben übernehmen. Eine Lehrerin, ein Polizist oder ein Hochschulprofessor muss genauso verfassungstreu sein wie ein Bürgermeister. Der Unterschied liegt allein in der Funktion, nicht in den Anforderungen an die Grundgesetz-Loyalität.